Süddeutsche Zeitung

Tradition:Von Würsten und Wurzeln

Metzgermeister Sule Afinowi ist ein Bayer im Herzen. Aufgewachsen ist er in Nigeria, als Teenager kam er zu seinem Opa nach Straßlach. Und entdeckte seine Liebe zum Fleischerhandwerk.

Von Michael Morosow

Der Mann führt eine florierende Bio-Metzgerei in Straßlach-Dingharting, trägt gerne bayerische Tracht, ist Mitglied der Königlich Privilegierten Feuerschützengesellschaft (FSG) Bad Tölz, und wenn ein saftiger Schweinebraten auf den Tisch kommt, sagt er nicht "lecker", sondern "sauguat". Ja, der Metzgermeister aus dem kleinen Ort südlich von München hat viel von dem, das nach landläufiger Meinung einen typischen Bayern auszeichnet. Trotzdem fällt er auf.

Sule Afinowi ist Sohn eines nigerianischen Vaters und einer aus dem Straßlacher Ortsteil Hailafing stammenden Mutter. Für einige Zeitgenossen wie den Rosenheimer AfD-Landtagsabgeordneten Andreas Winhart, für den selbst das Versenken von Seenotrettungsschiffen eine Option darstellt, sind Menschen wie Sule Afinowi "Neger", die den Wohlstand im Lande gefährden. Man sollte ihn auf eine Leberkässemmel in die Metzgerei Huber einladen, auf dass er vielleicht seine Angst vor dem Untergang des Abendlandes ablegen und Respekt vor der Leistung des 40-jährigen Metzgermeisters gewinnen kann.

Im Ort selbst, so versichert jeder, den man danach fragt, genießt der "Sule" jedenfalls hohes Ansehen, nicht nur seiner biologisch erzeugten Fleisch- und Wurstwaren wegen, die einen ausgezeichneten Ruf auch über die Gemeindegrenzen hinaus haben. Dennoch die Frage: Kann es wirklich sein, dass der Metzger mit afrikanischen Wurzeln in der 3200-Einwohner-Gemeinde, in der zuletzt bei der Landtagswahl 91 Stimmen auf die AfD entfielen, noch nie rassistisch angepöbelt worden ist? "Ja, ist so", sagt Afinowi. "Mia san a guade Gemeinde", sagt Franz Gröbmair, Geschäftsleiter im Rathaus. "Es hat nie schiefe Blicke gegeben", sagt Afinowis Ehefrau Katharina.

Über die Stationen seines nicht alltäglichen Werdegangs berichtet der Metzgermeister, während er eine Schweinehälfte zerlegt, mit scharfem Messer "Speck für die Wurst" von den Rippen löst und Schwarte ablöst, speziell für die Weißwürste, die zu den besten im weiten Umkreis zählen sollen.

Im Dezember 1978 ist er in Heidelberg geboren, als Dreijähriger zog er mit seinen Eltern nach Nigeria, wo er später auf die sogenannte Secondway-School ging und zu Hause Deutsch sprach. Afinowi war gerade volljährig geworden, als er Afrika den Rücken kehrte und zu seinem Großvater in Hailafing zog.

Der Opa, 2015 mit 96 Jahren gestorben, war einer von zwei Hauptverantwortlichen dafür, dass aus dem jungen Mann ein Bio-Metzger aus Überzeugung wurde - und ein "Bayer im Herzen", wie seine Frau Katharina ihn sieht. Der Opa, Schützenmeister in Straßlach-Dingharting, nahm den jungen Mann regelmäßig zum Schießen mit, lehrte ihn den Umgang mit Feuer- und Zimmerstutzen und führte ihn in die Tölzer Feuerschützengesellschaft ein. Und bis sich der "Sule" umschaute, steckte er in einer bayerischen Lederhosn.

Anderl Stumpf, Schützenmeister der Königlich Priviligierten in Bad Tölz, schwärmt in den höchsten Tönen von dem "unwahrscheinlich freundlichen und traditionsbewussten" Schützen. "Der passt zu uns. Jeder mag ihn." Dann muss der Schützenmeister noch eine Anekdote loswerden. In München sei er auf einer Vernissage gewesen, als eine Frau ihrer Freundin von dem "wahnsinnigen Spitzenmetzger in Straßlach" berichtet habe. Er habe daraufhin gesagt: "Sie moana an Sule." Und den erstaunten Frauen erklärte er: "Den Sule kennt jeder im Oberland."

Nach seiner Rückkehr aus Afrika schwebte Sule Afinowi eine Kochlehre vor, dann aber hörte er vom Opa, dass der Straßlacher Metzgermeister Klaus Huber, einer der ersten im ganzen Großraum München, der schon vor 40 Jahren auf artgerechte Aufzucht setzte, einen Lehrling suche. Sule Afinowi fand Gefallen daran, auch wenn der junge Mann noch Deutsch in Schrift lernen musste - seine Sprachkenntnisse hatten sich auf das Sprechen beschränkt. 2001 erhielt Sule Afinowi den Gesellenbrief, 2004 machte er seinen Meister in Augsburg. Was er vor allem während seiner Ausbildung von seinem Lehrherrn gelernt hat, ist der Respekt vor den Tieren - sowohl bei der Haltung als auch beim Schlachten. Vom Schächten, wie in Nigeria üblich, hält er wenig. Lamm, Rind und Kalb schlachtet er selbst.

Alle Tiere stammen von Bauern aus der nahen Umgebung, sie kommen einzeln zum Schlachten, immer in Begleitung einer Bezugsperson. Und sie werden betäubt. Die in Dorfen und Landshut gehaltenen Schweine lässt er aber vom Metzger Stuhlberger in Wartenberg schlachten, weil der Transportweg dorthin viel kürzer ist, als wenn die Tiere auf engem Raum zusammengepfercht bis nach Straßlach transportiert werden müssten, und weil Ludwig Stuhlberger selbst ebenso viel am Tierwohl liegt wie ihm. Stuhlberger schätzt das ruhige Wesen des Straßlacher Metzgers und hat für ihn das höchste Lob übrig, das man einem Bayern aussprechen kann: "Der Sule", so sagt der Mann aus Wartenberg, der Afinowi als Dozent in der Meisterschule in Augsburg unterrichtete, "der Sule is koa Preiß, der daherplappert, der Sule is a Bayer, und wenn der was sagt, dann passt es."

Sule Afinowi ist bislang nicht mehr in Afrika gewesen, wo noch sein Vater lebt, seine Mutter wohnt heute in München. Es ziehe ihn nicht mehr nach Nigeria zurück, auch wegen der instabilen, unsicheren politischen Lage. Vor 20 Jahren hat er seine Frau Katharina kennengelernt, die früher selbst in einem Trachtenverein war und mit ihm bis zur ersten Schwangerschaft über Parkett wirbelte. 2011 haben sie geheiratet, heute sind sie stolze Eltern von Lillie, 3, und Jasmin, 5, und wohnen in Forstenried. Im Juli 2017 hat Klaus Huber seinem einstigen Lehrling den Betrieb übergeben, an Samstagen hilft er noch ein wenig aus. Er sei sehr zufrieden mit seinem Nachfolger, sagt der 75-Jährige. Außerdem wolle er im Falle seines ehemaligen Zöglings nicht von "Integration" sprechen. "Das ist doch ein Deutscher", sagt er.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2019/kaal
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