Kritik:Rotzen im Scheinwerferlicht

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Polizeiaufgebot und Flammenwerfer: Die Rapper Bonez MC und RAF Camora beim Tourabschluss in der Münchner Olympiahalle.

Von Stefan Sommer

Rotzen im Scheinwerferlicht ist reine Timingfrage. Jenen Speichelausfluss, jenen ach so badboyhaften Bruch mit Benimmregeln vergangener Zeiten, vollführt der Rapper Bonez MC beim Konzert in der Olympiahalle so präzise, so perfekt ausgeleuchtet, so sehr im richtigen Moment, als hätte er im Leben nie etwas anderes getan. Für eine Nahaufnahme von ihm, die plötzlich auf allen Videoleinwänden gleichzeitig zu sehen ist, reißt er sich die Sturmmaske vom Gesicht. Und tut, was Fußballer tun, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Durch goldene Grillz - eine Zahnspange, die keine dentalen Fehlstellungen korrigieren will - schießt formvollendet der Gangsterrapperauswurf.

Der Auftritt des Hamburger 187-Straßenbande-Kopfes Bonez MC mit dem West-Wiener Rapper und Produzenten RAF Camora am Donnerstagabend ist der Abschluss ihrer "Palmen aus Plastik 3"-Tour. Es ist das Ende einer Trilogie, die 2016 mit dem ersten "Palmen aus Plastik" begann, einem der erfolgreichsten, deutschsprachigen Alben aller Zeiten. Bis heute wurde ihre wegweisende Afrotrap-Platte mehr als hundert Millionen Mal gestreamt und hielt sich über zwei Jahre in den deutschen Album-Charts. Von französischen Künstlern wie MHD inspiriert, erfanden sie deutschen Dancehall neu. Auch die Sequels "Palmen aus Plastik 2" und "Palmen aus Plastik 3" brachen Streamingrekorde.

Die Albumcover dafür entstanden vor einer Betontreppe am Stadtstrand von Barcelona. Auch in der Olympiahalle steht sie im Zentrum der dschungelhaften Kulisse, vor der die versierten Entertainer Bonez MC und RAF Camora ihre Hits mit nicht unproblematischen Weggefährten wie GZUZ performen. Die große 187-Show: tiefe Bässe, Flammenwerfer, Productplacement, Polizeigroßaufgebot draußen vor der Halle. Ja, unterhaltsam wie ein Marvel-Kinofilm, aber ja, auch ähnlich überraschend.

Also zurück zum choreographierten Speichel: Was, wie die Übersprungshandlung eines Straßenkämpfers aussehen soll, könnte Teil einer hochprofessionellen Show sein. Denn die Bildregie in der Halle dürfte vorab gewusst haben, wann und auch vor welcher Kamera es passieren muss. Ohne eine Absprache wäre es ja reinster Zufall, dass sie für die Videowände in exakt diesem Moment aus all den Kameras im Raum exakt die Kamera auswählt, die seinen Frank-Rijkaard-Moment einfängt. Außer man hätte Bonez MC im Vorfeld aufgezeichnet. Und würde sein Spucken jeden Abend von Band einspielen. Aber wäre das nicht seltsam?

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