Böhringer-Prozess:Hightech-Gutachten entlastet Angeklagten

Der Täter schlug mit rechts zu, Bence T. ist aber Linkshänder. Das Gericht bleibt skeptisch.

Stephan Handel

Zum ersten Mal ist vor einem deutschen Strafgericht eine dreidimensionale Computer-Rekonstruktion des Tatorts als Beweismittel eingesetzt worden. Das mit dieser Methode erstellte Gutachten des Schweizer Unternehmens DCSR entlastet den Angeklagten Bence T., dem vorgeworfen wird, seine Tante Charlotte Böhringer ermordet zu haben.

Zwei Beamer werfen das Modell von Georg Sasse an die Wand des Schwurgerichtssaals: Eine dreidimensionale Darstellung des Eingangs von Charlotte Böhringers Wohnung in der Baaderstraße, in der sie im Mai 2006 getötet wurde. Einen ganzen Tag haben Mitarbeiter von DCSR in der Wohnung, die immer noch versiegelt ist, gearbeitet: Ein Laserscanner hat jede Kleinigkeit abgetastet, jeden Wandvorsprung, jedes Möbelstück. Zusätzlich wurden Nahaufnahmen von Spuren in das Modell eingearbeitet, ebenso Tatortbilder der Polizei. Die Aufgabe des Rechtsmediziners Sasse: Herauszufinden, wo der Täter gestanden hat - und mit welcher Hand er die Schläge ausführte. Mehr als 20 töteten Böhringer.

Bedeutsam sind hierbei vor allem Blutspritzer, die an einer abgehängten Decke hinter dem mutmaßlichen Täter-Standort zu finden sind. Es sind so genannte "Cast off"-Spuren, die entstehen, wenn der Täter zu einem erneuten Schlag ausholt und dabei Blut, das am Tatwerkzeug haftet, weggeschleudert wird. Aus der Form der getrockneten Blutstropfen an der Wand kann Sasse berechnen, in welchem Winkel sie aufgetroffen sind - und in welchem Winkel sie vom Tatwerkzeug weggeschleudert wurden. Daraus wiederum lässt sich die Ausholbewegung des Täters rekonstruieren.

Ein Gewirr von Linien hat die Computer-Software in das Model eingezeichnet. Sie geben die möglichen Flugbahnen der Blutstropfen an. Georg Sasse erläutert seine Methode und legt sich schließlich fest: "Für mich ist das evident - der Täter hat mit rechts zugeschlagen, nicht mit links." Bedeutsam ist das deswegen, weil Bence T. Linkshänder ist. Der gerichtlich bestellte medizinische Gutachter Oliver Peschel mutmaßt dagegen, der Täter habe doch auch mit der linken Hand über die rechte Schulter, also sozusagen mit der Rückhand, zuschlagen können.

Vor wenigen Wochen war Georg Sasse schon einmal im Prozess aufgetreten: Die Verteidigung hatte beantragt, ihn mit einem solchen Gutachten zu beauftragen. Das Gericht hatte das damals abgelehnt, weil der Wissenschaftler zugeben musste, dass er "Hinweise, keine Beweise" liefern könne. Daraufhin hat Bence T.s Familie das Gutachten aus eigener Tasche bezahlt, knapp 6000 Euro hat es gekostet. Solche Privatgutachten sind zulässig - wenn auch nicht sehr beliebt bei den Richtern; sie unterstellen schnell einmal Parteilichkeit. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl, dem ohnehin immer anzusehen ist, wenn ihm etwas nicht passt, befragt Georg Sasse auf eine Art, die Verteidiger Peter Witting später "inquisitorisch" nennen wird.

"Ich bin entsetzt über diese Art der Befragung", sagt Peter Witting in einer Verhandlungspause. "Die Kammer ist offensichtlich nicht bereit, ein Gutachten einfach nur mal zur Kenntnis zu nehmen." Sechs Befangenheitsanträge hat die Verteidigung schon gestellt, alle wurden abgelehnt. Auf einen weiteren verzichtet Witting, "obwohl ich allen Grund hätte". Stattdessen beantragt er am Nachmittag, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen, also Bence T., der seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzt, freizulassen: Denn Georg Sasses Gutachten widerlege den dringenden Tatverdacht gegen den Angeklagten, Grundlage für die U-Haft. Über den Antrag ist noch nicht entschieden.

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