Boxen:Angezählt

Den Boxern des TSV 1860 München droht der Verlust ihrer Halle an der Auenstraße. Trotz früherer Zusagen der Rathausspitze, ihnen zu helfen, haben die Sportler noch immer kein Ausweichquartier in Aussicht

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Vieles hat sich in jüngster Zeit ereignet bei den Boxern des TSV 1860 München. Drei bayerische Meistertitel haben sie erkämpft, auch ein Dokumentarfilm wurde kürzlich über sie gemacht, gedreht während ihrer Aufenthalte im Trainingslager in Ghana: "Lionhearted" bekam auf dem jüngsten Dok-Fest München den Publikumspreis. In einer überlebenswichtigen Angelegenheit hat sich für die Sportler jedoch gar nichts bewegt: Ihnen droht 2021 das Aus, sie haben dann kein Quartier mehr.

Dass dieser Fall eintreten wird, dass Münchens größte Boxabteilung bald ohne Trainingsmöglichkeit dastehen wird, ist freilich nicht neu. Die Stadt hat Trainer Ali Cukur und seiner Boxabteilung bereits vor viereinhalb Jahren gedroht, sie vor die Tür zu setzen. Denn die Löwen-Heimat an der Auenstraße 19 soll abgerissen werden, die Fläche wird für einen seit langem notwendigen Anbau der Wittelsbacher-Schule benötigt. Zwar hatten OB Dieter Reiter (SPD) und sein damaliger Stellvertreter Josef Schmid (CSU) den TSV-Boxern ihre Unterstützung bei der Hallensuche zugesagt, zum Erfolg führte ihr Einsatz aber nicht.

Boxen: Löwen-Training: Boxer des TSV 1860 wurden mit den harten Bedingungen ghanaischer Boxer in den Slums von Accra konfrontiert.

Löwen-Training: Boxer des TSV 1860 wurden mit den harten Bedingungen ghanaischer Boxer in den Slums von Accra konfrontiert.

(Foto: Aus "Lionhearted-Aus der Deckung"/oh)

"Wir wissen nicht, wie lange das noch gut geht", sagt Cukur besorgt. Das Referat für Bildung und Sport (RBS), das in München für die Hallenvergabe zuständig ist, habe ihm mitgeteilt, er solle sich auf dem freien Markt ein Ersatzquartier suchen. Vor drei Monaten habe er sich an OB Reiter persönlich gewandt, dieser soll das Anliegen an das RBS weitergeleitet haben, das wieder antwortete, derzeit gebe es keine Kapazitäten. "Wir sind abgefertigt worden", sagt Ali Cukur.

Die Stadt baue ihre Hallen in erster Linie für den Schul-, nicht für den Breitensport, rechtfertigt die Pressesprecherin des RBS das Vorgehen der Verwaltung. Dazu sei sie gesetzlich verpflichtet. Zwar forciere der Stadtrat, dass mehr Hallen gebaut würden, damit Vereine, die Jugendliche förderten, ebenso zum Zuge kommen. Doch gebe es strikte Vergaberegeln, es müsse gerecht und transparent zugehen. In München gebe es 700 Sportvereine mit fast 600 000 Mitgliedern - der Topf werde anteilig und nach klaren Förderrichtlinien verteilt.

Lionhearted - Aus der Deckung

Löwen-Herz: Der ehemalige Boxer Ali Cukur glaubt fest an seine Jugendlichen.

(Foto: First hand Production/oh)

Ohne Halle müssten die meist jugendlichen Boxer aufgeben. Der Hallen-Notstand wird voraussichtlich auch Thema bei der Mitgliederversammlung des TSV 1860 am Sonntag sein. Die Halle an der Auenstraße sei "ein zentraler Punkt für die Löwen", sagt Vereinsmanagerin Viola Oberländer. Für den Verein gehe ihre Bedeutung sogar über die leistungsstarke Boxabteilung mit 460 Mitgliedern hinaus. Auch die Ringer und Tischtennisspieler trainierten an der Auenstraße. Ebenso finde dort das Kinderturnen statt - insgesamt seien mehr als tausend TSV-Sportler betroffen. Falle die Halle weg, bedeute das oft nicht nur den Verlust einer Trainingsstätte, sagt Oberländer. "Viele Sportler verlieren damit auch den Zugang zur Gemeinschaft und zu ihren Mannschaften." Es habe immer wieder Gespräche mit dem RBS gegeben, erst kürzlich noch - wieder ohne eine Lösung. Der Verein sei auch seit geraumer Zeit auf der Suche nach einem Areal, um selbst eine Halle zu bauen - ein schwieriges Unterfangen in einer Stadt mit Flächenmangel. "Wir sehen hier die gesamte Weiterentwicklung unseres Vereins als sehr kritisch", sagt Viola Oberländer.

Vor allem für einige der jugendlichen Boxer könnte der Hallenverlust einen Bruch bedeuten. Viele von ihnen hätten einiges durchgemacht im Leben, einige Gefangenen- oder Drogenkarrieren hinter sich, erzählt die Filmemacherin Antje Drinnenberg im Anschluss an die Dreharbeiten zu "Lionhearted". Für sie sei ihr Trainer Ali Cukur Vorbild, Vater, Lebensretter. Ein starker Charakter, so beschreibt sie Cukur, der auch Menschen aus prekären Verhältnissen Brücken baue, Vertrauen schaffe und dann ihre Werte auf den Prüfstand stelle. Im Ring bringe er ihnen bei, ihre Wut zu bändigen, die Kontrolle zu behalten. Boxen als Training für das echte Leben. Und warum Ghana? Cukur wollte seinen Schützlingen vermitteln, dass die Annehmlichkeiten in Europa keine Selbstverständlichkeit seien, so Antje Drinnenberg. Und dass man sich auch aus noch schwierigeren Verhältnissen hocharbeiten könne. Der Film, den auch Regisseur Marcus Rosenmüller unterstützt, soll ein zweites Mal am 28. Juli bei den Münchner Filmkunstwochen laufen. Die Dok-Festival-Leitung gab bekannt, dass er als Teil der Dok-Tour bayernweit in 20 Kinos zu sehen sein wird.

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