Süddeutsche Zeitung

Bogenhausen:Das schwarze Loch

Bei den Planungen der Stadt und am Bürgerstammtisch spielt der Bahn-Tunnel zwischen Daglfing und Johanneskirchen eine zentrale Rolle. Mit einer Fertigstellung wird mittlerweile nicht vor dem Jahr 2030 gerechnet

Von Renate Winkler-Schlang, Bogenhausen

Ohne den Tunnel für die Bahn zwischen Daglfing und Johanneskirchen hätte das Planungsreferat gar nicht weiter gemacht mit seiner bisherigen Planung für das große Neubaugebiet östlich dieser Bahn-Trasse, in dem einmal mindestens 10 000 Menschen leben sollen. Dies erklärte Norbert Wendrich, der leitende Verwaltungsdirektor des Referates, am Mittwochabend beim Bürgerstammtisch für die SEM - wie diese Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme abgekürzt heißt. Noch habe der Stadtrat den Beschluss, den Tunnel, den die Bahn nicht finanziert, selbst zu bezahlen, formal nicht gefasst. Doch die Rathaus-Koalition habe bekundet, zur Röhre zu stehen, auch wenn der Kämmerer durchaus "nervös" geworden sei, wie Wendrich sagte. Es sei aber nun mal "nicht egal" für das Baugebiet, ob der Tunnel komme oder nicht, er sei vielmehr die unabdingbare "Ausgangsannahme". Auch Angelika Pilz-Strasser (Grüne), die Vorsitzende des Bezirksausschusses Bogenhausen, beruhigte die Bürger, die in den Saal drängten: Sie habe fast gleichlautende Schreiben vom Vorsitzenden der SPD-Stadtratsfraktion, Alexander Reissl, und vom Zweiten Bürgermeister Josef Schmid (CSU); beide erklärten, es gebe keine Alternative.

Bis der Tunnel kommt, gehen dennoch Jahre ins Land: Die Bahn werde nun ihre "betriebliche Aufgabenstellung" definieren, um die Kosten berechnen zu können. Das Unternehmen habe der Stadt auch angeboten, die Kosten für die Tunnellösung ebenfalls konkret zu ermitteln, die wohl mehr als 700 Millionen Euro betragen werden, wovon auf die Stadt zirka 535 Millionen zukämen. Es folge die Vorplanung, die richtige Planung, das Planfeststellungsverfahren, die Bauzeit von vielleicht sechs Jahren: "Wir nähern uns langsam 2030."

Die SEM müsse parallel dazu vorangetrieben werden, so Wendrich. Wo auf den Wiesen und Äckern dereinst die Häuser stehen, wo Parks angelegt werden, Kitas und Schulen gebaut, wo die Häuser in den Himmel wachsen und wo sie eher niedrig bleiben, dafür sei bereits ein Grundkonzept erarbeitet worden - in drei Varianten, die "zu 98,5 Prozent fertig" seien, ergänzte Wendrich. Im Juli würden diese Konzeptvorschläge zuerst den Fraktionen erklärt, dann den Bezirksausschüssen Bogenhausen und Trudering-Riem, im Herbst dann dem Stadtrat vorgestellt. Nach Weihnachten wären schließlich die Bürger und die Eigentümer der Flächen an der Reihe.

Pilz-Strasser plädierte dafür, auch den Bürgern die Entwürfe so schnell wie nur möglich in einer Ausstellung zu zeigen, denn: Sobald sie kursierten, würden sie ohnehin auch irgendwie an die Öffentlichkeit gelangen und vielleicht hitzig diskutiert werden, ohne dass dafür bereits offiziell ein Forum bestehe. Das könnte zu unerwünschten Situationen führen: "Die Konzepte werden sich in diesen Monaten zu Popanzen aufblähen." Wendrich erklärte, dass man sich dessen bewusst sei. Er fügte scherzhaft hinzu, sich in dieser Zeit vielleicht auf die Seychellen zurückziehen zu wollen. Es werde wohl dennoch Januar, bis die Bürger am Zug seien, denn die offizielle Reihenfolge müsse eingehalten werden, erläuterte der Jurist.

Es seien aber im Januar sicher noch keine Beschlüsse gefasst oder vollendete Tatsachen geschaffen: "Wir werden den Dialog mit den Bürgern führen. Wir haben keine Lust, das wieder zu versemmeln." Gesellschaftspolitisch sei das anders als vor zwei, drei Jahrzehnten: "Der Bürger ist zu einem wichtigen Player geworden." Auch Pilz-Strasser hat den sicheren Eindruck, dass Bürgerbeteiligung bei diesem Langzeitprojekt keine Alibifunktion hat, sondern von der Stadt sehr ernst gemeint ist. Und im Übrigen stehe der Bezirksausschuss dafür ein, dass Bürgerwünsche berücksichtigt würden. Wendrich sagte, es werde auch der Dialog mit den Eigentümern geführt: Keiner müsse Angst haben, enteignet zu werden, die Stadt wolle im Konsens planen.

Sobald aus den drei städtebaulichen Konzepten ein tragfähiges geworden sei, müsse die Stadt schauen, wo sinnvollerweise der erste Bauabschnitt angesetzt werden könne, ohne dass der Bahntunnel schon realisiert sei. Da für die Zeit des Tunnelbaus ohnehin provisorische Übergänge nötig würden, könne man die nutzen, sagte Wendrich. Petra Cockrell (CSU und Vertreterin der Bürgerinitiative "Englschalkings neue Entwicklung") hofft, dass solche Provisorien dann nicht ein ewiges Leben haben - eine Mahnung, die den Beifall der Stammtisch-Gäste fand. Eine Bürgerin argwöhnte, dass das womöglich doch ein Hintertürchen für eine Planung ohne Tunnel sein könnte. Auch Herbert Schön zweifelte an der Bahn, die dann Bauherrin des von der Stadt finanzierten Tunnels wäre: "Die wissen doch selbst nicht, wo der Zug lang fährt."

Schön fürchtete auch, dass die Dichte im SEM-Gebiet in dem Maße zunehmen werde, in dem Nachverdichtungsmöglichkeiten an anderen Stellen der Stadt an ihre Grenzen stoßen. Die Bürger wollen verhindern, dass nur "flache, weiße Klötze" entstehen und fürchten zudem, dass das Neubaugebiet nicht genügend Infrastruktur wie Schulen oder Schwimmbäder bekommen könnte, an denen jetzt bereits Mangel herrscht. Wendrich entgegnete, dass weitere Planung normales Handwerk sei: "Wir machen das, wie wir auch sonst Stadtplanung betreiben."

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SZ vom 13.05.2016
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