Brechtbühne Augsburg:Traumatherapie

Klang des Regens

Kurze Geborgenheit im Sand: Mina, gespielt von Maya Alban-Zapata, spürt der Vergangenheit der Großmutter und ihrer eigenen nach. Ein Weg führt sie dabei auch nach Namibia.

(Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Das Staatstheater Augsburg fordert sein Publikum mit einer Inszenierung, die um die Themen Nazi-Zeit und Völkermord in Namibia kreist. "Klang des Regens" zeigt dabei wie Traumata über Generationen weitergereicht werden

Von Yvonne Poppek

Am Ende kichern sie gemeinsam, Mina und ihre Großmutter Elisabeth. Wie zwei junge Mädchen amüsieren sie sich über den Mann mit den seltsamen Haaren. Er trage einen Heilbutt auf dem Kopf, sagt die Großmutter. "Er kann das gut tragen ... Fisch!" Die Enkeltochter fängt an zu lachen, die Oma fällt ein. Sie sind ganz vereint darin und auch befreit. Ein seliger Moment ist das, der irgendwann einmal zur Erinnerung gerinnen wird. Dann erlischt auf der Augsburger Brechtbühne im Alten Gaswerk das Licht, und eine lange Stille breitet sich aus. Erst zögerlich applaudieren die 50 zugelassen Zuschauer, im Zweifel, ob das das Ende der Inszenierung ist. Schließlich umkreiste der Abend die Themen Nazi-Zeit und Genozid in Namibia. Und nun also der Heilbutt. Wie passt das nur zusammen?

"Klang des Regens. Eine Stückentwicklung", so ist der erste Theaterabend in Augsburg nach dem langen Lockdown überschrieben. Die Idee stammt von der Regisseurin Miriam Ibrahim. Sie setzt sich seit Jahren mit der deutschen Kolonialgeschichte in Namibia auseinander. Inspiriert auch von ihrer eigenen Geschichte reduzierte sie die Aufarbeitung generationenübergreifender Traumata auf ein Gespräch zwischen einer in der Nazi-Zeit geprägten Großmutter und ihrer schwarzen Enkeltochter. Die mehrfach ausgezeichnete Dramatikerin Caren Jeß lieferte zu dieser Idee den Text, den Ibrahim nun im Alten Gaswerk mit Ute Fiedler und Maya Alban-Zapata zur Uraufführung brachte.

Jeß dreht den Spieß dieses komplexen Unternehmens noch einmal weiter: Es sind nur Erinnerungsfetzen, die sie aufnotiert hat. Beispielsweise Mina und Elisabeth am Küchentisch, Minas schwarze Hand auf dem weißen Tischtuch, ein Kaffeefleck, die verbrühte Hand der Großmutter daneben. Mina sieht die Kontraste, doch sie denkt sich dabei nichts. Oder die Großmutter, die immer nur sagt "Es hilft ja alles nichts!", egal, ob es um Krümel geht, die weggefegt erden müssen, oder um eine ausgefallen Straßenbahn. Die Erinnerungen gehören Mina, die sie nach dem Tod der Großmutter um die Fragen anreichert, die sie gerne gestellt hätte. Etwa, woher dieses "Es hilft ja alles nichts!" kommt? Vielleicht daher, dass "du in einer Zeit, in der deine Hilfe und die Hilfe aller vonnöten gewesen wäre, nichts getan hast?".

Für diese verschiedenen Zeit- und Erinnerungsebenen hat Nicole Marianna Wytyczak ein abstraktes Bühnenbild gebaut. Wellblechstücke stehen versetzt im Raum oder hängen von der Decke, auf sie werden Videos, Farben, Stimmungen projiziert. Einzelne Sandhaufen im Rot der gewaltigen Dünen der Namib symbolisieren Afrika, ein paar Holzstühle Europa. Dazwischen agieren Ute Fiedler als Großmutter und Maya Alban-Zapata als Mina, zwei wunderbare Darstellerinnen, die imstande sind, diesen Text aus Zwischentönen so zu spielen, dass er auch in den Zuschauerreihen mehr erspürt als begriffen wird. Denn es geht um die unausgesprochenen Dinge. "Klang des Regens" ist kein Dokumentartheaterstück um Hereros und Namas, auch wenn das - kurz nachdem Deutschland die kolonialen Verbrechen in Namibia als Völkermord anerkannt hat - zeitlich gut in die Debatte gepasst hätte. Der Text ist ein "anachronistisches Mosaik der Erinnerung", wie Jeß schreibt. Er führt vor Augen, was passiert, wenn "Gedanken nicht rauskommen und dann irgendwann, fast unbemerkt, in dir zu Staub verfallen und dann die Ritzen, die Löcher und Fugen in dir verschließen." Das was raus soll, bleibt drinnen und beschwert ein Leben lang.

Wie das also aussieht, führen Fiedler und Alban-Zapata intensiv vor Augen, sie begegnen sich mal hier, mal dort auf der Bühne, erzählen, sprechen aneinander vorbei. Zweifellos ist die verschlossene Großmutter ihrer gefühlvollen Enkeltochter zugeneigt - und umgekehrt. Doch sie finden nicht zueinander. Niemals lässt Fiedlers Großmutter ihren Blick direkt auf ihrer Mina ruhen - oder berührt sie gar. Viel zu sehr ist sie in sich gefangen, so als sei sie in einem durchsichtigen Kokon isoliert von der Außenwelt. Nur manchmal durchlaufen Zuckungen ihren Körper, würgt sie am Unausgesprochenen. Nichts an ihr ist abstoßend, doch sich ihr zu nähern, ist unmöglich. Fiedler gelingt es, ihre Figur und die undurchdringliche Hülle um ihre Figur herum spürbar werden zu lassen. Und an dieser Hülle prallt Mina stets ab, so sehr sie sich abstrampelt, kämpft, liebt.

Der Gedanke, dass die Traumata einer Zeit noch Generationen nachwirken, ist nicht neu, vielfach auch künstlerisch formuliert. Und zweifellos bilden der Völkermord in Namibia und die Zeit des Nationalsozialismus einen gewaltigen Hintergrund. Das könnte dazu führen, ein paar Reize zu setzen und sich darauf auszuruhen. Doch Ibrahim bedient dies nicht. Sie versucht, nach innen in ihre Figuren zu tasten, in dieses Rumoren hinein. Der Abend läuft also auf keinen dramatischen Höhepunkt zu, der Konflikt existiert weniger zwischen, als in den Figuren. Es gibt keinen Vorwurf und keinen Hass, keine Schuldzuschreibung, keine Entschuldigung. Trotz dieses undramatischen Konzepts entwickeln die mäandernden Episoden für sich aber einen Sog und verdichten sich zu einem Grundrauschen, zum Gefühl der oft vergeblichen Suche nach Antwort und Erlösung. Ein gemeinsames Lachen über Heilbutt-Haare ist hier nur ein kleiner irritierender Friede am Ende. "Klang des Regens" kehrt die vergrabenen, ja depressiven Emotionen hervor. Und das mit großer Leichtigkeit und Eleganz.

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