Süddeutsche Zeitung

Blumfeld in München:"Wir mussten noch das 20. Jahrhundert aufräumen"

Ach, deswegen waren Blumfeld so lange weg. In der Theaterfabrik treten die Kurzzeit-Rückkehrer wieder auf und beweisen, dass noch eine Menge Leben in ihren alten Stücken steckt.

Von Martin Pfnür

20 Jahre "L'Etat Et Moi" - das ist ein Jubiläum, das man durchaus als Anlass für eine kurzzeitige Band-Reunion heranziehen kann. Dachten sich zumindest Jochen Distelmeyer, um den es in den vergangenen Jahren recht still geworden war, Schlagzeuger André Rattay und Bassist Eike Bohlken, also die Urformation der einflussreichen Hamburger Diskursrock-Band Blumfeld.

Und sie liegen damit auch nicht völlig daneben - kaum ein Album in deutscher Sprache hat eine solche Wirkkraft entfaltet wie dieser blitzgescheite Sprach-Hybride, dieser vor Zitaten, Assoziationsketten und kulturgeschichtlichen Querverweisen funkelnde Goldklumpen, den Jochen Distelmeyer in den frühen Neunzigerjahren aus vielerlei Textwerk zusammenschmolz.

Andererseits stellt sich die Frage: Ist es wirklich sinnvoll, wenn drei Männer in ihren späten Vierzigern, sieben Jahre nach der offiziellen Auflösung der Band, wieder mit ihrem rebellisch geprägten Frühwerk auf die Bühne treten? Ist das nicht das Gegenteil von authentisch? Geht es da nicht einzig und allein: ums Geld?

Spätestens als Blumfeld gegen Ende des Konzerts in der gut besuchten Münchner Theaterfabrik den "Verstärker" anwarfen, konnten einem derlei Überlegungen reichlich egal sein. Es herrschte eine Stimmung im Raum, die so wohl nur zustande kommt, wenn eine Menschenmenge ganz und gar in der Musik, im Text und in den je eigenen Gefühlen, die daran gekoppelt sind, aufgeht. "Merkst du, was ich merke? Was ich bis zur Rückkopplung verstärke, hat als Effekt reflecting skin", sang Distelmeyer da, komplett verschwitzt, das Hemd bis zum Bauchnabel geöffnet. Das traf die Stimmung in diesem Moment ziemlich gut.

Dabei schallte es am Anfang noch ein wenig rumpelig von der Bühne: Als gegen 21 Uhr das Knattern der Rotorblätter von "Draußen auf Kaution", dem Eröffnungsstück des Jubiläumsalbums, erklang, war die Begeisterung angesichts des Wiederkennungseffekts zwar groß - sie wäre jedoch noch ein wenig größer ausgefallen, wenn Eike Bohlken am Bass nicht seinen Einsatz verpasst hätte. Ein wenig schien es da, als habe sich die Band nach all der Zeit noch nicht ganz gefunden, als müssten sich die einzelnen Teile noch zusammenfügen - der gewaltige Drive des Finales von "Draußen auf Kaution" ging jedenfalls trotz eines dramaturgisch clever von Distelmeyer eingestreuten "Servus Minga!" etwas verloren.

Dass der Abend schließlich doch ein famoser wurde, lag einerseits daran, dass sich die einzelnen Teile tatsächlich immer mehr zusammenfügten und Distelmeyer immer besser in die anspruchsvollen Sprechgesangs-Phrasierungen, die er live deutlich änderte, hineinfand. Vor allem aber lag die Magie in den Überraschungsmomenten. Es kamen natürlich die Meilensteine von "L'Etat Et Moi" - etwa "Evergreen", versehen mit einem hübschen Sprengsel aus "The Girl From Ipanema", oder "Sing Sing", gekreuzt mit Zeilen aus Robert Wyatts "At Last I Am Free".

Dazwischen schob sich frühes Ungestüm voll wütender Post-Punk-Wucht: Der "Penismonolog" oder "Aus den Kriegstagebüchern" vom Debütalbum "Ich Maschine" dräuten mit dunkler, krachender Energie in den Raum hinein und kontrastierten aufs Schönste mit der Sanftmut der "Old Nobody"-Stücke "Ein Lied Von Zwei Menschen" und "Kommst Du Mit In Den Alltag".

"Ich will Kinder von euch allen" ruft irgendwann eine dunkle Männerstimme, als die Stimmung vollends ins Euphorische kippte, ein anderer fragt "Wo wart ihr so lange?". Distelmeyer lacht. Dann sagt er: "Wir mussten noch das 20. Jahrhundert aufräumen."

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