Süddeutsche Zeitung

Brasserie Colette:Französische Lebenskunst

Oh, là, là! Die Brasserie Colette präsentiert im Tertianum gehobene Wirtshausküche aus dem Nachbarland. Ihr Konzept hat sich der Berliner Sternekoch Tim Raue ausgedacht.

Von Franziska Gerlach

Der Gourmet von Welt greift ja schnell mal zu Superlativen, um Gefallen auszudrücken. Doch wie sich das hauchzarte Boeuf Bourgignon gerade in appetitlichen Häppchen an das Porzellan schmiegt, da darf man guten Gewissens behaupten - den gern bemühten Gott in Frankreich hätte es nicht besser treffen können.

Komplizierter gestaltet sich dagegen die Frage, wer in der Brasserie Colette das Lob dafür verdient hat. Ist es der, dessen Name an der Tür des Restaurants zu lesen ist, der Berliner Starkoch Tim Raue, gebührt es Steve Karlsch in seiner Funktion als kulinarischer Direktor, oder ist derjenige zu loben, der hier de facto am Herd steht, Küchenchef Maurizio Demuro?

Es sind wohl alle zusammen, und streng genommen existiert sogar noch ein vierter Partner im Bunde. Das kulinarische Konzept wurde für die Tertianum Premium Residences entwickelt, im Dezember eröffnete das Colette in der Münchner Dependance der Seniorenresidenzen an der Klenzestraße - als erstes Restaurant einer Kooperation, mit der man freilich alle Altersklassen ansprechen will. Im September wird es auch im Konstanzer Ableger der Wohnanlage für solvente Senioren ein Colette geben, erst am Freitag ist eines in Berlin hinzugekommen, wo Raue sich mit seinem asiatisch inspirierten Stil 19 Gault& Millau-Punkte und zwei Michelin-Sterne erkocht hat.

In München lässt sich an diesem Abend niemand blicken von den betagteren Herrschaften. Sie schauten bevorzugt mittags vorbei, sagt der Restaurantleiter und schenkt Wein in die dünnwandigen, eigens für das Colette gefertigten Gläser. In dem sanft ausgeleuchteten Raum sitzen zwei Mittdreißigerinnen zusammen, ein Vater-Sohn-Gespann widmet sich ohne Hast mehreren Gängen. Und dazu eignet sich die Karte hervorragend.

Vom Kalbspaillard (20 Euro) über Austern (à 4 Euro) bis hin zur Zwiebelsuppe (6 Euro) führt sie Klassiker der französischen Küche, beim Steak Frites (24 Euro) spitzen die Kartoffelstäbchen aus einer Papiertüte heraus. Der Münchner Bestseller: Das Huhn unter der Teighaube mit Trüffeln, Haselnüssen und Topinambur (24 Euro).

Ist die Brasserie-Küche in ihrem Herkunftsland allerdings durchaus als bodenständig bekannt, erfährt sie im Colette eine gehobene Interpretation, sehr dezent mit asiatischen Anklängen versehen. "Die französische Küche wird erweitert um eine Gewürz- und Geschmackswelt, die Tim Raue eigen ist", sagt Karlsch, der die kulinarische Umsetzung an allen Standorten verantwortet.

Der Hummercocktail (18 Euro) mit Melonen, gehobelten Champignons und Orangen werde mit roter Chilisoße mariniert, erläutert dann der Münchner Küchenchef Demuro, die Entenkeule mit Orangenöl und Ingwer verfeinert. Auf der Weinkarte sind neben einigen deutschen, mit Raue befreundeten Winzern wie Jochen Dreissigacker oder Clemens Strobl alle wichtigen Regionen Frankreichs vertreten; dazu gehört ein einfacher Entre-Deux-Mers (24 Euro/0,75l) genauso wie der Cheval Blanc für 660 Euro/0,75 l - und ja, hin und wieder wird dieser auch bestellt.

In der Praxis erlaubt sich Demuros achtköpfiges Team natürlich kleine Freiheiten. Nicht nur, weil nun einmal jeder anders abschmecke, wie Demuro sagt. Beim Boeuf Bourgignon lege man etwa Wert auf einzelne Arbeitsschritte. Alles in einem Topf zu schmoren sei zwar praktisch, dabei könne das Fleisch aber zerfasern - und dass hübsch aussehen soll, was auf dem Teller landet, versteht sich von selbst.

Die Vita des 38 Jahre alten Schwaben mit den sardischen Wurzeln, der zuletzt Sous-Chef in der Reitschule war, listet Hotels wie das Carlton in St. Moritz sowie das Stuttgarter Gourmetrestaurant 5. Eindruck aber hat vor allem die Zusammenarbeit mit dem Sternekoch Patrick Giboin hinterlassen, den Demuro im Cube kennenlernt, dem Restaurant des Stuttgarter Kunstmuseums. "Das war eine prägende Person für mich", sagt er. Froschschenkel mit Petersiliensoße, Enten und Tauben bereitet er an der Seite des Franzosen zu, und lernt dabei eine Sache ganz besonders zu beherzigen. "Selbst im größten Stress seine Soßen noch mal zu probieren."

Dass diese Liebe zum Detail nicht im Widerspruch steht zu einem gastronomischen Konzept, das für mehrere Städte erarbeitet wurde, sieht man im Colette auch am Interieur. Wo andere ihre Tische brav mit weißen Tüchern eindecken, da pflegt man an der Klenzestraße einen Look, der seine Lässigkeit aus einer stimmigen Komposition an Vintage-Möbeln zieht. Der Gast nimmt hier auf den - selbstredend restaurierten - Sitzen eines alten, französischen Zuges Platz oder auf der durchlaufenden Lederbank.

Leicht geschwungen zieht sich die Bar durch den Raum, auf dem Mosaikboden liegen Perserteppiche, alles très charmant! Und es ist kein Zufall, dass auch der Name des Restaurants aus einer Zeit stammt, als Raue gewiss noch nicht nach den Sternen griff. Süß, salzig und cremig, so schmeckte der Crêpe mit Bananen, gesalzener Butter und Vanilleeis, den er als Kind im Frankreichurlaub verputzte - am Wagen der Madame Colette.

Zehn Kandidaten

An die 5000 Gaststätten zählt München heute, noch nie gab es hier so viele Spielarten der Kulinarik wie heute, und noch nie hatte München so viele Sternelokale. Die Gastronomie hat gewaltig zugelegt in den vergangenen zehn Jahren, die Gäste sind anspruchsvoller geworden, sie gehen öfter aus als früher. Um sie zu locken, brauchen Gaststättenbetreiber oft ungewöhnliche Ideen. Die besten neuen gastronomischen Konzepte aus den vergangenen zwei Jahren zeichnen die Süddeutsche Zeitung und das Fachgeschäft Kustermann am Viktualienmarkt mit dem SZ-Gourmet-Award aus. Über den Gewinner entscheidet eine fünfköpfige Jury unter dem Vorsitz von Bobby Bräuer, Sternekoch im Esszimmer der BMW-Welt und Sieger des Gourmet-Awards 2014. Die zehn Kandidaten werden in einer Serie vorgestellt. SZ

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Quelle:
SZ vom 20.04.2016/infu
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