Parallel zur Documenta:Nachhaltigkeit im Paradies

Parallel zur Documenta: Besucherinnen und Besucher können ihre Hand in die Perlenschale versenken - und am Ende sogar eine mitnehmen.

Besucherinnen und Besucher können ihre Hand in die Perlenschale versenken - und am Ende sogar eine mitnehmen.

(Foto: Kerstin Leitschuh)

Die Münchner Künstlerin Birthe Blauth hat die Kasseler Elisabethkirche mit "Poem of Pearls" in eine geheimnisvolle Installation verwandelt. Die Perlen gibt's als Geschenk, ein Stück vom Rasen kann man über eine Crowdfunding-Kampagne erwerben.

Von Evelyn Vogel, Kassel

Schon aus der Ferne weist die Schrift "My Precious Pearl From Paradise" den Weg. Doch der Weg in dieses Paradies ist kein direkter. Er führt um Ecken und Kanten, geht mal längs, mal quer, nähert sich dem Zentrum und führt wieder weg. Doch auch wenn man glaubt, sich vom Ziel zu entfernen, nähert man sich ihm. Denn der Weg in den Paradiesgarten, den die Münchner Künstlerin Birthe Blauth in der Elisabethkirche in Kassel geschaffen hat, führt durch ein Labyrinth. Und anders als in einem Irrgarten ist der Weg durch das Labyrinth nicht dazu angelegt, sich zu verlaufen. Der Weg ist vorbestimmt und führt zu Konzentration und innerer Einkehr. Hat man die grün markierten Wege des Labyrinths auf dem Vorplatz der Kirche abgeschritten, gelangt man hinein, in den "Hortus conclusus", zur "Seelenschale" und zu den Perlen. Und damit zum "Poem auf Pearls" von Birthe Blauth.

Parallel zur Documenta: Die Schrift "My Precious Pearl From Paradise" leuchtet nachts an der Elisabethkirche in Kassel.

Die Schrift "My Precious Pearl From Paradise" leuchtet nachts an der Elisabethkirche in Kassel.

(Foto: Johannes Seyerlein)

Zum fünften Mal haben das Bistum Fulda und die Katholische Kirche Kassel während einer Documenta einen eigenen Raum für Gegenwartskunst geöffnet: die Elisabethkirche am Friedrichsplatz in Kassel. In der Vergangenheit haben manche der Arbeiten für ordentlich Zoff in Kassel gesorgt, beispielsweise 2012, als der Bildhauer Stephan Balkenhol seinen "Mann im Turm" in selbigem installierte. Doch der erwies sich allen verbalen Angriffen zum Trotz als resistent - bis heute blickt er von dort oben wie ein Gekreuzigter herunter.

Die partizipative Installation "Poem of Pearls" von Birthe Blauth ist alles andere als umstritten - und damit im Jahr der wegen antisemitischer Beiträge hochumstrittenen Documenta Fifteen eine Wohltat. Sie ist still, obwohl sie einen durchaus radikalen Eingriff in den sakralen Kirchenraum darstellt. Doch die Besucherinnen und Besucher, die das Kirchenschiff nur ohne Schuhe betreten dürfen, fühlen sich von der Arbeit förmlich umarmt. Seit Monaten kommen sie - manche immer wieder, wie die Künstlerin erzählt, die sehr viel Zeit vor Ort verbringt, um am umfangreichen Rahmenprogramm teilzunehmen.

Blauth hat das Kirchenschiff mit seinen angrenzenden, durch große Glasflächen einsehbaren Seitenhöfen draußen durchgängig mit satt grün leuchtendem Kunstrasen belegt. Die Besucher gehen, stehen, sitzen und liegen still auf dem Rasen, in den aus Brandschutz- und Stabilitätsgründen zusätzlich drei Tonnen Sand eingearbeitet wurde. Doch man fühlt diesen nicht. Der Rasen fühlt sich an, wie ein weiches Ruhekissen. Dass man sich dort niederlassen und innere Ruhe und Einkehr finden kann, das ist Blauth mit ihrer Kunstinstallation auf überzeugende Art gelungen.

Parallel zur Documenta: In der Mitte des Kirchenschiffs, das mit Kunstrasen ausgelegt ist, steht die Schale mit den Perlen.

In der Mitte des Kirchenschiffs, das mit Kunstrasen ausgelegt ist, steht die Schale mit den Perlen.

(Foto: Johannes Seyerlein)

Im Zentrum der Installation steht eine Feuerschale von 120 Zentimetern Durchmesser, die mit 72 000 Perlen gefüllt ist. Oder besser gesagt war. Denn die Gäste sind nicht nur aufgefordert, die Perlen, die Blauth als Symbol für die Seelen versteht, zu berühren. "Die Besucherinnen und Besucher können vom Labyrinth auf dem Vorplatz bis in den Paradiesgarten mit der Perlenschale eine spirituelle Reise unternehmen. Als Symbol und Erinnerung nehmen sie eine Perle mit nach Hause", erklärt Blauth ihr Konzept, mit dem sie sich gegen vier Mitbewerber durchgesetzt hat. "Poem of Pearls" soll zum Nachdenken einladen, "zum Auf-dem-Weg-Sein und zum Genießen mit allen Sinnen", so Blauth. Denn auch der Geruchssinn wird subtil beeinflusst. Von einer darauf spezialisierten Firma hat sich Blauth einen "nach Weite, Meer und Himmel" duftenden Geruchsstoff entwickeln lassen, der über einen Verdunster in der Kirche verteilt wird. Er ist sehr dezent, und man nimmt ihn nur bewusst war, wenn man dem Gerät sehr nahe kommt.

Parallel zur Documenta: Die Münchner Künstlerin Birthe Blauth ist sehr oft vor Ort. Es gibt viele Gespräche inmitten der Installation, auch Lesungen und Konzerte.

Die Münchner Künstlerin Birthe Blauth ist sehr oft vor Ort. Es gibt viele Gespräche inmitten der Installation, auch Lesungen und Konzerte.

(Foto: Kerstin Leitschuh)

Der Hortus conclusus als verschlossener, geheimnisvoller, paradiesähnlicher Garten ist seit Jahrhunderten Symbol christlicher Ikonografie. Die Vorstellungen der Menschen davon waren immer geprägt von übernatürlicher Schönheit. Auch deshalb hat Birthe Blauth den sattgrünen Kunstrasen gewählt, der nie unansehnlich wird. Aber wie jedes irdische Paradies hat auch dieses einen Haken: Kunstrasen verrottet nicht. Doch der Kunstrasen wird nicht entsorgt, sondern jeder kann ein Stück vom Paradiesrasen (100 x 100 Zentimeter groß) über eine, von der Plattform für digitale Kunst "Unpainted" gestarteten Crowdfunding-Kampagne zur Erinnerung erwerben und zudem einen Beitrag für das Projekt leisten. Nach dem 2. Oktober werden die Rasenstücke zugeschnitten und die Spender erhalten ein von der Künstlerin signiertes und nummeriertes "Piece From Paradise" mit einem Echtheitszertifikat. So viel Nachhaltigkeit im Paradies muss sein.

Poem of Pearls. Birthe Blauth in der Elisabethkirche am Friedrichsplatz in Kassel, noch bis 2. Okt., mehr Infos zum Abschlussprogramm unter www.kunstraumkirche.de. Der Katalog (104 Seiten, 35 Abbildungen) ist in der Edition Braus Berlin erschienen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: