Kritik:Beklemmende Perfektion

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Daniel Harding dirigiert das BR-Symphonieorchester, hier bei der Probe. (Foto: Astrid Ackermann/BR)

Die Ukraine wird angegriffen, und im Herkulessaal spielt das BR-Symphonieorchester hartes Kriegstosen. Daniel Harding dirigiert, die Musiker folgen höchst präzise.

Von Egbert Tholl, München

Es ist seltsam befremdlich, an diesem Abend überhaupt in ein Konzert zu gehen. Die Stimmung im Herkulessaal macht die Sache nicht besser, mit 75 Prozent Auslastung hat der schüttere Andrang wenig zu tun. Was dann folgt, ist reine Beklemmung. Gustav Holst schrieb in der Zeit des Ersten Weltkriegs seine Suite "Die Planeten" für Orchester und im letzten der sieben Teile auch für einen magisch erscheinenden Frauenchor. Sieben Teile, sieben Planeten, aber das darf man sich sich nicht als astrologisch-esoterische Verstiegenheit vorstellen, eher als sieben menschliche Wesensmerkmale. Der erste Planet, der sozusagen vertont wird, ist der Mars, der den Krieg bringt.

Und deshalb: Beklemmung. Die Bögen der Streicher springen im Marschrhythmus auf den Saiten, später werden diese hart gestrichen. Ein dunkles Blechdonnergrollen hebt an, ein Wogen und Toben, eine Sehnsucht nach einen Sieg. Zäsur, der Marsch hält inne, die Musik schwebt wie über einem verheerten Schlachtfeld, dann rollt die Kriegsmaschine wieder an, hart, unerbittlich, unaufhaltsam. Die Ukraine wird von russischen Truppen überfallen, und im Herkulessaal spielt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dieses harte Kriegstosen. Spielt es mit einer geradezu unverschämten Perfektion, was die Wirkung an diesem Abend nur noch schlimmer macht. Natürlich, da kommen noch andere Planeten, andere Stimmungen, kommt die Liebe und das gnädige, herrlich schöne Alter, kommt die Mystik, mit dem Frauenchor, ein grandioses Ende. Aber was bleibt, ist der Krieg.

Daniel Harding, der hochbegabte, ewige Kronprinz des BR-Symphonieorchesters, hat zusammen mit selbigem einen Abend, an dem sie alle miteinander nichts machen, was man besser machen könnte. Höchste Dirigier- und Musizierklasse. Nach den "Planeten" Strawinskys "Petruschka", in der späten Konzertfassung, auch die noch stark erzählend, prallvoll mit alten Melodien, die an diesem Abend ein Trost sind. Wie eine Erinnerung, an Leben, an Gefühle, Liebe. Und auch Tod.

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