Brechtfestival 2021:"Alles ist neu und muss erfunden werden"

Brechtfestival 2021: Video statt Bühne: Aus Heiner Müllers "Medeamterial" haben die Festivalmacher einen essayistischen Film entwickelt.

Video statt Bühne: Aus Heiner Müllers "Medeamterial" haben die Festivalmacher einen essayistischen Film entwickelt.

(Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Das Augsburger Brechtfestival findet erstmals als reine Digitalausgabe statt. 23 Premieren stehen auf dem Programm, ein Mix aus Performance, Theater, Film und Musik. Festivalleiter Jürgen Kuttner über Herausforderungen und Schwerpunkte.

Interview von Yvonne Poppek

Beim Brechtfestival 2020 lief noch alles glatt: Kurz vor dem Lockdown konnte das von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel geleitete Augsburger Festival live über die Bühne gehen. In diesem Jahr blieb für das Festival rund um den Erfinder des V-Effekts nur die Verlegung ins Netz übrig: 23 Premieren soll es von 26. Februar bis 7. März geben, ein Genre-Mix aus Performance, Theater, Film und Musik für digitale Formate. Kurz vor dem Gespräch mit der SZ schneidet Kuttner selbst noch an seinem und Kühnels Beitrag "Medeamaterial" - und sprüht dann vor Energie.

SZ: Wie viel Spaß hatten Sie denn, aus dem eigentlichen Theater- und Popfestival ein digitales Festival zu machen?

Jürgen Kuttner: Im Großen und Ganzen macht das schon irgendwie irre Spaß. Dieser Umstieg aufs Digitale kam aber in gewisser Weise relativ kurzfristig. Wir hatten schon ein halbes Jahr gearbeitet und mussten dann noch einmal komplett von vorne anfangen. Mit allen Künstlern reden, mit ihnen über ästhetische Möglichkeiten sprechen. Wir haben letztes Mal eine Art Spektakel gemacht, und das hätten wir gerne fortgesetzt. Aber die Entscheidung fiel Ende Oktober, Anfang November, dass das Ganze ins Digitale übersetzt werden muss.

Wie sollte so eine Umsetzung für Sie denn aussehen?

Wir wollten nicht einfach theatrale Performances abfilmen und streamen. Wenn wir ein digitales Festival machen, wollten wir das richtig machen und wollten eigene künstlerische Formate finden, bildstarke Filme oder Videos. Die Künstler waren natürlich alle ein bisschen frustriert wegen der Corona-Einschränkungen und haben sich nach einer Bühne gesehnt. Aber sie haben Spaß an dem Format, an den Texten, an ihren Ideen gefunden. Diese Art des Festivals funktioniert für die Künstler über Spaß, mit Geld wäre das überhaupt nicht zu bezahlen. Wenn man denen den Aufwand hätte bezahlen wollen, dann hätten wir nicht 20 Premieren, sondern vier.

Jürgen Kuttner

Jürgen Kuttner leitet zum zweiten Mal gemeinsam mit Tom Kühnel das Augsburger Brechtfestival. Kuttner ist Regisseur, Radiomoderator, Darsteller und Kulturwissenschaftler.

(Foto: Kuttner)

Welche künstlerischen Anforderungen haben Sie denn gestellt?

Wir kennen die Leute ja, die wir angesprochen haben oder kennen sie zum großen Teil. Wir wissen, dass das ernsthafte, gute, tolle Künstler sind, die Ideen haben, die Fantasie haben, die eben Spaß an der ganzen Geschichte haben. Ohne Spaß hätte man die nicht gekriegt. Und dass denen dann etwas einfällt, dessen war ich mir sicher. Aber ich hatte überhaupt keine Idee, was denen wohl einfällt.

Wie lockt man das Publikum zu einem digitalen Brechtfestival?

Das weiß ich auch nicht, da fehlt wirklich die Erfahrung, wie viele Leute da zuschauen werden. Das kann zweistellig werden oder fünfstellig, das ist überhaupt nicht zu kalkulieren. Es ist aber auch eine Chance, dass es im Netz ist. Dadurch kann es jetzt von überall in der Welt gesehen werden. Das können jetzt chinesische Brechtexperten oder Deutschlernende in Nigeria oder bolivische Theaterregisseure oder amerikanische Filmwissenschaftler sein, die sich da irgendwie einklinken.

Sie selbst werden während des Festivals in Berlin sein und Gespräche moderieren.

Ja, das ist jetzt aber keine Berliner Arroganz, sondern praktisch gedacht: Für viele Künstler liegt Berlin natürlich zentraler als Augsburg. Und wir haben eben versucht, es nicht wie bei Netflix zu machen - alle Sachen einfach ins Netz zu kippen und dann klickt man einfach auf irgendetwas drauf. Sondern wir versuchen schon halbwegs diesen lebendigen und unmittelbaren Charakter zu erhalten, indem wir vorher eine halbe Stunde lang ein Gespräch mit den Künstlern führen, die an dem Tag zu sehen sein werden. Es gibt an jedem Tag ein bis zwei Premieren, die man nicht beliebig an jedem Tag anklicken kann. Es gibt eine Aufführungsstruktur wie im Theater. Nach dem letzten Tagesbeitrag planen wir dann eine Airmeet-Konferenz: Man klickt auf einen Link und sieht einen Saal mit 20 Tischen. Man nimmt an einem Tisch Platz, und dann kann man sich mit den Leuten unterhalten, die auch dort sitzen. Tom Kühnel und ich wollen an jedem Tag dabei sein, und wir wollen auch die Künstler dafür gewinnen. Quasi eine digitale Aftershow-Party.

Haben Sie Erfahrung damit?

Nein, wir haben es bloß im Kleinen ausprobiert. Alles ist neu und muss erfunden werden. Ich hoffe, dass das klappt, um so ein bisschen den Festivalcharakter, das Lebendige, das Kommunikative, das Gesellige zu erhalten.

2020 hatten Sie schon eine prominente Besetzung, jetzt auch. Warum?

Das ist schon toll, wenn man diese Künstler fragt. Aber es ist keine exklusive Prominentenliste. Tom und ich arbeiten seit 20 Jahren im Theater und kennen natürlich viele Leute, können auf die zugehen und sagen: Jetzt pass mal auf, hättest Du nicht Lust, beim Brechtfestival etwas zu machen. Und Künstler, gerade Schauspieler, sind dankbar, wenn sie Freiraum bekommen. Die haben ja gute Ideen und Anspruch. Mit Corinna Harfouch haben wir gearbeitet, Charly Hübner kennen wir seit 20 Jahren. Stefanie Reinsperger habe ich auf einer Berlinale-Party kennengelernt, da habe ich sie gefragt, und sie hatte sofort Lust. Uns ging es aber nicht nur um Prominente, das fände ich auch ein bisschen armselig. Es funktioniert über das Interesse der Leute. Es ist wichtig, dass man da nicht nur eine gut artikulierende Lesemaschine hinsetzt, die sich nur präsentiert.

Sie haben 23 Premiere, mehr als 2020.

Dadurch, dass es Filme sind und ganz genuine Produkte, extra für das Brechtfestival entstanden, sind das alles Premieren. Im Grunde ist es aber die Struktur von 2020.

Wie würden Sie die Programmmischung dieses Jahr beschreiben?

Das sind einfach ganz wilde, bunte, unterschiedliche Geschichten, 20 künstlerische Sprachen, 20 Mal ein sehr unterschiedlicher Umgang mit dem Medium, auch von verschiedenen Ausgangspunkten her. Eine Band ist natürlich etwas anders als eine etablierte Schauspielerin des Berliner Ensembles, Regiestudierende sind anders als eine Off-Gruppe. Das interessiert mich an dem Ganzen. Im Grunde kann ich auch nur Sachen machen, die ich selber gerne sehen will. Wenn ich etwas nicht sehen will, dann ist es überflüssig.

Den Schwerpunkt setzen Sie diesmal auf die Frauen um Brecht, warum?

Das war jetzt nicht so ein Kalkül. Sicher ist die feministische Diskussion stärker geworden, aber das war ein Thema, das mich im Grunde schon länger interessiert. Bei Brecht und den Frauen kann man unterschiedliche Modelle künstlerischer weiblicher Selbstermächtigung erleben. Und mir lag es auch am Herzen, diese verkürzte Wahrnehmung aufzubrechen von Brecht als Ausbeuter, der die Frauen um Geld betrogen und für sich hat schreiben lassen. Es geht ein Stück weit um Geschichtsbewusstsein und auch darum zu sehen, wie die Frauen an der Seite eines - ich sage jetzt den großen Begriff - Genies selber bestehen. Es ist schwer, als dunkle Glühbirne neben einem Scheinwerfer zu leuchten. Aber diese Frauen schaffen das, und das wollten wir zeigen!

Happy End für Eilige mit Winnie Böwe und Felix Kroll

Winnie Böwe und Felix Kroll haben die Komödie "Happy End für Eilige" gedreht.

(Foto: Paul Rohlfs)

Sie sind selbst am Festival mit der Inszenierung von Heiner Müllers "Medeamaterial" beteiligt. Wie hat sich die verändert?

Wir sind in derselben Situation wie unsere Künstler. Wir hätten am 7. Januar angefangen, auf der Bühne zu proben, stattdessen haben wir jetzt daraus ein Videoprojekt gemacht. Wir haben vier Tage in Augsburg gefilmt mit drei Schauspielerinnen und versucht, Bilder herzustellen und einen Film mit essayistischen Aspekten zu machen.

Sie und Tom Kühnel sind auch die Festivalleiter für 2022. Was haben Sie für Pläne?

So weit kann ich noch gar nicht denken. Ich bete jetzt erst einmal, dass der 7. März kommen möge, dann falle ich in ein tiefes Loch, werde zwei Wochen lang nur Krimis lesen oder irgendwelche Netflix-Thriller schauen. Und langsam wird mich einholen, dass 2022 wieder ein Brechtfestival sein wird. Das Blöde ist, dass für 22 nicht absehbar ist, wie das aussehen wird. Ob man da wieder richtig frei spielen kann. Wir haben für dieses Jahr in vielen Zwischenstationen geplant, bis wir gesagt haben, wir machen es digital. Aber ungelogen: Es ist der dreifache Aufwand geworden, der entstanden wäre, wenn man es gemacht hätte wie beim letzten Mal.

Brechtfestival Augsburg, Freitag, 26. Februar, bis Sonntag, 7. März, www.brechtfestival.de

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Das Festivalprogramm

"Wundertüte", so nennt Jürgen Kuttner das Programm, das er mit Tom Kühnel für 2021 zusammengestellt hat. Es ist das zweite Mal, dass das Duo am Werk ist. Und wie schon im Jahr zuvor, fallen bei den eingeladenen Künstlern des Brechtfestivals einige Namen auf, die sich größerer Prominenz erfreuen: Schauspieler wie Corinna Harfouch, Charly Hübner, Stefanie Reinsperger, Winnie Böwe, Hanna Hilsdorf - um nur einige zu nennen. Zum Brechtfestival gehören aber ebenso Bands wie die ukrainischen Dakh Daughters oder Bernadette La Hengst mit der Banda Internationale und junge Augsburger Ensembles wie das "Theter"-Theater oder Bluespots Productions. Auch zwei Regiestudenten der Münchner Falckenbergschule sind mit ihren Produktionen eingeladen: Caroline Anne Kapp und Lennart Boyd Schürmann. Auch sie geben dem Festival ein Gesicht.

Der Fokus der diesjährigen Festivalausgabe liegt auf den Frauen um Brecht. Schürmann erzählt, ihn habe vor allem Marieluise Fleißer fasziniert. Für seine Produktion "tanikō (cold love)" blicke er auf Brechts "Der Jasager" und "Der Neinsager", gehe auf die Nô-Theater-Vorlage Tanikō zurück - um dann noch eine Wendung zu nehmen: Der 27-Jährige frage in seiner Inszenierung, was wohl Fleißer aus dieser japanischen Vorlage gemacht hätte. Schürmann dreht quasi den Spieß um: Brecht bearbeitete die Texte Fleißers - nun lässt er Fleißer Brecht beeinflussen. Was ein wenig nach Brecht-für-Experten klingt, will Schürmann mit sich und drei Schauspielerinnen als "Performance-Film" umsetzen, aufgenommen als One Take in einem Theaterraum. Konventionelles dürfte hier nicht zu befürchten sein. Seine Mitstudentin Kapp geht einen ganz anderen Weg, der aber ebenso ins Experimentelle reicht und damit den Vorstellungen der Festivalmacher entspricht, neue Formate fürs Digitale zu finden. Kapp plant mit "Broken Brecht" einen "epischen Autorinnenschaftskrimi". Die 32-Jährige verbindet Computerspiel- mit Filmelementen. Anfangs soll der Zuschauer einen digitalen Raum betreten, den er erforschen kann. Dazu arbeitet Kapp mit einer Programmiererin zusammen, die den Schauplatz virtuell nachbaut: den Parkplatz vom V-Markt, ein kleiner ironischer Seitenhieb auf den "V-Effekt". Wer die Spielebene durchschritten hat, gelangt zum zweiten Teil von Kapps Beitrag, einem Film mit Krimi-Ermittlung. Yvonne Poppek

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