Süddeutsche Zeitung

Schweiz:Blick aus Zürich: Schön international

Auch für urbane Züricher gibt es Momente, in denen sie ihre Heimat bedroht sehen.

Von Charlotte Theile

Zwei Sätze, manchmal auch nur ein einzelnes Wort. Wenn ein Schweizer den Mund aufmacht, weiß sein Gegenüber sofort sehr vieles über ihn: Aus welchem Kanton er kommt, nicht selten sogar aus welcher Stadt seine Familie stammt. Sprache sei für ihn eines der wesentlichsten Elemente von Heimat, sagt Markus Huppenbauer, Ethikprofessor an der Universität Zürich.

Ob diese Heimat bedroht sei? Schnelle Antwort: Nein. Für Markus Huppenbauer ist die große Anziehungskraft der Schweiz als Arbeitsplatz, die in den vergangenen Jahrzehnten Tausende Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern in die Stadt Zürich gebracht hat, nichts Bedrohliches. Im Gegenteil. "Für mich gehört Internationalität, Vielfalt, Durchmischung zur DNA von Zürich" sagt Huppenbauer.

Wenn er in der Straßenbahn Englisch, Arabisch oder gestochen scharfes Hochdeutsch hört, sei das für ihn "typisch Zürich". Mit ihren Banken, Universitäten und international tätigen Konzernen sei die Stadt seit je her international ausgerichtet. "Auch das ist Heimat", glaubt Huppenbauer. "Ich verwende den Begriff sehr bewusst. Man sollte die Diskussion über Heimat und Identität auf keinen Fall den Rechtspopulisten überlassen."

Dennoch gibt es Momente, in denen auch urbane Zürcher ihre Heimat bedroht sehen. Da ist zum einen der Kampf um günstigen Wohnraum, der viele Alteingesessene gegen Expats aus aller Welt aufbringt - nicht selten zahlen ihnen die Unternehmen Fantasie-Mieten für möblierte Appartements in bester Lage, Münchner kennen das. Dann gibt es immer wieder Umfragen, die nahe legen, dass die schweizerische Willkommenskultur, um es höflich zu sagen, noch verbessert werden könnte. Ausländern gelingt, auch in Zürich, nur selten der Anschluss zu Schweizern. In Rankings findet sich die Schweiz beim Punkt "How to make friends" immer wieder auf einem der letzten Plätze ein. Woran das liegt?

Markus Huppenbauer rutscht auf seinem Stuhl herum. Es sei ihm peinlich, dass Ausländer die Schweiz so erleben. Aber: "Auch Schweizer, die innerhalb des Landes umziehen, haben Mühe, neue Leute kennen zu lernen." In der Deutschschweiz bleibe man häufig unter sich, pflege Freundschaften über Jahrzehnte. Dennoch ist der Professor überzeugt: Wer in Zürich lebe, schätze die Internationalität der Stadt. "Noch vor dreißig Jahren hatte Zürich kulinarisch kaum etwas zu bieten." Heute prägen Restaurants von überall auf der Welt das Stadtbild.

Trotz aller Begeisterung für Vielfalt, Durchmischung und thailändische Restaurants - auch Markus Huppenbauer wird es manchmal zu viel mit der Internationalität. "Wenn im beruflichen Kontext nur noch Englisch gesprochen wird, denke ich mir manchmal schon: Hey, wir sind hier in Zürich!"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3245202
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.11.2016/bica
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.