Süddeutsche Zeitung

Bogenhausen:Niemanden auf der Strecke lassen

Hundekottüten, ein neues Postamt, Gütergleisausbau und die Planungen für ein Großquartier: Die Anwohner schlagen in der Bürgerversammlung mit ihren Anträgen einen beachtlichen Bogen

Von Ulrike Steinbacher, Bogenhausen

Wie sorgt man in einer Stadt, die immer weiter wächst, dafür, dass niemand auf der Strecke bleibt? Unter dieser Leitfrage lassen sich die 67 Anträge zusammenfassen, die die Bogenhauser bei ihrer Bürgerversammlung am Donnerstagabend zur Entscheidung stellten. Als die CSU-Stadträtin Evelyne Menges die Abstimmung schließlich gegen 22.30 Uhr eröffnete, waren drei Viertel der etwa 400 Besucher allerdings schon nach Hause gegangen.

Das übrig gebliebene Häuflein Aufrechter votierte dafür, mit einer verbindlichen Personalbemessung die "desaströse Pflegesituation" an Münchens Krankenhäusern zu verbessern, und appellierte an die Stadt, Menschen über 70 vor Wohnungskündigungen und Räumungsklagen zu schützen. Unterstützung fand auch der Vorschlag, südlich der Wahnfriedallee eine Brücke für Fußgänger und Radfahrer über die vierspurige Effnerstraße zu schlagen, die dort die Grünanlage zerschneidet.

Die Versammlung nahm Anträge an, die Schlagloch-übersäte Oberföhringer Straße zu asphaltieren, Geschwindigkeitskontrollen an der Mauerkircher Straße durchzuführen, Tempo 30 auf der Ismaninger Straße anzuordnen, die Parkplätze auf einer Seite der Vollmannstraße zu streichen, um Fußgängern, Radlern und Autofahrern mehr Platz zu geben, und zwischen Daglfing und Denning eine durchgehende Fahrradstraße auszuweisen mit einem acht Meter tiefen Aufstell-Streifen vor dem Bahnübergang für die vielen Radlerinnen und Radler.

Eine Mehrheit gab es für den Antrag, "zum nächstmöglichen Zeitpunkt" wieder ein zentrales Postamt in Bogenhausen zu eröffnen, da die einzige verbliebene Post an der Meistersingerstraße "unter ständiger Überfüllung leidet" und "Schlangen frustrierter Kunden bis auf die Straße stehen". Die Bogenhauser forderten Hundetüten-Spender an allen Eingängen zum Zamilapark, Aschenbecher an allen Bus- und Tramhaltestellen, damit keine Kippen mehr auf dem Boden landen, ordentlichen Lärmschutz bei Baumaßnahmen im Arabellapark und eine Zeitbegrenzung für den Einsatz von Laubbläsern und -saugern. Sie sprachen sich für ein Verbot privaten Silvester-Feuerwerks aus und votierten wie jedes Jahr für den sofortigen barrierefreien Ausbau des S-Bahnhofs Johanneskirchen, der in einem "verheerenden Zustand" sei. Wie jedes Jahr dürfte die Deutsche Bahn darauf allerdings mit einer abschlägigen Antwort reagieren und argumentieren, dass die Bahnstrecke viergleisig ausgebaut werde und eine vorherige Bahnhof-Sanierung sich daher nicht mehr rentiere. Für die Fertigstellung des Umbaus angepeilt ist derzeit übrigens das Jahr 2037.

Der viergleisige Bahn-Ausbau zwischen Daglfing und Johanneskirchen sowie das geplante neue Stadtviertel für 10 000 bis 30 000 Menschen gleich nebenan, die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) Nordost, waren den Bürgern ebenfalls wichtige Anliegen. Etwa ein Viertel der Anträge beschäftigten sich mit den beiden Großprojekten. Die Bogenhauser, das machten sie dabei Abstimmung um Abstimmung deutlich, wollen nicht von unausgegorenen Planungen überrollt werden, fordern Mitspracherecht und bestehen darauf, dass die Infrastruktur funktioniert, ehe neue Wohnungen entstehen.

Der Ausbau der Bahnlinie gilt eigentlich als Baustein auf diesem Weg. Die Gleise von Flughafen-S-Bahn und Güterzügen sollen entflochten werden, was Express-Züge im 15-Minuten-Takt auf der Linie S 8 und eine Verdichtung des Güterverkehrs ermöglichen würde. Die Stadt will dafür auf eigene Kosten einen Tunnel bauen, weil die geplante SEM östlich der Trasse eine vernünftige Anbindung Richtung Zentrum braucht. Inzwischen steht aber fest, dass sich die Zahl der Güterzüge auf der Strecke mindestens verdreifacht, was die Frage aufwirft, ob nicht die Bahn für den Tunnel aufkommen muss, aus Lärmschutzgründen. Deren Vertreter äußern sich zu dem Projekt öffentlich bislang nicht.

Vertreter des Vereins Bahntunnel von Zamdorf bis Johanneskirchen stellten eine Reihe komplexer Anträge, die Transparenz und Verträglichkeit der Ausbauplanung sicherstellen sollen. Der Vorsitzende Klaus-Walter Kröll forderte ein eigenes "Schienenverkehrsszenarium 2050 in München für Güter- und Personenverkehr", also einen langfristigen Planungshorizont. Schatzmeister Walter Schink beantragte, dass eine verbindliche Zahlenbasis für die drei möglichen Ausbauvarianten Tunnel, Trog und oberirdische Strecke veröffentlicht wird. Und Krölls Stellvertreter Roland Krack forderte, dass die Stadt einen Bahnprojekte-Koordinator bestellen solle, um den Überblick zu behalten und die Verantwortung zu bündeln.

Ein Junktim zwischen Bahnausbau und SEM-Planung stellte neben einer Reihe anderer Bürger Daniela Vogt her, die Vorsitzende des Vereins Bündnis Nordost. Sie beantragte mit Zustimmung der Bogenhauser die sofortige Aussetzung des SEM-Verfahrens, bis der Bahntunnel gebaut ist. Überdies sollten die Zahl der Bewohner auf 10 000 und der Arbeitsplätze auf 2000 begrenzt werden, setzte sie hinzu.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4656038
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.