Es gibt wahrlich schlimmere Orte, um so allmählich in den Arbeitstag hineinzugleiten. Das Dukatz in Schwabings Haimhauserstraße nennt sich Patisserie/Café, ist aber natürlich sehr viel mehr, und zwar: süßer Verführer, Seelenstreichler, Hort der Feinkost. Nur ein paar Stichworte: Brioches, Petits Fours, Éclairs, Macarons, selbst ein schnödes Sandwich kommt als schlankes Fl´ùte mit Ziegenkäse, Trüffelcreme und Honig daher. Wer hier frühstückt, lädt sich auf vielen Ebenen auf, insofern haben Constanze Lindner, Michael Altinger, Alexander Liegl und Gabi Rothmüller einen guten Ort gewählt, um sich für das bevorstehende Tagwerk zu stärken. Ein paar Schritte sind es nur zum gemeinsamen Arbeitsplatz: das seit einer halben Ewigkeit verwaiste Lustspielhaus. Hier probt das Schauspiel-Trio unter Regisseurin Rothmüller gar Ungeheuerliches: eine Boulevardkomödie mit sage und schreibe 17 Rollen. Ein Stück, das jeder zu kennen glaubt, aber garantiert so noch nie gesehen hat: "Ratatata! Die wirklich wahre Geschichte von Bonnie & Clyde". Am Montag steigt im Schlosspark der Katholischen Akademie die Premiere, von 5. bis 12. September ziehen die Drei um in den Garten der Seidlvilla, und - so Corona will - sollen im kommenden Frühjahr weitere Aufführungen im Lustspielhaus folgen.
Bonnie Elizabeth Parker und Clyde Chestnut Barrow also. Geboren in Texas, gestorben in Louisiana, am 23. Mai 1934, im Kugelhagel. Ihr Ford V8 glich einem Sieb. Unsterblich ist das Pärchen dennoch, spätestens seit der Verfilmung von 1967, mit Warren Beatty und Faye Dunaway. So weit, so bekannt. Aber was passiert, wenn wildgewordene Kleinkunstgrößen wie Lindner, Altinger und Liegl das Thema in die Hand nehmen? Nun, ohne allzu viel zu spoilern: Man kann wohl von kurzem Prozess sprechen. Ratatata, nix mehr übrig vom Original. Halb so wild, dafür gibt's ja neuen Stoff, aus der Feder von Alexander Liegl. Der hatte sich auf die Suche nach Komödien mit wenigen Schauspielern begeben und war bei Ephraim Kishons "Es war die Lerche" hängengeblieben: Romeo und Julia 20 Jahre später, geschlagen mit einer 14-jährigen pubertierenden Tochter. Diese Grundidee hat Liegl übernommen, den Kollegen eine Auflistung berühmter Paare vorgelegt, "und dann war es sofort mein Wunsch, Bonnie & Clyde zu spielen", sagt Altinger, "da kracht's am meisten, das ist Liebe, Hoffnung, Roadmovie."
Die schweren Gewehre sind Spielzeugware, wenn auch täuschend echt in der Anmutung
Lindner und Altinger erscheinen schwer beladen zum Gespräch im Dukatz: Er schleppt eine Art Volksempfänger, sie ein weißes Tischchen und unter jedem Arm einen Kopf samt Perücken. "Darf ich vorstellen: Das ist Bonnie, war frisch beim Friseur", albert Lindner los, "und das hier ist Silvia Mobarsky, eine nymphomane Personal Trainerin, die ihren Körper gut einsetzt - und die der anderen gerne nutzt." Altinger, der es tatsächlich schafft, im Dukatz nur Wasser und Butterbreze zu bestellen ("Wenn ich da mal anfange, brauche ich noch eins und noch eins"), erklärt, was es mit dem klobigen Radio auf sich hat: "Damit können wir unsere Ton-Einspieler selber machen, sozusagen ein Digitalradio für Ballerzwecke, Sonderanfertigung. Wenn man das kaufen will, kostet es 6000 Euro. Drei Monate hat unser Typ daran gebastelt." Noch schwieriger im Transport sind die Wummen, die in diesem Stück nicht fehlen dürfen: zwei je sieben Kilo schwere Maschinengewehre vom Typ "Chicago Typewriter" sowie vier Revolver, alles natürlich Spielzeugware, wenn auch täuschend echt in der Anmutung. Altinger sagt: "Mit der U-Bahn kann ich nicht zur Arbeit fahren, wenn ich das Ding dabei habe. Das könnte richtig Stress geben." Deshalb brauchte es für die Vorstellungen auch eine Genehmigung vom Landratsamt. "Es gab schon Theaterproduktionen, die Völkerschlacht gespielt, deswegen Ärger bekommen haben und tatsächlich von der Polizei verhaftet wurden", erzählt Altinger.
"Rein, raus, umziehen, singen" - alle nehmen den Multi-Rollen-Stress gern in Kauf
Wird ihnen nicht passieren, aber an Waffen kommt man in dieser Geschichte eben nicht vorbei. Altinger verrät nur so viel: "Bonnie und Clyde haben vereinbart, dass sie nie wieder Waffen im Haus haben - aber dann bekommen sie ständig welche geliefert! Und sie wissen nicht, von wem und warum. Dann erschießen sie versehentlich auch noch jemanden..." Es dürfte also schön bunt zugehen, wie bei dieser Konstellation nicht anders zu erwarten. "Wir wollten schon so lange was zusammen machen", sagt Lindner, und dafür nimmt sie den Multi-Rollen-Stress gern in Kauf: "Rein, raus, umziehen, singen, auch noch lässig singen: Ahhhh! Aber wir haben uns das ja so gewünscht." Kollege Altinger meint: "Gespannt sind wir schon, wie es uns nach den Tänzen gehen wird. Das wird richtig körperlich. Es ist ja nicht eine Sekunde Pause, ständig Missverständnisse, Überraschungen - und hinter der Bühne umziehen und in die nächste Rolle schlüpfen. Erst so langsam wisse jeder, welche Szene auf welche Szene folgt, sagt Altinger: "Gestern hatte ich nur zwei falsche Umzüge. Man merkt's an der Reaktion der Kollegen, dass man gerade den falschen Hut oder Mantel anhat." Eigentlich könne man diesen Wechselwahnsinn nur im Ganzen üben, "um den Groove zu spüren und Routine reinzukriegen", aber mehr als eine Handvoll Durchläufe werden es bis zur Premiere nicht werden. Constanze Lindner ficht das nicht an: "Es muss ja spannend bleiben. Wenn wir's vorher schon könnten, wär's ja total feig."