Brauchtum:Rückwärts niesen

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In Bayern schnupfen nur alte Männer - Bier in der Hand, Tabak im Bart, so stellt man sich das vor. Wenn Jana Neider schnupft, dann tupft sie sich ein bisschen Tabak in die Nase, ganz wenig, ganz fein. Sie ist Gründungsmitglied des Ismaninger Schnupfclubs. Und die Frage ist, wie man dahin kommt als junge Frau

Von Elisa Schwarz

Wenn Leute Tabak schnupfen, sieht es ein bisschen so aus, als würden sie koksen. Der Handrücken mit dem kleinen Häufchen drauf, die schnüffelnde Bewegung zur Nase, und dann das Geräusch beim Hochziehen. Als würden sie rückwärts niesen.

Wenn Jana Neider schnupft, dann nimmt sie mit den Fingerspitzen ein bisschen Tabak aus ihrer Elefantendose aus Porzellan, tupft es in die Nasenflügel, ganz wenig, ganz fein. "Schmeckt wie Kaugummi", sagt sie.

Neider, 33, steht in einem Tabakladen in Ismaning. Sie ist eine zierliche Frau in einem langen, dicken Rock, an ihrer Schulter hängt eine bestickte Handtasche mit Blumenmuster. Gerade war sie in einem Kiosk am Bahnhof, guckte sich das Tabak-Sortiment an, und als die Kassiererin sagte: "Da kennt sich jemand aus", antwortete sie: Ja. Ismaninger Schnupfclub. Neider ist Gründungsmitglied des Vereins. Und die Frage ist, wie man dahin kommt als junge Frau.

Im Tabakladen stapeln sich Zigarettenstangen im Regal. Bei den Zeitschriften gibt es eine Rubrik, die "Frauen-Unterhaltung" heißt. Allein zehn Hefte haben was mit "Freizeit" im Titel.

"Die meisten fangen mit einem mentholhaltigen Schnupftabak an", sagt Neider. Sie nimmt ein kleines blaues Döschen aus einem Tabakkarussell, das an der Kasse steht, und klappt es auf. "Blue" steht darauf. Riecht nach Pfefferminzbonbon. "Oder mit was Fruchtigem." Sie schraubt eine runde Dose auf, die so aussieht, als wäre Lippenbalsam drin. Orange. Nächste Dose, Kaffee, nächste Dose, Schokolade, nächste Dose, Steak. Und weil das hier alles so riecht wie im Gewürzladen, könnte man fast den Tabak in der Dose vergessen. Wahrscheinlich kleben darum große Warnhinweise drauf. Macht abhängig, ist schädlich. Auch wenn der Tabak nach Käsekuchen riecht.

"Es ist ein bisschen wie bei Parfum", sagt Jana Neider. "Man riecht es, und irgendwie schmeckt man es auch."

Schnupfen ist in Bayern Kulturgut, man kriegt das spätestens auf der Wiesn mit: Wie sich hauptsächlich ältere Männer Tabak in die Nase ziehen, und weil Touristen gerne das machen, was alle auf der Wiesn machen, gibt es für sie auch die sanfte Version: Wiesnkoks. Ist nur Traubenzucker. "Geht gar nicht", sagt Neider.

Wie viele Schnupfclubs es in Bayern gibt, weiß man nicht so genau. Es gibt zwar einen Verband, den Schnupfverband Deutschlands, aber keine Homepage, was immerhin etwas über das Alter der Mitglieder auszusagen scheint.

Wenn Jana Neider allein unterwegs ist, schnupft sie nicht. Macht keinen Spaß, sagt sie. Während die Männer ihre Prise auf den Handrücken oder auf den Unterarm legen und mit der Nase darüberfahren wie mit einem Staubsauger, schaut das Schnupfen bei der jungen Frau eleganter aus. (Foto: Robert Haas)

Jana Neider war 28, als sie mit dem Schnupfen anfing - und zwar auf einem "Festl", wie sie sagt. Es ist eines der wenigen Worte, die sie bayrisch ausspricht. Neider ist in Berlin geboren und wuchs in Erfurt auf. Als sie später in einem Bewerbungsgespräch in München saß, sagte man ihr, dass sie ja auch nichts dafür könne, dass sie aus dem Osten kommt. Neider ging, bewarb sich bei einem Medizintechnik-Unternehmen in Riem und machte eine Marketing-Ausbildung. Dort lernte sie einen Azubi kennen, einen Ismaninger, "einen echten Ismaninger", einen Feuerwehrmann. Im Sommer saßen sie dann auf einem Feuerwehrfest, einem Festl, jemand legte Tabak auf den Tisch und sagte: Probier mal. Neider dachte: Oh Gott, was tue ich meinem Körper an - und steckte sich ein bisschen was in die Nase, nicht viel, nicht tief. Aprikose, danach schmeckte es. Neider wollte nicht niesen, wollte nichts falsch machen. Sie ließ den Tabak bis zum nächsten Morgen drin.

Neider dreht das Tabakkarussell. Sie kennt jede Sorte, sie kennt auch das absurde Marketing, klar. Auf einer Dose steht "FC Bayern" drauf, auf einer anderen "Löwen-Prise". FC Bayern riecht nach Aprikose, Löwen-Prise nach Lebkuchen. Es sind viele Sorten dazugekommen, wahrscheinlich auch, weil die Leute nicht mehr rauchen dürfen, in Lokalen zumindest. Es gibt jetzt Sorten, die Karibik-Snuff heißen oder Schneeberg. Sie sehen neben einem traditionellen Schmalzler aus wie Alcopops neben einem Kasten Bier. Und irgendwie wirkt es so, als würde Schnupftabak ganz gut in die Zeit gerade passen. Ausgerechnet der alte Schnupftabak.

Ende der Neunzigerjahre rauchte noch jeder Zweite unter 25 Jahren. Es war cool, hinter den Fahrrädern auf dem Pausenhof rumzustehen, heimlich natürlich, und danach das Klassenzimmer vollzustinken, weil ja doch alles danach roch. Heute rauchen die Schüler kaum noch, weil Zigaretten für sie nicht mehr cool sind, sondern dreckig wie kleine Schornsteine. Heute schieben sich die Jugendlichen kleine Tabakbeutelchen unter die Oberlippe, Snus, was schon alleine deswegen cool ist, weil es aus Skandinavien kommt. Und aus Skandinavien kommen ja mittlerweile viele Trends. Damit kann man sich gut abgrenzen vom Rest. Und Schnupftabak wirkt so, als passe er ganz gut in die Snus-Reihe. Qualmt nicht den Club zu, ist irgendwie dezenter, ein kleines bisschen weniger ungesund auch als Zigaretten, weil kein Teer drin ist. Aber halt trotzdem Nikotin.

Jana Neider hat früher geraucht, wie man das halt so macht, wenn man auf dem Land groß wird. Aber schnupfen ist ganz anders als rauchen, sagt sie im Tabakladen. Viel feiner im Geschmack, vielfältiger. Sie nimmt noch eine Dose aus dem Karussell, einen Klassiker, einen Schmalzler, der nach Erde riecht und nach Tee. Früher wurde der mit Butterschmalz zubereitet, heute kommt da eine Art Gärsauce rein. Zucker, Wasser, Melasse, am Ende noch Aromaöle. "Ich kann mir schon vorstellen, dass Schnupfen wieder richtig in wird", sagt Neider. Es gibt Tabakdosen mit der Bayernhymne und Dosen aus Holz, die man sich gravieren lassen kann. "Wenn man darüber ein cooles Konzept aufzieht, geht das schon."

Ihren Tabak bewahrt Jana Neider in einer Elefantendose aus Porzellan auf. (Foto: Robert Haas)

Draußen ist es dunkel geworden. Jana Neider kauft eine Dose Tabak und geht die Straße runter, vorbei an Laternen, an denen noch Weihnachtsschmuck hängt. Wenn sie allein unterwegs ist, schnupft sie nicht. Macht keinen Spaß, sagt sie. Darum schnupft sie auch nicht auf der Arbeit. Die bayrischen Kollegen stehen manchmal vor ihrem Büro und fragen: "Host woas dabei", manche belächeln sie schon auch, und die Kollegen aus dem Ausland finden schon allein die Vereinsform lustig. Kennen sie in den USA so nicht.

Neider öffnet die Tür zum Rick's Café am Ende der Bahnhofstraße. Im Hintergrund laufen Charts, man kriegt hier Ismaninger Bier und Frühstück bis 22 Uhr. Einmal im Monat trifft sich hier der Schnupfclub Ismaning. Stammtisch.

Warum sie einen Verein gegründet hatten, damals, am Biertisch auf dem Feuerwehrfest, weiß Neider nicht mehr so genau. Vielleicht wollten sie die Gemeinschaft von diesem Abend weiterführen. Darum geht es ja vor allem beim Schnupfen, sagt Neider und setzt sich an den Tisch. Auf dem Feuerwehrfest war sie die siebte Person am Tisch. Sieben Leute braucht man für eine Vereinsgründung. Jemand bestellte Bier und sagte, Prost, wir sind jetzt ein Verein. Neider filmte an diesem Abend jedes Gründungsmitglied mit einer Prise in der Nase. Das war's. Nur mit der Gemeinnützigkeit klappte es nicht. Tabak. Schwierig.

Ungefähr 70 Mitglieder hat der Verein mittlerweile, ein Drittel davon sind Frauen. Acht Mitglieder sind zum Stammtisch in Rick's Café gekommen, und als Christian Guggenberger reinkommt, der Vorsitzende, sagt er: "Zum Glück liegt hier keine weiße Tischdecke rum." Neider verteilt ein paar Döschen auf dem Tisch, fürs Tasting, dann gibt es Essen und zwischendurch mal eine Prise. Neben den Burger-Tellern liegen Tabakkrümel.

"Es geht schon auch darum, dass die Tradition nicht vergessen wird", sagt Neider nach dem Essen. "Und um Wettkämpfe." Neider war gleich nach der Vereinsgründung bei einem Wettkampf, es gibt Videos davon. Zwei Gramm Tabak für die Frauen, und drei Gramm für die Männer, was nach nicht viel klingt, aber so viel ist, dass die Männer damit eine Spur auf dem Unterarm legen können. Und während die Männer also mit der Nase über ihren Unterarm fahren wie mit einem Staubsauger, zupft sich Jana Neider im Dirndl und mit Hut den Tabak in die Nase. Englische Version. Danach sei sie hinter das Zelt, sagt sie. Nase ausspülen.

© SZ vom 14.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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