Süddeutsche Zeitung

Boazn-Gschichten:Und jetzt: Alles, nur nicht das Wetter

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In Kneipen wie diesen dreht sich alles um die großen Themen: ums Seriöswerden, ums Älterwerden, ums Bayersein und natürlich um den Brexit. Noch Fragen?

Von Josef Wirnshofer

In der Boazn, sagte ein Freund, geht es nur um die großen Themen. Nicht ums Wetter, nicht um Gedöns. Sondern um Politik, Schnaps, das Leben. Ich sitze in einer Eckkneipe an der Oefelestraße in Giesing. Neben mir ein älterer Herr, Stammgast, beige Jacke und Bluejeans. Er schimpft über das Rauchverbot, ein Boazn-Evergreen. Und er erzählt von Südafrika, von Kapstadt, von den Menschen dort. Derweil füllt die Kellnerin sein Bier auf. Wenn sie das nicht tut, steht sie vor der Tür und zückt ihre roten L&M in einer Frequenz, in der andere die Salzstangen aus den Knabbergläsern ziehen. Der Stammgast fängt gerade an, tiefgründig zu werden, leitet seine Sätze immer öfter mit "damals" ein, als er plötzlich zahlt. Vierzehnsechzig, danke, wiederschaun.

Ich ziehe weiter. In eine Boazn an der Alpenstraße. Hinter der Bar drei Wörter an der Wand: "Friends", "Love" und "Memories". Dazu quäkt gefühlsduseliger Schlager aus den Boxen. Klingt vielversprechend. Und tatsächlich dauert es keine zehn Minuten, bis am Nebentisch zwei Männer über das Leben sinnieren. Darüber, dass der 60. Geburtstag der richtige Zeitpunkt sei, um seriös zu werden. Sie sind sich auch einig, dass Geld wie Wasser sei: Es verrinnt zwischen den Fingern.

Kurz vor Mitternacht die letzte Station: eine Boazn an der Tegernseer Landstraße. Bis auf zwei alte Münchner sind alle Gäste gegangen. Im Eck läuft Fernsehen ohne Ton. Die beiden Rentner erörtern die Lage Bayerns, Deutschlands, der Welt. Da wäre zum Beispiel der Länderfinanzausgleich. Aus ihrer Sicht: ein Schmarrn. Es könne ja nicht sein, wie viel Geld die Bayern da rüberbuttern. Danach landen sie beim Thema dieser Tage: dem Brexit. Dass der vielleicht gar nicht verkehrt sei. Und dass sich Bayern vielleicht auch abspalten sollte. An Exit-Ideen mangelt es den beiden nicht. Ihr Vorschlag: Man könnte mit Tirol und Südtirol eine Alpenrepublik bilden. Dann wäre man auch den Länderfinanzausgleich los.

Irgendwann wird's mir doch zu viel. Ich gehe zur U-Bahn. Der Flatscreen am Bahnsteig zeigt die Wettervorhersage für die kommenden Tage. Es stimmt: Darüber hat in den Boazn keiner geredet.

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Quelle:
SZ vom 02.08.2016
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