Süddeutsche Zeitung

Boazn-Gschichten:Der Schuh macht den Ort

Lesezeit: 1 min

Eine Kneipe kann wie das eigene Wohnzimmer sein - wenn man ein paar Details beachtet

Von Bastian Hosan

Vor dem Fenster zieht die Nacht vorbei. Um mich herum tobt das Leben: lauter junge Leute. Sie feiern, trinken, bestellen eine Runde nach der anderen. Den Inhalt der Bierkrüge gießen sie in sich hinein, als wäre er das Leben. Ein ganz normaler Abend, hier in meiner Lieblingsboazn in der Maxvorstadt. Nur ich sitze ruhig an der Bar, den Blick mal in die Zeitung vertieft, mal das Schauspiel betrachtend: ich, in meinen Hausschuhen. Warum sind die Hausschuhe wichtig?

Man betritt einen Raum anders in Hausschuhen, nimmt ihn anders war. Mental bin ich in ihnen in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa, obwohl ich in einer Boazn am Tresen sitze. So ersetze ich meinen Fernseher durch das Theater des Lebens. Ich sitze dort, Hausschuhe an den Füßen, als wäre ich daheim. Und das bin ich auch.

Für mich ist diese laute Bar, nur 60 Meter von meiner Haustür entfernt, ein Ort der Ruhe. Hier gehe ich hin, um nach der Arbeit ein bisschen allein zu sein. Wie in meinem Wohnzimmer. Einem, in dem mich keiner kennt, auch wenn ich ständig da bin. Ein Wohnzimmer, in dem ein ständiges Theater aufgeführt wird - mit immer wechselnder Besetzung. Dort das Pärchen, das sich gerade streitet. Hier der Kellner, der Gläser kaputt macht. Weiter hinten die Gruppe älterer Männer, die der Kellnerin auf den Arsch glotzt.

Von meinem Platz an der Bar kann ich dieses Theater überblicken, diese Tragikomödie, die sich da in meinem Wohnzimmer abspielt. Ich lehne mich zurück und genieße die Ruhe des Treibens um mich herum. Beim nächsten Besuch spiele ich auch eine Rolle - dann aber in festen Schuhen.

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Quelle:
SZ vom 26.07.2016
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