Brennpunkt Nußbaumpark:Wenn zwei Welten kollidieren

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Im Nußbaumpark prallen Welten aufeinander. (Foto: Stephan Rumpf)

Im Nußbaumpark prallt das reiche München auf seine sozialen Randgruppen. Polizei, Sozialarbeiter und Bürger wollen Konflikte nun entschärfen und ein gutes Miteinander fördern

Von Dominik Hutter

Man kann so oder so auf der Wiese liegen. Neben den kleinen Essensbuden der Urban League fläzen die Leute in gepflegten Liegestühlen - kurze Pause, bevor es zurück ins Büro geht. Nur ein paar Meter entfernt schläft ein Mann zusammengerollt auf dem nackten Boden.

Daneben sitzt eine Gruppe heftig rauchender Männer im Gras, umringt von Taschen und Tüten. Nach Mittagspause für alle sieht das nicht aus, eher nach dem Zusammentreffen zweier Welten in einem einzigen Park: dem Nußbaumpark nahe dem Sendlinger Tor.

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Hier prallt das reiche München urplötzlich auf seine Randgruppen, auf Obdachlose aus Osteuropa, auf Alkoholiker und Drogensüchtige. Hier toben Kinder über den Spielplatz, während biertrinkende Frauen auf den nahegelegenen Tischtennisplatten sitzen. Oben drauf wohlgemerkt, nicht daneben.

Und hier war es auch, als kürzlich mitten in der Nacht ein 54-jähriger Münchner mit zwei Männern in Streit geriet, die ihn so heftig schlugen, dass er mit schweren Kopfverletzungen in eine Klinik gebracht werden musste. Passanten hatten ihn gegen fünf Uhr früh bei der direkt am Parkeingang gelegenen Bushaltestelle aufgelesen. Eine Woche zuvor, um halb ein Uhr in der Nacht, hatten zwei Unbekannte auf einen 42-jährigen Touristen eingeprügelt, der auf einer Bank im Nußbaumpark saß. Sie raubten sein Geld.

Um Ausgleich bemüht: Pfarrer Gottfried von Segnitz. (Foto: Stephan Rumpf)

Es ist kein Wunder, dass die eigentlich ansehnliche Grünanlage mitten in der Innenstadt einen zweifelhaften Ruf genießt. Viele Münchner meiden den Nußbaumpark bei Nacht, wählen lieber einen kleinen Umweg entlang der umliegenden Straßen. Die Park-Wege sind zwar erleuchtet, an finsteren Ecken herrscht aber kein Mangel.

Ganz hinten, Richtung Medizinische Klinik, ist es stellenweise komplett dunkel, und die halbrunden hölzernen Wände rund um die Sitzgelegenheiten bieten einen Sichtschutz, der zu späterer Stunde durchaus bedrohlich wirken kann. Dazu kommt das viele Gebüsch. Die Anwohnerbeschwerden häufen sich über das unheimliche Treiben im Park. Die Situation habe sich verschlechtert, ist als Tenor der Nachbarn beim Kreisverwaltungsreferat angekommen. Wobei es in den meisten Fällen nicht um echte Kriminalität, um Gewalt oder Drogenhandel geht. Sondern um Müll, Gestank, nerviges Anmachen - alles, was so ein Szene-Treffpunkt an Spuren hinterlässt.

Wenn frühmorgens die Putzfrau der Matthäuskirche die Tür aufsperren will, passiert es nicht selten, dass sie erst einmal gar nicht durchkommt. Unter dem Vordach des kühn geschwungenen Kirchenbaus nächtigen Leute, die sich nicht immer einsichtig zeigen, wenn sie mit der Bitte, das Feld zu räumen, aus dem Schlaf gerissen werden. Es sei oft ein "wahnsinniger Aufwand, wenn wir versuchen, die Eingänge freizuräumen", berichtet Pfarrer Gottfried von Segnitz. Immer wieder muss er die Polizei einschalten.

Bei hartnäckigen Fällen droht ein offizieller Platzverweis. Man habe schon überlegt, ein Gitter anzubringen - aber das will der Pfarrer dann eigentlich auch wieder nicht. Nur: Irgendwann werde es einfach zu viel. "Wir packen das manchmal nicht mehr", seufzt der Kirchenmann. Zunehmend müssten gebrauchte Spritzen weggeräumt werden, und natürlich gibt es auch andere Hinterlassenschaften an der Kirchenmauer und in den Grünflächen drumherum. Der Park "müffelt, mieft, da geht keine normale Familie mehr hin", hat von Segnitz beobachtet. Eigentlich sei das keine Grünanlage mehr, sondern eine "Zone zunehmender Verwahrlosung". Auch für den Pfarrer ist klar: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Situation stark verschlimmert.

Dennoch wirbt der Geistliche um Verständnis für die oftmals so nervige Nußbaum-Klientel. Man dürfe schließlich nicht vergessen, dass viele der Menschen, die einem da gegenüberstehen, "hochgradig drogenkrank" seien. Oder zu den "Ärmsten der Armen" zählen. Die aus Bulgarien eingewanderten Roma etwa, die schon in ihrem Heimatland Diskriminierungen ausgesetzt gewesen seien.

Dazu kommt, dass in München mit der Bevölkerungszahl auch die Zahl der Obdachlosen stark anwächst. Diese Entwicklungen dürfe man nicht einfach negieren, und vor allem müsse man auf diese Herausforderungen auch adäquat reagieren, so von Segnitz. Mit sozialem Einsatz wie ihn etwa das nahegelegene "Schiller 25" leiste, das sich um Arbeitsgelegenheiten bemühe. Man müsse versuchen, den Menschen ein Angebot zu machen. Ihnen zeigen, dass sie auch etwas für die Gesellschaft beitragen können.

Einfach wird das nicht, davon ist von Segnitz überzeugt. Viele der Menschen im Nußbaumpark hätten völlig andere Lebensvorstellungen als in München üblich. Das Obdachlosenfrühstück etwa, das die Matthäuskirche seit vielen Jahren anbietet, spricht nach wie vor nur die typischen Münchner "Sandler" an, nicht aber die durchaus misstrauischen Nußbaumbewohner aus dem Ausland. Neue Lösungen würden benötigt.

Von Segnitz findet allerdings auch: Den Anliegern kann man nicht auf Dauer alles zumuten. Auch der Pfarrer selbst räumt inzwischen "Ermüdungserscheinungen" ein - irgendwann will man einfach nicht mehr. Neben den sozialpolitischen Aufgaben sei daher im Nußbaumpark auch "ein Stück Ordnungspolitik" erforderlich. "Wir sind sehr dankbar für den kommunalen Sicherheitsdienst." Denn eines dürfe auch nicht passieren: Dass die problematische Klientel den Nußbaumpark ganz für sich okkupiert.

Und die Münchner die Grünanlage hinter der Matthäuskirche nicht mehr nutzen. Der Park müsse weiterhin für alle da sein, und einen ersten Schritt dahin sieht der Pfarrer schon vollzogen. Zumindest temporär. Mit dem Projekt "Make Nußbaumpark gschmeidig again" der Veranstaltergruppe Urban League hätten sich bereits die "Dominanten" verschoben. Plötzlich seien sie wieder da, die Leute, die eine Zeitlang einen Bogen um den Park gemacht hatten. Familien. Erholungssuchende.

Mit seinem Ruf nach Ordnungspolitik steht von Segnitz keineswegs auf verlorenem Posten. Im Kreisverwaltungsreferat (KVR) an der Ruppertstraße, der Münchner Ordnungsbehörde, sind die Zustände im Nußbaumpark sehr wohl bekannt. Ein "Treffpunkt verschiedener Szenegruppen" sei das. Schwerpunkt sei die Drogenproblematik, es komme zu szenetypischen Auseinandersetzungen, wie es im Behördendeutsch heißt. Die Zahl der wilden Campierer habe zugenommen. Dennoch will KVR-Sprecher Johannes Mayer noch nicht von einem echten Kriminalitätsbrennpunkt sprechen. Sechs Körperverletzungen, ein Raubdelikt und 21 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz - so lautet die Statistik für das erste Halbjahr 2018.

Unternommen wird trotzdem einiges. Bereits im Sommer 2010 wurde eine Videoüberwachungsanlage im Nußbaumpark installiert, die Polizei kontrolliert intensiv. "Wir haben da schon verstärkt ein Auge drauf", sagt Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins, der eine "gewisse Verdrängung" der Szene vom Hauptbahnhof beobachtet hat. Das KVR will die neue kommunale Sicherheitswacht künftig auch im Nußbaumpark einsetzen.

Einzelne Streifen der noch im Aufbau befindlichen Truppe kontrollieren dort auch jetzt schon, obwohl das Einsatz-"Kerngebiet" rund um Hauptbahnhof und Alten Botanischen Garten liegt. Dazu kommen die Streetworker, die sich sowohl um die Drogenkranken als auch um die Armutsmigranten aus Osteuropa kümmern, in manchen Fällen auch deren Heimreise finanzieren. Auch der Arbeitskreis für prekäres Wohnen und wildes Campieren ist eingeschaltet, berichtet Sozialreferatssprecher Frank Boos.

Im Nußbaumpark dampfen derweil die Zigaretten - die Ansammlung von Tischen nahe der Lindwurmstraße ähnelt einem Café. Alle Plätze sind besetzt, Picknick macht hier allerdings keiner. An den Glastüren des Haupteingangs zur Matthäuskirche hängt ein Zettel: "Hier ist kein Schlaf- und Lagerplatz", steht darauf, und dass der Konsum von Speisen und Getränken zu unterlassen sei. Ob es was hilft? Nach so vielen Jahren fühlt Pfarrer von Segnitz vor allem eines: Hilflosigkeit.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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