Süddeutsche Zeitung

Bombenalarm in München:Fataler Spätzünder

Manche Weltkriegs-Bomben waren so konstruiert, dass sie teilweise erst Stunden nach dem Abwurf explodierten - und so Lösch- und Aufräumarbeiten behinderten. Wie die Bombe funktioniert, die nun erstmals in München gesprengt wurde.

Andreas Schubert

Erstmals ist nun in München eine Weltkriegs-Bombe mit chemisch-mechanischem Langzeitzünder gefunden worden. Deren Funktionsweise war besonders perfide. Denn anders als die Bomben mit Aufschlagzünder waren sie so konstruiert, dass sie erst mit Zeitverzögerung explodierten - und ihre verheerende Wirkung zeigten, wenn die Gefahr des Luftangriffs scheinbar vorbei war. Eine Verzögerung von zwei bis 144 Stunden sei möglich gewesen, teilt der Bund Deutscher Feuerwerker und Wehrtechniker (BDFWT) mit. Und noch heute sind die Bomben extrem gefährlich: Vor zwei Jahren kamen bei der Detonation jenes Bombentyps in Göttingen drei Menschen ums Leben.

Im Zweiten Weltkrieg setzten sowohl die Amerikaner als auch die Briten Bomben mit dieser Art Langzeitzünder ein. Vereinfacht dargestellt funktionierte dieser so: Um die zeitlich verzögerte Explosion zu erreichen, war der Schlagbolzen mit Kunststoffscheiben aus Zelluloid und sogenannten Haltekugeln gesichert.

Der Zünder befand sich am Heck der Bombe, damit er beim Aufprall nicht beschädigt wurde. War die Bombe vom Flugzeug ausgeklinkt, begann sich durch die anströmende Luft des freien Falls ein Propeller zu drehen, der die sogenannte Auslösespindel in das Zündergehäuse schraubte. Dabei zerstörte sie eine Glasampulle mit dem Lösungsmittel Aceton. Wurde dieses freigesetzt, weichte es das Zelluloid auf. Je nachdem, wie hoch das Aceton konzentriert war, wie viele Scheiben eingebaut oder wie dick diese waren, verzögerte sich die Explosion. War das Zelluloid ausreichend weich, drangen die Haltekugeln unter Federdruck in die Kunststoffmasse. So wurde die Schlagbolzenbefestigung frei und die Federung schnellte den Schlagbolzen auf den Detonator.

Was die Entschärfung so schwierig und gefährlich macht: Die Zünder waren mit einer Ausbausperre versehen, die noch heute Sprengmeistern Probleme verursacht. So lösen sich beim Versuch, den Zünder von der Bombe abzudrehen, die Haltekugeln ebenfalls. Das geht so: Wenn der Zünder aus der Bombe geschraubt wird, dreht sich nur dessen oberer Teil. Nach einigen Umdrehungen entsteht ein Spalt, die Haltekugeln weichen seitlich in diesen aus und der Schlagbolzen wird von der vorgespannten Ausbausperrfeder auf das Zündhütchen gestoßen.

Wie der BDFWT in einer Pressemitteilung schreibt, sind die Langzeitzünder besonders unfallträchtig. Das war seinerzeit die Absicht der Konstrukteure. Eigentliches Ziel sei es gewesen, noch Stunden oder Tage nach einem Bombenangriff Explosionen auszulösen und so Lösch- oder Bergungsarbeiten zu verhindern. Dass es noch heute Blindgänger gibt, kann unter anderem daran liegen, dass sich die Bomben beim Aufschlag in weiches Erdreich drehten, und so das Aceton nicht wie vorgesehen auf die Zelluloidscheiben fließen konnte.

Blindgänger oder Versager?

Ein zusätzliches Risiko besteht darin, dass äußerlich bei Bomben dieses Typs nicht zu unterscheiden ist, ob es sich um einen Blindgänger handelt, bei dem der Zündmechanismus tatsächlich versagt hat, oder ob es ein sogenannter Versager ist, der nur noch nicht ausgelöst hat.

Die Gefahr, in der sich die Gäste der Schwabinger 7 jahrzehntelang befanden, ist kaum auszumalen. Denn chemische Langzeitzünder können auch ohne jegliche Fremdeinwirkung unwillkürlich explodieren. Und zwar dann, wenn der Zelluloidstreifen nachgibt, weil das Material alt ist. So kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Explosionen. Einige davon hatten fatale Folgen. Im August 1990 kamen im hessischen Wetzlar zwei Entschärfer ums Leben, im Juli 2003 starben ebenfalls zwei Spezialisten in Salzburg, und im Juni 2010 geschah der jüngste tödliche Unfall in Göttingen.

Welche explosiven Altlasten noch im Boden schlummern, ist nach Auskunft des bayerischen Innenministeriums völlig unbekannt und auch nicht abzuschätzen. Fest steht: Vergangenes Jahr mussten Spezialisten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes in etwa 1000 Einsätzen mehr als 60 Tonnen Weltkriegsmunition entschärfen. Dazu zählten Bomben, Granaten und Schusspatronen. Die gefährlichsten Funde waren 214 Spreng- und Splitterbomben mit zusammen fast sieben Tonnen Sprengstoff. Dass Innenministerium geht davon aus, dass es noch zahlreiche solcher Altlasten des Zweiten Weltkriegs gibt. Wer Kampfmittel finde, etwa bei Bauarbeiten müsse sofort die Polizei alarmieren und solle auf gar keinen Fall selbst Hand anlegen.

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SZ vom 29.08.2012/mkoh
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