Am Ende wiegt die Last der Beweise wohl zu schwer, haben zu viele Zeugen und Sachverständige bestätigt, dass die Feuerschutztür im fünften Stock des Hauses an der Dachauer Straße 24 in jener tragischen Brandnacht am 2. November 2016 nicht verschlossen war, als drei Menschen in den Flammen starben. Mehr noch: Keiner der ehemaligen Bewohner des Hauses, die am Dienstag vor dem Münchner Amtsgericht als Zeugen vernommen werden, kann sich daran erinnern, diese Tür je geschlossen gesehen zu haben.
Sie hätte das Feuer, das aus dem zweiten Stock durch das Treppenhaus loderte wie durch einen Kamin, für 30 Minuten aufhalten können. 30 Minuten, in denen die Feuerwehr den 37-jährigen Aleksandar M. und seine beiden Töchter Zaprinka, 16, und Dona, 9, von der Straße aus über eine Leiter hätte retten können.
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Ein früherer Priester soll in Sankt Petersburg für den Einsatz in der Ukraine trainiert haben - das ist nach deutschem Recht strafbar. Pikant wird der Fall durch die Verwandtschaft des Angeklagten.
Nach fünf Stunden lassen der Bäckermeister und Eigentümer der Hauses, Johann Hölzl, und sein Hausmeister Peter T. über ihre Anwälte mitteilen, dass sie ihre Mitschuld einsehen und sich mit der Staatsanwaltschaft einigen wollen. Wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen in drei Fällen verurteilt das Gericht Hölzl und den Hausmeister T. zu jeweils anderthalb Jahren.
Die Freiheitsstrafen werden unter der Auflage zur Bewährung ausgesetzt, dass der Inhaber der Großbäckerei Hölzl der Witwe und Mutter der Opfer 20 000 Euro zahlt. Sie war zum Unglückszeitpunkt schwanger und zu Besuch in ihrer Heimat. Hausmeister T. muss 5000 Euro zahlen.
Teilnahmslos und ungeduldig wirkt Hölzl an diesem Tag im Sitzungssaal A 212 des Amtsgerichts. Der 67-Jährige ist im blauen Anzug mit rosa gestreifter Krawatte erschienen. Vor sich hat er einen Leitz-Ordner, ein großes Smartphone und ein Notizbuch in exaktem Winkel zur Tischkante platziert. Immer wieder lässt er den Verschluss des Ordners auf und zu schnappen, blättert durch die Dokumente ohne hinzusehen, rückt alles wieder gerade, so als wollte er damit auch ein bisschen die Verhältnisse gerade rücken, die im Zeugenstand geschildert werden.
Diese Schilderungen ergeben das Bild von einem Mietshaus, das bis auf den letzten Euro ausgenutzt werden sollte. Vor 150 Jahren wurde es errichtet, mit hölzernen Treppen und Treppengeländer. Schon Ende der 1960er-Jahre hatte Hölzls Vater den Dachboden umbauen lassen. Aus einer Wohnung wurden fünf Zimmer, die einzeln vermietet wurden.
Das Bauamt bemängelte, dass die Wohnungen von der Feuerwehr nicht über Leitern erreicht werden können, gab sich aber mit der Montage einer zusätzlichen Feuerleiter zufrieden, berichtet Stefan Köllmer, Brandsachverständiger vom TÜV Süd. "Das Dachgeschoss, wie wir es vorgefunden haben mit fünf Zimmern, war nie genehmigt. Aber es wurde geduldet", sagt Köllmer. Letztlich seien aber nicht diese baulichen Mängel die Ursache für den Tod von Aleksandar M. und seinen Töchtern gewesen, sondern die Brandschutztür im fünften Stock, die nicht geschlossen war - also menschliches Fehlverhalten.
500 Euro hätten sie bezahlt für ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer, berichteten Bewohner den Ermittlern. Keine Küche, eine Etagen-Dusche für zehn Personen und zwei Toiletten, eine für Frauen, eine für Männer. Es waren überwiegend Bulgaren und andere Osteuropäer, die sich mit diesen Bedingungen abfanden. Viele sprachen kein Deutsch; ob Warnschilder auf das Rauchverbot im Haus und auf die Notwendigkeit hingewiesen hätten, dass die Brandschutztür geschlossen gehalten werden muss, daran kann sich keiner der befragten Bewohner am Dienstag erinnern. Man muss wohl davon ausgehen, dass viele sie gar nicht hätten lesen können.
Schon 2008 hatte die Feuerwehr nach einer Besichtigung Mängel beanstandet. Danach war die Brandschutztür im fünften Stock eingebaut worden. Dass der Hauseigentümer, der im ersten Stock des Gebäudes sein Büro hat, und sein Hausmeister nicht konsequent darauf hingewirkt haben, dass sie geschlossen wird, wurde nun als fahrlässige Tötung ausgelegt.
"Vor der Tür stand eine kleine Bank", erinnert sich Adam P., der in der Brandnacht gegen 22 Uhr nach Hause gekommen war. Er bewohnte ebenfalls ein Zimmer im fünften Stock. Die Bank habe immer da gestanden, sagte er im Gericht. "Manchmal saßen da Leute und haben geraucht."
"War die Tür auch manchmal zu?", will der Vorsitzende Richter Vincent Mayr wissen. "Die letzten ein, zwei Jahre war sie nie zu", erinnert sich P. Schon 2014 hatte im Treppenhaus eine Matratze gebrannt, damals kam niemand zu Schaden. Auch der Brand im November 2016 ging von einer Matratze aus, die zwischen dem zweiten und dritten Stock im Treppenhaus gelagert wurde. Im Mai vergangenen Jahres war ein Prozess gegen einen 44-jährigen Hausbewohner mit einem Freispruch geendet, der beschuldigt wurde, aus Ärger über die Zustände im Haus die Matratze in Brand gesteckt zu haben. Doch dafür gab es keine Beweise.
Seinem Mandanten tue das, was passiert sei, sehr leid, sagt Hölzls Anwalt Askayar Mares. "Es nimmt ihn sehr mit, er hat erkannt, dass er mehr hätte tun müssen." Als der Richter Hölzl direkt anspricht, macht er eine wegwerfende Handbewegung und sagt einen Satz: "Ich schließe mich meinem Verteidiger an."