Auf Initiative seiner Ehefrau sollte ein Münchner Kunsthändler für verrückt erklärt und in die Psychiatrie eingewiesen werden. Das dazu notwendige Attest erstellte Hans-Jürgen Möller, Direktor der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität - praktisch ohne Untersuchung. Um diesen bizarren Vorgang wurde elf Jahre lang zivilrechtlich gestritten. Nun wurden Möller und der Freistaat Bayern zur Zahlung von 5000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.
Bizarr erschien Beobachtern nicht nur der von zahllosen Beschwerden und Richterablehnungen geprägte Mammutprozess, sondern auch die Geschichte, die dahinter steht. Ein ehemals in München angesehener und wohlhabender Kunsthändler, Spezialist für antike Teppiche, führte einen Rosenkrieg mit seiner Ehefrau. Eines Tages erschien - wohl auf deren Initiative - ein vermeintlicher Kunde in seiner Galerie in der Theatinerstraße. Schon kurze Zeit später stand für diesen "Kunden" fest: Das Verhalten des Kunsthändlers ist "krankhaft".
Als Kunde getarnter Psychiater
Der Besucher war ein pensionierter Psychiater, der seine Diagnose umgehend der Ehefrau des Kunsthändlers anvertraute. Er schrieb ein "Fachpsychiatrisches Attest" zur Unterbringung in der Psychiatrie, das er ausdrücklich "zur Vorlage bei der zuständigen Polizeibehörde" deklarierte. Bei dieser Diagnose wurde der Ex-Arzt von einem weiteren pensionierten Psychiater unterstützt, der den Kaufmann ebenfalls als Kunde getarnt aufgesucht hatte.
"Du bist geisteskrank", offenbarte die Ehefrau daraufhin ihrem geschockten Gemahl, "du hast einen schweren Hirntumor." Sie drängte ihn, deshalb den renommierten Uni-Psychiater Möller aufzusuchen. Der Teppichexperte zögerte, ließ sich zunächst von einem Schweizer Fachmann untersuchen, der ihm, auch psychisch, eine gute Gesundheit bestätigte. Erst dann ging er zu dem Münchner Professor. Der aber soll ihm ohne große Umschweife lapidar erklärt haben: "Wenn ich in Ihre Augen schaue, dann weiß ich, dass Sie geisteskrank sind."
Tatsächlich fertigte Professor Möller nun ebenfalls ein "Fachpsychiatrisches Attest auf Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus" an, das auch er ausdrücklich "zur Vorlage bei der zuständigen Polizeibehörde" deklarierte. Darin stufte er den Kunsthändler als psychisch krank sowie selbst- und fremdgefährlich ein - die sofortige Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik sei erforderlich. In diesem Attest ist unter anderem die Rede von einem absurden finanziellen Gebahren und enthemmten Verhalten im Straßenverkehr - typisch für Maniker. Wie schon zuvor sein pensionierter Kollege schickte auch Möller dieses Papier nicht vorschriftsgemäß an die zuständige Kreisverwaltungsbehörde, sondern gab es der Ehefrau.
Der Kunsthändler, in Szenekreisen durchaus als extrovertierter Künstlertyp bekannt, behauptete später vor Gericht, ihm sei zu dieser Zeit durch seine Ehefrau heimlich das Psychopharmakon Diazepam verabreicht worden. Da der Professor ihn damals aber überhaupt nicht untersucht habe, sei diesem die Vergiftung natürlich verborgen geblieben.
Das Stigma der Geisteskrankheit
Schier panisch räumte der Kaufmann seine Galerie und floh aus Angst vor der drohenden Unterbringung Hals über Kopf in die Schweiz. Das Stigma der Geisteskrankheit habe seinen Ruf zerstört und den Wert seines Warenbestandes dramatisch reduziert, sagte er später. Da seine Ehefrau gegen ihn eine Strafanzeige veranlasst hatte - weil er angeblich als Sicherheit hinterlegte Teppiche habe außer Landes schaffen wollen -, wurde er bei einer Stippvisite in München festgenommen.
Doch beim Medizincheck im Untersuchungsgefängnis Stadelheim bescheinigte ihm ein Facharzt für Psychiatrie, "normal" zu sein. Auf die Rückfrage des Kunsthändlers, ob es denn überhaupt möglich sei, einen Menschen ohne persönliches Gespräch für verrückt zu erklären, soll ihm der Arzt geantwortet haben: "Nein - es gibt nur einen Fall in der Geschichte der Psychiatrie, das ist unser König Ludwig II."
Der Anwalt des Teppichfachmanns konnte kurz darauf auch den Staatsanwalt davon überzeugen, dass es keinen strafrechtlichen Grund gebe, seinen Mandanten länger festzuhalten. Der Kunsthändler klagte nun vor dem Landgericht MünchenI und forderte, dass Möller und dessen Dienstherr, der Freistaat, alle Schäden infolge des fragwürdigen Unterbringungsattestes ersetzen sollen - angeblich zig Millionen.
Ärztliche Schweigepflicht verletzt
Nach vielen oft extrem spannungsgeladenen Verhandlungstagen verkündete die 9. Zivilkammer am Mittwoch nun das Urteil. Die Richter stellten fest, dass der Professor die Atteste auf dem Briefpapier der Klinik ausgestellt und als "Direktor der Klinik" unterzeichnet hatte. "Somit ist er nach außen in seiner Eigenschaft als Klinikdirektor und damit als Organ und Beamter des beklagten Freistaats tätig geworden.
" Zwar ließen die Richter die Frage offen, ob Möllers damalige Diagnose vertretbar gewesen sei. Doch weil er die Atteste an die Ehefrau sandte, habe er seine ärztliche Schweigepflicht und damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt. "Die ärztliche Schweigepflicht besteht grundsätzlich auch gegenüber dem Ehegatten des Patienten - nur in Ausnahmefällen darf der Arzt die Verschwiegenheit dem Ehegatten seines Patienten gegenüber lockern", meinten die Richter.
Und weiter: Wenn der Professor tatsächlich von einer so erheblichen Fremd- und Selbstgefährdung des Betroffenen ausgegangen sei, dass eine Unterbringung erforderlich war, hätte er nicht die Frau, sondern die nach dem Bayerischen Unterbringungsgesetz zuständigen Behörden informieren müssen. "Hiermit wäre auch ein geringerer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verbunden gewesen, da er dann nicht vor seiner Ehefrau hinsichtlich einer möglichen psychischen Erkrankung bloßgestellt worden wäre, sondern die Information allein an eine zur Amtsverschwiegenheit verpflichteten Stelle gelangt wäre, die weitere Maßnahmen hätte ergreifen können", heißt es in der Urteilsbegründung.
Da aber der Professor mit seinem Attest keinerlei Eigeninteresse oder gar finanzielle Absichten verfolgt habe, hielten die Richter als Entschädigung 5000 Euro für ausreichend. Denn die angebliche millionenteure Existenzvernichtung sei nur auf das - nach Ansicht der Richter überzogene - Verhalten des Kaufmanns mit seiner überstürzten Flucht in die Schweiz zurückzuführen. Gegen die drohende Unterbringung hätte der Mann vielmehr rechtlich vorgehen können und müssen: "Dies gilt umso mehr, als der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen psychisch völlig gesund war", heißt es in dem Urteil (Az.:9O22406/97).
Es ist anzunehmen, dass dieser Prozess nun in die nächste Instanz geht.