Süddeutsche Zeitung

Kritik:Nüchterne Kracher

US-Dirigent Michael Tilson Thomas und Geigerin Julia Fischer beim BR-Symphonieorchester im Herkulessaal.

Von Michael Stallknecht, München

Die Dritte Symphonie von Aaron Copland ist ein echter Kracher, auf amerikanische Weise überwältigend und unterhaltsam zugleich. Uraufgeführt 1946, verkörperte sie auch das neue Selbstbewusstsein der USA nach dem Sieg über Nazi-Deutschland, hörbar spätestens im vierten und letzten Satz mit der eingebauten "Fanfare for the Common Man". In Reihe Acht des Herkulessaals erreichen Schlagwerk und Blechbläser da schnell die Schmerzgrenze und machen deutlich, dass München möglichst bald wieder einen großen Konzertsaal bräuchte, den renovierten Gasteig oder, aus BR-Sicht noch besser, den neuen im Werksviertel. Schließlich hat das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks für das relativ seltene Werk eigens den US-amerikanischen Dirigenten Michael Tilson Thomas ans Pult gerufen, der zuletzt vor 30 Jahren bei ihnen zu Gast war.

In der ersten Hälfte dagegen ist mit der Geigerin Julia Fischer nicht nur ein echtes Münchner Hausgewächs zu erleben, sondern auch ein Stück, das qua Bekanntheit schon einigen Weihestaub angesetzt hat: Ludwig van Beethovens Violinkonzert. Michael Tilson Thomas geht betont nüchtern ran, formt die Orchesterphrasen schlank, eher kleinteilig, nimmt sie, inspiriert von der historischen Aufführungspraxis, nach einem Sforzato rasch wieder ins Piano zurück.

Besonders im Schlussrondo ganz vom Rokoko her gedacht, bleibt das Konzert hier freundliche, vielleicht etwas harmlose Spielmusik. Was durchaus zum schlanken, unprätentiösen Spiel von Julia Fischer passt, die einmal mehr vor allem durch absolute Klang- und Intonationsreinheit besticht. Die Figurationen spielt sie fantasievoll, aber leichthändig aus, während die traditionellen Kadenzen von Fritz Kreisler zum Zeugnis technischer Perfektion und eines fast schon orchestralen Geigenklangs werden. Spielerische Leichtigkeit und geigerische Bravour vereinen sich denn auch in ihrer Zugabe, der siebzehnten Caprice von Niccolò Paganini.

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