Einbürgerung:Wie Herr Adamec die deutsche Staatsbürgerschaft bekam

Lesezeit: 2 Min.

"Der bestgekleidete Mann im ganzen KVR": Tibor Adamec, 84, mit seiner Einbürgerungsurkunde vor Zimmer 16.32. (Foto: Stephan Rumpf)

Im Herzen ist der 84 Jahre alte "Biss"-Verkäufer schon lange Münchner - nun ist er es endlich auch auf dem Papier. Über einen großen Tag für Tibor Adamec.

Von Julia Schriever

Es gibt Menschen, die fast jeder in München kennt. Vielleicht nicht mit Namen, aber vom Sehen. Tibor Adamec ist so jemand. Seit vielen Jahren steht der 84-Jährige unten im Zwischengeschoss am Marienplatz und verkauft die Straßenzeitung Biss. Sein Platz ist am Eingang zum Kaufhof. Sein Markenzeichen ist seine Eleganz. Er kämpft gegen das Vorurteil, Biss würde nur von Obdachlosen verkauft, er lebt seit vielen Jahren in einer Wohnung. Meistens trägt er Hut und Anzug, Rudolph Moshammer soll mal gerufen haben: "Du bist ja schicker als ich!"

Tibor Adamec gehört zu München - und doch hat er seit Jahrzehnten nur einen "Reiseausweis für Ausländer". Er wuchs in der ehemaligen Tschechoslowakei auf. Nachdem er in den Fünfzigerjahren als junger Soldat desertiert war, wurde ihm seine Staatsbürgerschaft entzogen. Erst floh er in die DDR, dann floh er von dort nach München und arbeitete bei einer Firma, die später pleiteging. Weil er mit Mitte 50 zu alt war, um einen neuen Job zu finden, fing er bei der Straßenzeitung Biss an. Er blieb die ganze Zeit über staatenlos. Bis jetzt. Bis zu diesem Dienstag im Mai, an dem er um 15.15 Uhr einen Termin im Kreisverwaltungsreferat (KVR) in der Münchner Ruppertstraße hat.

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Karin Lohr und Rita Rostschupkin von Biss warten schon mit einem Strauß Pfingstrosen auf ihn. Sie kennen Tibor Adamec schon lang. Seit fast 30 Jahren arbeitet er nun für Biss, er ist der dienstälteste Verkäufer, seit 1998 fest angestellt. Lohr und Rostschupkin haben ihn ermutigt, sich noch einmal um eine deutsche Staatsangehörigkeit zu bemühen.

Er hatte es vor Jahren schon mal versucht. Den Einbürgerungstest bestand er damals mit fast voller Punktzahl, es scheiterte an dem komplizierten Papierkram, der in so einem Fall zu bewältigen ist. Eine Enttäuschung für ihn. Rita Rostschupkin setzte sich im September nochmal mit ihm zusammen, füllte die Papiere mit ihm aus, telefonierte mit einer Sachbearbeitern. Sie warteten viele Monate.

Tibor Adamec biegt jetzt um die Ecke. Er ist nervös, hat vorher nur ein "Astronautengetränk" getrunken. Er ist unsicher, ob das wirklich klappt mit seiner Einbürgerung. Er trägt eine weiße Hose, Hemd und Hut, dazu Sakko und Krawatte im Karomuster. Karin Lohr sagt: "Der bestgekleidete Mann im ganzen KVR." Als der Türsteher Tibor Adamec und Karin Lohr mit ihrem Strauß Blumen sieht, fragt er: "Wollen Sie zum Heiraten?" Sie wollen ins Zimmer 16.32, einen kahlen Raum mit Deutschlandflagge und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Wand.

Es geht dann ganz schnell. Tibor Adamec geht in den Raum, setzt sich. Für die Sachbearbeiterin ist es eine von vielen Urkunden, die sie an dem Tag ausstellt. Ein paar Stempel, die sie aufs Papier drückt, eine Unterschrift. Sie sagt den Spruch, den sie wohl schon tausendfach gesagt hat: "Das ist Ihre Einbürgerungsurkunde. Damit sind Sie deutscher Staatsangehöriger mit allen Rechten und Pflichten."

Für Tibor Adamec ist es ein Riesenschritt. Er lächelt, als Karin Lohr und Rita Rostschupkin für ihn applaudieren. Er hält seine Einbürgerungsurkunde in der Hand als wäre sie ein Pokal. "Das ist schon immer mein Wunsch gewesen", sagt er. "Ich bin überrascht, dass es jetzt wirklich geklappt hat."

Und weil er ja bis zuletzt daran gezweifelt hat, ob es nicht doch einen Haken an der ganzen Sache gibt, hat er sich nichts vorgenommen. Keine Party, kein Festessen. "Das muss ich jetzt erstmal verarbeiten", sagt er. Als Karin Lohr vorschlägt, einen Kaffee trinken zu gehen, nickt er. Dann geht er langsam raus aus dem KVR, die Urkunde in der einen Hand, den Blumenstrauß in der anderen, Tibor Adamec, der jetzt nicht mehr staatenlos ist.

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