Bogenhausen:Den Moosgrund nicht zu Tode lieben

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Weitläufig, von offenen Wiesen, gelegentlichen Reitern auf Pferden und von Landwirtschaft geprägt: Das Gebiet am nordöstlichen Stadtrand dürfte sich in weiten Teilen ändern, wenn dort eine fünfstellige Zahl von Bewohnern angesiedelt wird (Foto: Florian Peljak)

Mehr als 200 Zuhörerinnen und Zuhörer verfolgen die zweite Online-Debatte zur künftigen Bebauung im Nordosten der Stadt. Der emotional geführte Begleit-Chat ringt den Teilnehmern konkretere Statements ab.

Von Thomas Kronewiter, Bogenhausen

Wie viele Neuzuzügler verkraftet der östliche Stadtrand? Sind dort Landwirtschaft und Pferdesport noch möglich, wenn einmal bis zu 30 000 Menschen angesiedelt werden sollen? Welchen Druck übt eine solche Großsiedlung auf das künftige Bogenhauser Landschaftsschutzgebiet Moosgrund und die Landschaft im Osten insgesamt aus? Fragen wie diese hatte sich der zweite Diskussionsabend zur geplanten Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) östlich der S-Bahnhöfe Englschalking, Daglfing und Johanneskirchen gestellt. Die Zoom-Präsentation unter dem Titel "Welcher Raum bleibt für Klima- und Naturschutz, Naherholung und stadtnahe Landwirtschaft?" über circa 100 Minuten, der in der Spitze mehr als 200 Zuhörer folgten, vermochte darauf aber nur bedingt Antworten zu geben. Das lag vor allem an der Struktur des Abends, der nach den Eingangs-Referaten der Diskutanten eigentlich schon fast am Ende der zunächst selbst gesetzten 90 Minuten angekommen war.

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Es bedurfte also eines gut viertelstündigen Nachschlags, um wenigstens ein paar der parallel in einem mitunter kundig und interessiert, mitunter aber auch sehr emotional, gelegentlich unsachlich geführten Chat geäußerten Ansichten aufzugreifen. So verwies Regine Keller, Landschaftsarchitektin und dafür ebenso wie für den öffentlichen Raum zuständig an der Technischen Universität München, auf den unbestreitbaren Druck hin, der von einer künftigen Siedlung auf benachbarte Freiräume wie den Moosgrund ausgehen dürfte. "Auch die Isar wird im Sommer zu Tode geliebt", sagte sie. Ähnliche Probleme gebe es auf den stadtnahen Schutzgebieten am Nordrand wie etwa der Nordhaide oder der Fröttmaninger Heide. Verhindern lasse sich das nur, wenn die Bereiche, die tatsächlich der Naherholung dienen sollten, attraktiv und (mit dem Fahrrad) gut erreichbar seien, Wegeführungen - zum Beispiel an Brut- oder Laichgebieten vorbei - gut geplant würden. Dass es darum gehe, gerade das von Hachinger Bach und Hüllgraben ausgehende Wasserreservoir pfleglich zu behandeln, weil es ein angenehmes Kleinklima erhalte und viel Potenzial habe, unterstrich ihre für Landschaftsarchitektur und Freiraumplanung verantwortliche Kollegin von der TU Berlin, Undine Giseke.

Kritisch sah Christian Hierneis vom Bund Naturschutz, zugleich Landtagsabgeordneter für die Grünen, die Größe der geplanten Ansiedlung. "Wenn ich alles zubaue, kann ich keine regionale Landwirtschaft erhalten." 10 000 Menschen seien das Maximum. Sinnvolle Nachverdichtung findet in seinen Augen besser auf ohnehin versiegelten Flächen (wie Parkplätzen) oder durch Aufstockung bestehender Gebäude statt. Wie wichtig Grünflächen seien, habe die Corona-Pandemie gezeigt. Im Januar 2020 hat ein Preisgericht über den städtebaulichen und landschaftsplanerischen Wettbewerb entschieden, der Entwürfe jeweils für 10 000, 20 000 und 30 000 Bewohner vorstellte. Gewonnen hat diesen Wettbewerb die Arbeitsgemeinschaft Rheinflügel Severin (Düsseldorf) mit BBZ Landschaftsarchitekten (Berlin).

Den auch im Begleit-Chat immer wieder auftauchenden Vorwurf, jede weitere Ansiedlung löse zusätzliche Probleme aus, griff die ehemalige Stadtbaurätin Christiane Thalgott als Moderatorin des Abends auf. Wer Arbeitsplätze schaffe, ziehe Gewerbesteuer in die Kommune, schaffe aber auch Wohnbedarf. Wer Wohnungen baue, werde aber oft für die damit einhergehenden Infrastrukturkosten nicht zur Kasse gebeten. Um das davon herrührende "Ungleichgewicht" zu beseitigen, müsse das deutsche Steuerrecht geändert werden - ein Fall für den Bundesgesetzgeber. Den Vorwurf aus der Chat-Gruppe, Eigentümer im SEM-Gebiet würden "massiv psychisch unter Druck gesetzt", ließ die Diskussionsleitung unkommentiert, nicht aber die Klage, es werde zu schlecht kommuniziert. "Die Stadt will nicht reden, deshalb die SEM", lautete ein Vorwurf, den Thalgott möglicherweise nicht im Hinblick auf die Absicht, aber auf die Wirkung teilte: Kommunikation habe in der Tat "bisher unzureichend stattgefunden". Eine Auffassung, der auch Dagmar Wagner für den Bayerischen Bauernverband beipflichtete. Die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme sei keine Basis, sagte sie und sah gegebenenfalls eine "langjährige Klagewelle auf die Stadt zukommen". Die Vertretung der Landwirte trete deshalb für ein kooperatives Vorgehen ein.

Angst vor Erholungsdruck auf das Landschaftsschutzgebiet Moosgrund haben viele Naturschützer. (Foto: Ingrid Roemer/oh)

Als Beitrag zur Debatte wollte Winfried Eckardt, Stadtbereichsleiter der Münchner Volkshochschule und damit Mitorganisator des Veranstalterkreises, der Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht, des Bayern-Forums der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Evangelischen Stadtakademie und der Münchner Volkshochschule sowie des Nord-Ost-Forums, auch den Abend verstanden wissen. Der Chat-Verlauf soll jetzt protokolliert und politischen Entscheidungsträgern zugänglich gemacht werden.

Die Diskussionsreihe "Nach dem Wettbewerb: Qualitätsfragen für die Entwicklung eines lebendigen Stadtquartiers im Münchner Nordosten" soll zudem fortgesetzt werden: Am Donnerstag, 14. Januar 2021, geht es von 19 Uhr an um "Anwohnerfreundlichen Bahnausbau und ein nachhaltiges Mobilitätskonzept als Erfolgsfaktoren für den neuen Münchner Nordosten". Ob die Debatte mit Live-Publikum oder wieder nur als digitale Konferenz stattfinden kann, wird noch festgelegt. Nach einer Anmeldung bei einem der Veranstalter erhalten Interessierte gegebenenfalls einen Link.

© SZ vom 11.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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