Süddeutsche Zeitung

Ein Jahr für Gott:"Ich bin Christ - und du?"

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Wer mit Raoul Rossmy redet, kommt um die wichtigen Fragen nicht herum: Warum Gott Auschwitz zugelassen hat oder ob Hitler in der Hölle ist. Der Münchner Theologe, Maler und Musiker widmet ein Jahr seines Lebens Gott.

Von Gerhard Fischer

Es gibt die Hölle, aber ich habe durchaus die Hoffnung, dass sie leer ist", sagt Raoul Rossmy. Wer mit Rossmy redet, kommt um die wichtigen Dinge nicht herum: um die Liebe, um ein Leben nach dem Tod, um die wuchtige Frage, warum Gott Auschwitz zugelassen hat - und ob Hitler in der Hölle ist. Das mit Hitler mag nicht wichtig sein, aber es geht darum, was mit den Bitterbösen passiert, wenn sie sterben. Rossmy glaubt, dass jeder Mensch fähig zur Reue sei. Und wer Reue zeige, müsse nicht in die Hölle. Das Zitat von der leeren Hölle stammt übrigens vom Theologen Karl Rahner.

Raoul Rossmy ist kein Pfarrer, kein Mönch und kein Religionslehrer. Er hat Theologie studiert, ist 26 Jahre, Maler und Musiker und widmet gerade ein Jahr Gott. Momentan tut er das im Benediktinerkloster in Rohr in Niederbayern. Gegen Kost und Logis malt er dort in der Kapelle ein Bild. Er wohnt wie die Mönche in einer Zelle, so nennt man die Zimmer, und er betet mit ihnen zweieinhalb Stunden pro Tag.

Wer durch Rohr fährt, muss an ein paar Namenswitzen vorbei, es gibt zum Beispiel die Gaststätte Rohrspatz. Raoul Rossmy sitzt vor dem Klosterladen in der Sonne, er ist leicht zu erkennen - er hat, wie vorher am Telefon beschrieben, lange Haare, die zu einem Zopf gebunden sind. Frater Franz kommt hinzu, man geht in die Kapelle und betrachtet Rossmys Bild, auf dem eine Sonne zu sehen ist. Raoul Rossmy erklärt, dass er die warmen Brauntöne wählte, weil sie zu Boden, Figuren und Lichteinfall in der Kapelle passten; und dass die Sonne, die er gemalt hat, gut zu Ostern passe: Jesus Christus als aufgehende Sonne.

Jesus als aufgehende Sonne

Dann führt Frater Franz zur Asamkirche. Auf dem Weg dorthin redet er über das Kloster, das Tagungshaus und das Gymnasium mit seinen 563 Schülern, das von den Mönchen verwaltet wird. Zwei von ihnen unterrichten auch, Abt Gregor und Pater Fabian. "Ora et labora", sagt der Frater. Er meint seinen Orden.

In der Asamkirche drückt Frater Franz auf einen Knopf, Orgelmusik ertönt. Sie passt zu seinen salbungsvollen Worten über die Kirche und den Lichteinfall, der Orangetöne in den Raum zaubert. Über dem Altar ist ein Fenster in der Form einer Sonne, ihre Strahlen durchstoßen Wolken. Dieses Fenster war Vorbild für Rossmys Sonnen-Bild in der Kapelle. Frater Franz spricht noch über die verpielte Barockzeit und den Baumeister Egid Quirin Asam. Dann geht er.

Im Speiseraum redet Rossmy über Gott und die Welt, und bei ihm ist das nicht bloß eine Phrase. Raoul Rossmy ist in Haidhausen aufgewachsen, und es liegt nahe, ihn nach seinem Namen zu fragen. Er lacht. "Meine Eltern dachten, bei diesem Nachnamen kann man kreativ sein", sagt er. "Ich bin ihnen dankbar - so brauche ich keinen Künstlernamen." Er heißt sogar Raoul Rudolf Maria Rossmy. Rudolf stehe für den Opa, Maria sei die Namenspatronin. Der Bruder heißt übrigens Beat Johann Baptist.

Aber der Nachname, wo kommt er her? "Man weiß es nicht", sagt Rossmy, "vermutlich aus dem tiefsten Osteuropa". Der Opa sei Weltkriegswaise gewesen, daher sei es schwer, die Wurzeln zu erforschen.

Gestalten, nicht verwalten

Frater Franz kommt noch einmal dazu. Er setzt sich auf einen Stuhl neben Rossmy und erzählt irgendetwas Historisches; es geht um die Genese des Ordens, er beginnt bei der Gründung der Abtei Brevnov im Jahre 993. Als er zu sehr ins Detail geht, unterbricht ihn Rossmy freundlich.

Raoul Rossmy ist ganz anders als Frater Franz. Rossmy ist nicht erhaben, gesetzt oder verkopft. Er ist mehr Basiskirche als Amtskirche. Er glüht förmlich, er will gestalten, nicht verwalten. Und er hat viel Selbstbewusstsein. Er zeigt es, indem er auf seinen rechten Turnschuh "Ich bin Christ" schreibt und auf den linken "Und du?" Aber vor allem zeigt er es im Gespräch, in dem der 26-Jährige viele Dinge mit erstaunlicher Bestimmtheit formuliert und sagt, er wolle als Christ sichtbar sein; er wolle "in die Gesellschaft hineinwirken" - in eine Gesellschaft, in der es "mittlerweile intimer sei, über Religion zu reden als über Sex".

Ist er liberal, für einen Katholiken, für einen Theologen? Er leugne "natürlich nicht" die Evolution, sagt Rossmy; er habe selbstverständlich nichts gegen Homosexuelle. Er halte das Zölibat bei Gemeinde-Pfarrern für überflüssig, aber, aufgemerkt, nicht bei hohen Würdenträgern; diese sollten sich ganz auf ihr Wirken konzentrieren - wie etwa Widerstandskämpfer, die auch keine Rücksicht auf eine Familie nehmen könnten. Rossmy ist zunächst sehr bestimmt.

Aber kann man das nicht jedem selbst überlassen, ob er kämpft und tut und macht - und trotzdem eine Familie hat, vielleicht eine Frau, die an seiner Seite kämpft und tut und macht? Irgendwann sagt Rossmy: "Man kann darüber diskutieren." Er selbst will nicht Priester werden, sondern Pastoralreferent. Er will eine Familie haben.

Zweifel, Suche und der Weg zu Gott

Raoul Rossmy kommt aus einer Familie, die eine "einfache Volksfrömmigkeit" auszeichnet, wie er es nennt. Es gehörte eben gesellschaftlich dazu: Kirche gehen, Ministrant sein, Kommunion, Firmung, so etwas. Kurz vor der Firmung wankt sein Glaube: In dieser Zeit sterben kurz hintereinander die beiden Opas, und eine Oma bekommt Krebs. Der Junge stellt sich die Frage: Wie kann Gott das zulassen?

Er zweifelt, sucht, beschäftigt sich mit Hinduismus und Buddhismus, redet mit Gläubigen und liest Siddharta von Hesse, aber es erfüllt ihn nicht, er landet schließlich - bei der Bibel. Rossmy, der fast immer klar und rasch formuliert, wird jetzt noch einen Tick schneller, stakkatohaft gibt er seine Erkenntnis aus der Bibel wieder: "Dieser Gott kennt mein Leid. Er leidet als Jesus mit den Menschen. Jesus am Kreuz ist Gott selbst. Er macht sich klein und anfassbar. Er macht einen Schritt auf uns zu, aus Liebe." Es mache das Christentum einmalig, "dass hier keine Distanz zwischen Gott und Mensch existiert".

"Die Begegnung mit Jesus gab mir sehr viel Kraft", sagt er dann. Er fängt seine Worte aber gleich wieder ein: "Wenn man das dann so liest - Begegnung mit Jesus - klingt das kitschig." Eine Nummer kleiner geht auch: Er hat als Teenager in der Bibel gelesen und einen Sinn gefunden, und, ja auch, einen Weg. Er studiert dann Theologie, um noch besser mit der Bibel umgehen zu können, die bekanntlich sehr interpretierbar ist.

Nach dem Studium dachte Raoul Rossmy, er brauche eine längere Auszeit, in der er seine Talente pflegen könne, die Gott ihm gegeben habe: Kreativität, Musik, zeichnen, malen. Er wollte diese Talente zwölf Monate kostenlos anbieten, in Kirchengemeinden, in Klöstern. Ein Jahr für Gott eben.

Zunächst ist er als Musiker unterwegs, trägt eigene geistliche Lieder vor und spielt Gitarre, dann verbringt er sieben Wochen im Kloster Ettal, wo er ein Altarbild malt, jetzt ist er in Rohr. "Ich habe zunächst mit den Mönchen geredet", erzählt er, "ich wollte wissen: Was wird mit diesem Raum verbunden? Was stellt man sich vor." Dann hat er eine Skizze gemacht, sie vorgelegt, er wurde angenommen.

Am Ende geht Raoul Rossmy noch einmal in die Kapelle. Er sagt dort, dass er manchmal stundenlang vor seinem Bild sitze, meditiere und schaue, was er noch ändern könne. "Malen ist für mich Beten."

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Quelle:
SZ vom 04.04.2015
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