Süddeutsche Zeitung

BMW-Zentrum:Wie wichtig ist BMW für München?

Lesezeit: 5 min

Von Maximilian Gerl und Max Hägler

Sie tun sich mittlerweile selbst bei BMW schwer mit dem Zählen: In wie vielen Gebäuden und Fabriken sind Leute zu finden? Mehrere Dutzend Adressen haben die Motorenwerke im Münchner Norden, gerade erst kam die Oldtimer-Werkstatt samt öffentlichem Café dazu, und mit der Grundsteinlegung an diesem Freitag folgt bald die nächste Adresse: 22 Hektar Bürofläche baut der BMW-Konzern auf dem Gelände zwischen Schleißheimerstraße und Knorrstraße. Ein neues FIZ entsteht, wie sie es in der Firma nennen, ein Forschungs- und Entwicklungszentrum.

Eine erste Variante steht schon in der Nähe seit mehr als 20 Jahren, eine verspiegelte, abweisende Trutzburg, die längst viel zu klein geworden ist für all die Anforderungen. Roboterwagen, Elektroautos und das alles verknüpft mit Handys - es gibt viel zu tun und dafür demnächst die zweite Auflage des FIZ: mit zunächst 4000 Arbeitsplätzen, später einmal 15 000 - und zum Glück auch mit offenerer Architektur. Jetzt ist endgültig klar: In Milbertshofen, da ist München Autostadt.

Aber wie sehr gilt das eigentlich für die gesamte Stadt? Wie münchnerisch ist dieser Konzern BMW? 43 206 Menschen arbeiten im Großraum für das Unternehmen, wo sie sagen, dass an jedem Job noch einmal sieben Jobs dranhängen bei Zulieferern und Servicekräften. Einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag zahlt BMW jedes Jahr als Gewerbesteuer an die Stadt, das entspricht grob gesagt einem Fünftel der gesamten Gewerbesteuereinnahmen und knapp einem Achtel der gesamten städtischen Steuereinnahmen.

Als ihn der BMW-Chef Harald Krüger bei der Grundsteinlegung in Empfang nimmt, sagt Ministerpräsident Horst Seehofer, der so gern mit Superlativen hantiert, am Freitag nur ein Wort im Angesicht der Baustelle: "Wahnsinn."

Bei so viel Überschwang ist indes Vorsicht angebracht, gerade wer zur Einordnung nach Westen blickt, nach Stuttgart. Das ist eine pure Autostadt: Im Süden der riesige Zulieferkonzern Bosch, im Westen Porsche und im Osten der Daimler. Dessen Zentrale samt Motorenwerk liegt zwischen der Daimler- und der Benzstraße, kein Witz. Ein paar Meter weiter steht die Mercedes-Benz-Arena, in der die Fußballspieler mit eben diesem Logo auflaufen. Und abends trifft man in jedem der schickeren Lokale der Stadt auf Daimler-Manager und an der Theodor-Heuss-Straße auf die Schaffer vom Band. Der wohl größte Promi am Neckar: Konzernchef Dieter Zetsche. Mehr Auto als in Stuttgart, das geht kaum.

Das Verhältnis zwischen München und seinen Autos hingegen? Ist trotz der groß zelebrierten Grundsteinlegerei entspannter. Es verläuft sich halt - auch wenn jeder fünfte Wagen in der Stadt ein BMW ist und der Konzern Veranstaltungen unterstützt wie die "Oper für alle". Weil in München eben dreimal so viele Menschen wohnen. Weil es eben nur einen Autobauer gibt, der sich hier auch erst 1951 ansiedelte. Und weil BMW, gemessen am Börsenwert, eben nur das drittgrößte der sieben in München ansässigen DAX-Unternehmen ist, hinter Siemens und Allianz. Auch ein Segen übrigens: Sie haben Sorge in Stuttgart, was sein wird, wenn die Autobranche in Schieflage gerät. München würde da leiden, aber nicht existenziell.

Zumal ja auch die Frage nach der Heimat des Konzerns noch zu beantworten wäre - eine Frage der Sichtweise. In Niederbayern schlägt das Herz von BMW, mit der Übernahme der Dingolfinger Glas-Werke vor 50 Jahren begann der Aufstieg zum internationalen Konzern. In München ist das Gehirn verblieben: die Zentrale und das FIZ, in dem Autos entwickelt werden.

Seehofer lobt: Der Bau des neuen FIZ sei für ihn der neuerliche Beweis dafür, "dass BMW ein bayerisches Unternehmen ist - mit bayerischer Seele, aber international unterwegs". Oberbürgermeister Dieter Reiter hingegen spricht von BMW als dem "Jobmotor" Münchens, der Autobauer sei ein Glücksfall für die Stadt, nicht nur wegen der Gewerbesteuerzahlungen: "Ist zwar nicht das Wichtigste, aber ganz schön." Krüger bringt dann beide Sichtweisen auf die Formel zusammen: BMW bekenne sich "zum Standort München" und "zu unserer Heimat Bayern".

Ein Symbol für die Stadt ist natürlich das Hochhaus, der Vierzylinder, der zu den Olympischen Spielen errichtet wurde. Die BMW-Welt nebenan zieht im Jahr etwa drei Millionen Menschen an, zwei Drittel davon aus dem Ausland - sie ist einer der meistbesuchten Orte Bayerns. Wenn man die Firmenhistoriker fragt, dann ist der Vierzylinder übrigens einer der ganz wenigen Reibungspunkte im sonst lange Zeit völlig unspektakulären Zusammenleben: Das Gebäude wurde nicht rechtzeitig fertig zu den Spielen, aber die Manager wollten der Welt dennoch den Propeller, also das BMW-Logo, vor Augen führen. Und so bastelten sie eine Vorabversion des Signets oben auf die Baustelle - was einigen Ärger mit der Stadtverwaltung verursachte.

Ansonsten: fast keine Konflikte. Auch weil BMW anders auftritt als Daimler: Der Vorstandschef Krüger ist ruhig, mag die kleine Runde. Er agiert ähnlich wie die Arbeitnehmer, die ihre Debatten - über Leiharbeiter, über Effizienzdruck - praktisch immer hinter den Werkstoren austragen. Bei Daimler gibt Zetsche gern den streitbaren Showmaster. Und die schwäbischen Schaffer tragen ihre Konflikte eher nach außen, auch weil sie hier weniger Gehör finden als in München, wo die Quandt-Familie als Ankeraktionär für Ruhe sorgt.

Wobei, völlig unproblematisch ist die Stimmung in München gerade auch nicht mehr, seit dem Dieselskandal. Hier die Industrie, die mit vielen ihrer Diesel-Modelle schlechte Luft in die Städten bringt. OB Reiter hat das deutlich skandalisiert, hat mit Fahrverboten gedroht, auf dass die Menschen gesünder leben. Bei der Grundsteinlegung spart er das aus, schickt lediglich die verklausulierte Botschaft, er freue er sich sehr, dass in München ein Zentrum mit "Zukunftstechnologien für Mobilität" entstehe. Ministerpräsident Seehofer, der die Forderung nach Fahrverboten stets so deutlich wie wenige andere zurückgewiesen hat, sagt auch am Freitag: "Ich werde mich nicht beteiligen an einem Feldzug gegen das Automobil."

BMW-Chef Krüger lässt ihn den Dank in seiner Rede spüren: Da wird der "liebe Herr Seehofer" angesprochen und ihm gedankt, so als ob die Staatsregierung in der Stadt irgendetwas zu sagen hätte. Vom OB fordert Krüger indes forsch: "Erst mit einer passenden Infrastruktur wird dieses Projekt erfolgreich sein." Woraufhin ihm Reiter zusagt, sich für eine bessere Anbindung des FIZ an Autobahn und U-Bahn einzusetzen - eine alte Forderung des Konzerns.

Das FIZ ist für Reiter auch ein Vorreiter für moderne Mobilität in der Stadt, was ein bisschen kurios anmutet. Denn so sehr sich die Stadt und das Unternehmen gegenseitig befruchten, wenn es um Arbeitsplätze, Geld und Gewerbeflächen geht: Zukunftsweisende Projekte, die erproben, wie sich Menschen zeit- und energiesparend bewegen können, gibt es in München quasi keine. In einer Initiative namens "Inzell" arbeiten Stadt und BMW sowie andere Firmen seit mehr als einem Jahrzehnt zusammen, um Mobilität zu verbessern. Der Stau aber nimmt weiter zu, nur einen Radschnellweg gibt es, Elektro-Schnellladesäulen finden sich nur wenige in der Stadt. München hat es noch nicht zum Leuchtturmprojekt geschafft.

Um noch einmal den Vergleich mit Stuttgart zu ziehen: Auch in dieser Stadt, die viel mehr Autostadt als München ist, gibt es kaum Ideen zu neuer Mobilität. Aber wenigstens ist die Ladesituation weit besser, es fahren Hunderte elektrische Car-Sharing-Autos herum und Daimler hat auch für die Stuttgarter eine App gebastelt, die allerlei Verkehrsmittel miteinander vergleicht und verknüpft - und die tatsächlich einigermaßen funktioniert. Allerdings: Stuttgart ist Stau-Hauptstadt, vor München.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2017
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