Biografie:Christian Udes Vater verdrängte, was er in der Nazizeit schrieb

Karl Ude

Der Münchner Literat Karl Ude (links) mit seiner Familie: Ehefrau Renée und Sohn Christian, langjähriger SPD-Oberbürgermeister.

(Foto: Karl-Heinz Egginger)
  • Der Vater des späteren Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude, der Journalist und SZ-Autor Karl Ude, war während der NS-Zeit nicht der unpolitische Feuilletonist, für den er sich später ausgab.
  • Die Biografie "Topographie des Vergessens" untersucht Texte, die nahelegen, dass Karl Ude sich durchaus für die Politik der Nazis erwärmte.

Von Jakob Wetzel

Aufarbeiten! Das war der Appell von Christian Ude. Es war im März 2013, der damalige Münchner Oberbürgermeister stand an der Hofstatt, also dort, wo früher das Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung war. Drei Bronzetafeln wurden an jenem Abend enthüllt, um an den 1934 von den Nationalsozialisten ermordeten Journalisten Fritz Gerlich zu erinnern. Ude aber war skeptisch. Die Medien sollten sich ihrer Vergangenheit stellen, forderte er. Von 1933 bis 1945 seien schließlich Zeitungen erschienen, und es habe weiß Gott nicht nur Vorbilder gegeben wie Gerlich.

Drei Jahre sind seitdem vergangen, aber wie richtig dieser Hinweis war, ist Christian Ude erst in diesen Tagen wieder neu bewusst geworden. Denn derzeit richtet sich der Blick ausgerechnet auf einen Mann, der nicht nur über Jahrzehnte hinweg Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung war, sondern außerdem Udes Vater.

"Im Dritten Reich war er noch nicht einmal gedanklich im Widerstand"

Der Münchner Autor Johann Türk arbeitet an einer Biografie über Karl Ude, die im Frühjahr erscheinen soll; getauft hat er sie "Topographie des Verdrängens". Denn Ude senior hatte sich selbst bis zu seinem Tod 1997 als im Nationalsozialismus politisch unbedarften Feuilletonisten dargestellt. Und sein Sohn hielt ihm zwar politisches Versagen vor, beschrieb ihn aber als Mitläufer: "So sehr sich mein Vater für die Künste begeisterte, so wenig interessierte ihn die Politik", schrieb Christian Ude noch 2012 in einem Gastbeitrag für das Magazin Focus - und fügte kritisch hinzu: "Im Dritten Reich war er noch nicht einmal gedanklich im Widerstand."

Türk dagegen hat in den vergangenen sieben Jahren nach eigenem Bekunden etwa 5000 Artikel von Karl Ude ausgewertet. Diese Texte legen nahe, dass sich der Journalist sehr wohl für die Politik der Nazis erwärmt hat.

Ude, Jahrgang 1906, hat Artikel verfasst, in denen er von der "Reinheit der Gesinnung" und "nationalsozialistischer Haltung" schwärmte, von der "Gemeinschaft zwischen Volk und Führer" und dem "Geist des neuen Deutschland". Er hat Texte fabriziert, in denen er es gutheißt, "das entartete und arbeitsscheue Gesindel" zu sterilisieren, damit "der gesunde Erbstrom des deutschen Volkes" in eine "starke Zukunft" flute. Und er hat Theater-Rezensionen geschrieben, in denen er über die Folgen der "jüdischen Rassenzugehörigkeit" schwadroniert und einen Autor dafür lobt, eine jüdische Figur "bis zu dem Abbild eines über der Welt thronenden Molochs zu steigern".

Dass Karl Ude in der NS-Zeit kein unpolitischer Feuilletonist war, ist nicht neu

Karl Ude war kein Einzelfall; ähnliche Passagen finden sich in Artikeln anderer Autoren aus jener Zeit. Ude war auch kein Funktionär; er war weder NSDAP-Mitglied noch bei einem NS-Blatt fest angestellt. In der Wehrmacht war er lediglich Obergefreiter. Nach dem Krieg aber ist Ude nicht länger irgendwer gewesen. Er hat das Münchner Kulturleben mitgeprägt, als Chefredakteur der literarischen Monatsschrift Welt und Wort, als Mitglied Schwabinger Literatenkreise und als Autor für die SZ. Für den Münchner Stadtanzeiger schrieb er bis wenige Jahre vor seinem Tod seine Kolumne "Münchner Kulturbummel". Er erhielt im Laufe seines Lebens zahlreiche Auszeichnungen; Ude trug das Bundesverdienstkreuz am Bande, und allein die Stadt München verlieh ihm zweimal die Medaille "München leuchtet".

Türks Funde sind umso frappierender, als sie im Kern nicht neu sind. In den vergangenen Jahrzehnten haben wiederholt Studien auf die Vergangenheit Karl Udes hingewiesen. Den Anfang machte Ende der Fünfzigerjahre der rechtsgerichtete Publizist Kurt Ziesel: In einem Pamphlet mit dem Titel "Das verlorene Gewissen" zitierte er unter anderem aus Artikeln Udes. Selbst wenn Ziesel eigene Ziele verfolgte - er wollte Kritiker bloßstellen, die sich über Literaten aus der NS-Zeit erhoben -, und auch wenn seine Passagen weniger scharf wirken als die Artikel, die Türk gefunden hat: Dass Karl Ude im Nationalsozialismus nicht der unpolitische Feuilletonist gewesen ist, für den er sich ausgegeben hat, konnte schon damals jeder nachlesen, der wollte.

Christian Ude forschte im Archiv nach und fand nichts kompromittierendes

Ziesels Pamphlet sei in den Redaktionen bekannt gewesen, sagt Knud von Harbou, Historiker und ehemaliger leitender Redakteur im Feuilleton der SZ. Und doch ist Karl Ude offenbar nie mit dieser Vergangenheit konfrontiert worden. Und auch darin war er kein Einzelfall; die deutsche Nachkriegsgesellschaft war bemüht vergesslich. So gab es nach dem Zweiten Weltkrieg keinen harten Bruch im Münchner Kulturleben; weder in der Musik, noch in der Literatur. Auch die Redaktion der SZ, für die Ude ja geschrieben hat, war keine Ausnahme. Erst im vergangenen Jahr hat von Harbou in seinem Buch "Als Deutschland seine Seele retten wollte" herausgearbeitet, wie einst überzeugte Nationalsozialisten nach 1945 in der SZ unterkamen - und niemand darüber sprach.

Daran rührten offenbar auch nicht die Sozialdemokraten und Liberalen in der Redaktion. Christian Ude, der in den späten Sechzigerjahren selbst zwei Jahre lang für die Süddeutsche Zeitung gearbeitet hat, erzählt, er habe mit unverdächtigen Kollegen intensiv auch über seinen Vater gesprochen, etwa mit dem jüdischen Lokalchef Bernhard Pollak oder mit Immanuel Birnbaum, der seit 1917 SPD-Mitglied und damals Mitglied der SZ-Chefredaktion war. "Die haben mit keinem Wort angedeutet, dass der einmal als Autor unerträglicher Zeilen aufgefallen sei", sagt Ude.

Er habe auch ins SZ-Archiv gesehen, um nachzulesen, was sein Vater geschrieben habe. Ude senior war ja unter anderem für die Münchner Neuesten Nachrichten, die Vorgängerin der SZ, tätig gewesen. Aber er habe nichts Kompromittierendes gefunden, sagt Christian Ude. Also habe er seinem Vater geglaubt, wenn der sagte, er habe sich einfach konform verhalten, weil er seinen Beruf ausüben wollte.

Hat Karl Ude sich durchgemogelt?

Heute sei er erschüttert, dass sich sein Vater "durchgemogelt" habe, sagt Christian Ude. Er wehrt sich aber gegen den Vorwurf, er habe die tatsächliche Vergangenheit von Karl Ude bewusst verschwiegen. Er sagt, er sei erst im Dezember 2015 erstmals mit konkreten, einschlägigen Zitaten seines Vaters konfrontiert worden. Entsprechende Behauptungen habe er zuvor stets für Manöver gehalten, um ihm, dem Kommunalpolitiker und Spitzenkandidaten der Bayern-SPD für die Landtagswahl 2013, zu schaden.

Begegnet seien ihm die Vorwürfe gegen seinen Vater erstmals Ende 2002, sagt Ude - damals aber in Gestalt eines rechtsextremen Flugblatts, in dem Ude angegriffen wurde, weil er sich für das geplante jüdische Zentrum am Sankt-Jakobs-Platz einsetzte. Das Flugblatt warf ihm eine "manische Bewältigung der eigenen Familiengeschichte" vor: Vater Karl Ude habe im Krieg "Einsatz bis zum Letzten im Zeichen des Hakenkreuzes" gefordert. Zudem war von "geistiger Vormundschaft" zu lesen, von "Holocaust-Industrie" und "antideutscher Propaganda". Ude sagt, er habe den Zettel nicht ernst genommen.

Die SZ-Kollegen erinnern sich an einen freundlichen Mann

Später habe dann der Künstler Wolfram Kastner einmal öffentlich gesagt, Karl Ude habe die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten 1933 als "Fest" bezeichnet. Da sei er schon erschrocken, sagt Ude. Er habe daraufhin nach Belegen gesucht, aber keine gefunden. Und als ihn der Autor Johann Türk 2012 mit Rechercheergebnissen konfrontieren wollte, sei Landtagswahlkampf gewesen, und schon im Anschreiben habe Türk geschrieben, Karl Ude sei der führende Goebbels-Propagandist gewesen; auch das habe er nicht ernst nehmen können.

In der SZ erinnern sich ehemalige Stadtanzeiger-Kollegen heute an Karl Ude als an einen freundlichen Mann, der oft einen Scherz auf den Lippen hatte. Niemand kam auf die Idee, in ihm einen früheren Nazi-Propagandisten zu vermuten. Beispielhaft illustriert das der Nachruf auf ihn, der in der SZ erschienen ist, Autor war ein Vertreter der Münchner Literaturszene und früherer SZ-Redakteur. Er schreibt, Ude habe "nach seinem unfreiwilligen ,Dienst am Vaterland'" den Neubeginn des literarischen Lebens in Deutschland eingeleitet. Schon 1942 sei er für die Novelle "Die Pferde aus Elsenhöhe" ausgezeichnet worden. Die Frage, was Ude vor 1945 sonst noch geschrieben hatte, stellte sich offenbar nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: