Oper:Erschlagend

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Rafael Rojas triumphiert in der Mörderpartie des Nero. (Foto: Dietmar Stiplovsek/dpa)

Die Bregenzer Festspiele eröffnen mit der fordernden Oper "Nerone" von Arrigo Boito.

Von Egbert Tholl, Bregenz

Auf den Platz vor dem Festspielhaus in Bregenz kommt man nur mit einem der drei G, hat man die Kontrolle passiert, kann man sich maskenfrei bewegen. Auch drinnen. Das Festspielhaus ist bis auf den letzten Platz voll. Man hofft für die Festspiele, dass alles gut geht. Am nächsten Tag werden für den alten "Rigoletto" rund 7000 Besucher erwartet. Draußen.

Die, die jetzt drinnen sitzen, erleben ein bizarres Stück. Arrigo Boito ist heute vor allem als der Librettist Verdis bekannt, er übersetzte aber auch Werke Wagners, liebte die Musik Beethovens und komponierte selbst. Einigermaßen gehalten im Repertoire hat sich lediglich seine Oper "Mefistofele". Die posthume Uraufführung seiner Oper "Nerone" an der Mailänder Scala war 1924 zwar ein weltweites Kulturereignis, aber das war es dann auch weitgehend. Boito schrieb Jahrzehnte an dieser Oper und wurde nicht fertig, für die Uraufführung bastelte neben anderen Toscanini ein Ende. Dennoch fehlt dramaturgisch, sofern man hier von Dramaturgie reden kann, ein fünfter Akt. Aber: Nach der Aufführung in Bregenz möchte man sich gar nicht ausmalen, wie es wäre, wenn da noch ein Akt gekommen wäre.

Man hat das Gefühl, dass Boito während der Arbeit an dem Werk immer wieder das reinpackte, was gerade in Mode kam. Das geht so weit, dass man in Momenten glaubt, Musik von Franz Schreker zu hören, ohne zu wissen, ob die Boito kannte. Es ist oft ungeheuer spannend. Denn "Nerone" klingt fast - heute würde man sagen: postmodern. Es beginnt ohne Ouvertüre mit einem geflüsterten Nichts, bald kracht es gewaltig, dann setzt die Musik fast wieder aus, schließlich greift ein einzelner Mensch zur Geige, wieder ein Lärm wie ein Überfall, dann eine lange Szene wie von Verdi, bald klanglose Agitation, unfassbare naive Klanglichkeiten künden von Glauben, aufregende Harmonien von irgendetwas Psychotischem, zwei, von deren Liebe man bis dato nichts spürte, verabschieden sich 20 Minuten lang im Sterben.

Die Handlung ist komplett verworren und ergibt einen Sinn bestenfalls in jeder Szene für sich. Kaiser Nero will seine Mutter beerdigen, die er selbst erschlug; der Magiker Simon Mago will über Asteria, die auf haltlose Art in Nero verknallt sein soll, Einfluss auf diesen gewinnen; Fanuèl, Apostel der Christen, will mit der Bergpredigt Rom erobern und ist irgendwie fasziniert von Rubria, Priesterin der Vesta und Christin zugleich. Schließlich brennt Rom, hier nicht von Nero, sondern von Simon Mago oder wem auch immer angezündet, Christen werden abgeschlachtet, Nero schaut stumm zu, Fanuèl überlebt, Asteria vermutlich auch.

Der Regisseur Olivier Tambosi tut alles, um die Verwirrung aufrecht zu erhalten. Der Beginn schaut aus wie ein Passionsspiel, bei dem einiges schiefgelaufen ist, Fanuèl trägt drei Stunden lang einen Dornenkranz. Nero hat Freud gelesen und zieht das Kleid der toten Mutter an. Simon Mago trägt schwarze Schwingen und versucht vergeblich zu fliegen, die Wiener Symphoniker nehmen unter Dirk Kaftan jede stilistische Wendung, wie sie grad kommt. Aber: Rafael Rojas triumphiert in der Mörderpartie des Nero, Lucio Gallo (Mago) ist ein toller Fürst der Dunkelheit.

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