Für den Umbau ihres Güterverkehrsknotens im Münchner Osten will die Deutsche Bahn den Hüllgraben umleiten. Er wurde in den Dreißigerjahren angelegt, um das Wasser des Hachinger Bachs aufzunehmen, der in Berg am Laim versickert. Von dort verläuft der Graben nach Norden durch Daglfing zum Ismaninger Speichersee. Ein Abschnitt des zum Teil renaturierten Wasserlaufs würde nach der Umleitung nur noch durch Grund-, Regen- und das gereinigte Sickerwasser aus den Bahnanlagen gespeist. Im Bezirksausschuss (BA) Bogenhausen stieß der Plan am Dienstag auf entschiedene Ablehnung. Einstimmig stellte sich das Gremium hinter einen CSU-Antrag mit dem Titel "Der Hüllgraben darf nicht zur Kloake der Deutschen Bundesbahn werden".
Die Bahn arbeitet im Münchner Osten an Aus- und Umbauprojekten, die eine Verdichtung und Beschleunigung des Güterverkehrs ermöglichen sollen. Dazu zählt das Projekt Truderinger und Daglfinger Kurve und Spange (TDK). Geplant ist, die eingleisige Verbindungskurve zwischen Trudering und Riem zu modernisieren und die Gleiskurve zwischen Daglfing und Riem zweigleisig auszubauen und in einen Trog zu verlegen. Zudem soll die eingleisige Truderinger Spange zwischen Trudering und Daglfing ein zweites Gleis bekommen. Damit können mehr Züge den Bahnknoten schneller passieren - in den Kurven mit Tempo 80, auf der Spange mit 100. Im Norden schließt sich an die TDK der viergleisige Ausbau der Strecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen an. Er soll nicht nur dem Güter-, sondern auch dem Personenverkehr zugute kommen, denn wenn die Gleise entflochten sind, lässt sich die Zahl der S-Bahnen zum Flughafen von drei auf sechs pro Stunde verdoppeln.
S-Bahn-Gleise, Truderinger Spange und Daglfinger Kurve werden südlich der Autobahn A 94 zusammengeführt. Und da liegt ihnen der Hüllgraben im Weg. Im Unterausschuss Planung hatte TDK-Projektleiterin Susanne Müller das Problem erklärt: Die S-Bahn zum Flughafen wird die beiden inneren der künftig vier Gleise zwischen Daglfing und Johanneskirchen belegen, die Güterzüge fahren außen. Also muss das westliche Gütergleis der Truderinger Spange südlich des Bahnhofs Daglfing unter den S-Bahn-Schienen durchtauchen. Dafür wird es ab dem Bahnhof Trudering abgesenkt. "Genau dieses Gleis schafft den Konflikt mit dem Hüllgraben", sagte Müller. Ihn zu unterqueren sei nicht möglich, weil für Güterzüge nur ein maximales Gefälle von 12,5 Promille zulässig ist. Dafür reiche also schlicht der Platz nicht aus. Und den Hüllgraben zu dükern, also ihn in einem Rohr unter dem Gleis durchzuführen, geht auch nicht, denn da machen die Fische nicht mit. Dies "widerspricht den gewässerökologischen Anforderungen aus der EU-Wasserrahmenrichtlinie; eine Fischdurchgängigkeit wäre nicht gegeben", so Christian Leeb, der Leiter des Wasserwirtschaftsamts München.
Die einzig mögliche Lösung, sagte Bahn-Projektleiterin Müller, sei deshalb, den Hüllgraben schon in Berg am Laim nach Osten umzuleiten. Laut Bahn-Planung soll er grob der Truderinger Straße folgen, bei der Kfz-Verwahrstelle die Bahngleise Richtung Rosenheim kreuzen und an ihnen entlang bis Kirchtrudering mäandern, wo er in den Truderinger Hüllgraben münden soll. Aus Sicht des Wasserwirtschaftsamts hat dies Vorteile: "Ein Großteil der bisherigen Verrohrungen werden offengelegt mit den entsprechenden Vorteilen für die Gewässerökologie, aber auch zum Beispiel für Anwohner", erklärt Christian Leeb. Der Nachteil: Zwischen Berg am Laim und der Einmündung des Truderinger Hüllgrabens in Höhe der Daglfinger Trabrennbahn wird der Graben nur noch "durch unregelmäßige Einleitungen und den Zutritt von Grundwasser benetzt", erklärt Leeb. Die Bogenhauser Lokalpolitiker wollen sich nicht damit abfinden, dass ein Teil des Wasserlaufs abgehängt wird. In der Sitzung am Dienstagabend herrschte Verwirrung darüber, ob der gesamte nördliche Hüllgraben oder nur der Mittelabschnitt betroffen ist. In jedem Fall fordert der Bezirksausschuss auf Antrag der CSU, die Planungen zu stoppen, bis sichergestellt ist, dass der Hüllgraben "in seiner heutigen Funktion erhalten bleibt und ein Durchfluss auch in Daglfing nach wie vor möglich ist". Auf Antrag von ÖDP und Grünen fordert er eine Studie zu den ökologischen Auswirkungen der Verlegung, etwa zu Fließgeschwindigkeit und Wassermenge.
Außerdem verlangt der BA erneut eine gemeinsame Planung von Truderinger und Daglfinger Kurve und viergleisigem Ausbau. Vor allem aber wiederholen die Lokalpolitiker ihre Forderung nach den Verkehrszahlen für den Münchner Osten und den Prognosen der Bahn für 2030 und 2050. Dabei sollen der Brennerbasis-Tunnel, der 2027 in Betrieb geht, und die Strecke München-Mühldorf berücksichtigt werden. Der Stadtrat, dessen Planungsausschuss sich am Mittwoch, 5. Februar, erstmals mit der TDK beschäftigt, dürfe erst entscheiden, wenn er diese Zahlen habe.