Bilanz nach der Bombensprengung in Schwabing:Wem die Scherben Glück bringen

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Verschmort, verbrannt, verrußt: Zwei Wochen nach der Schwabinger Bombensprengung werden nun die Schäden berechnet und repariert. Für Handwerker bedeutet das gute Geschäfte. Und so mancher Politiker und Versicherer erhofft sich einen Imagegewinn.

Stephan Handel

Kann schon auch Zufall sein - aber es sind sehr viele Handwerker-Autos unterwegs im Karree zwischen Münchner Freiheit, Feilitzsch-, Markt- und Haimhauser Straße. Altbausanierer, Maler, Heizungsbauer laden ihre Werkzeuge aus an diesem Vormittag, am Wedekindplatz fluchen zwei Glaser, weil sie den Rahmen des Schaufensters nicht aus der Mauer bekommen, das sie austauschen sollen. "Für die Glaser ist das ein Bombengeschäft", sagt Günter Selentin.

Der Ort der Sprengung wirkt zwei Wochen nach den aufregenden Tagen in Schwabing wenig bedrohlich. Das Grundstück hinter dem Zaun könnte auch eine der vielen anderen Baustellen in der Stadt sein. (Foto: dapd)

Das ist nur ein bisschen geschmacklos, denn natürlich kommt die Konjunktur im Glasgewerbe von ihr, von der Bombe, die vor zwei Wochen gefunden wurde in der Baugrube an der Feilitzschstraße und die vorvergangenen Dienstag kontrolliert gesprengt wurde, so kontrolliert, dass die Häuser rund herum großflächig entglast wurden, ein Laden gleich komplett ausbrannte. Der Schaden? Unklar. Die Versicherungskammer Bayern (VKB), die im Freistaat rund 75 Prozent aller Häuser versichert hat, rechnet mit einer Summe von etwa vier Millionen Euro, die sie an ihre etwa 25 Kunden im beschädigten Viertel auszahlen wird müssen.

Günter Selentin, bei der VKB Hauptabteilungsleiter Sachschaden, sieht nicht so aus, als bereite ihm das schlaflose Nächte: "Wir werden's überleben", sagt er trocken und wirkt dabei so, als wäre ihm schon auch klar, dass die Explosion der Bombe für das Marketing seines Unternehmens ein Volltreffer ist. Deshalb auch hat die VKB sich beeilt zu erklären, dass sie selbstverständlich alle bei ihr versicherten Schäden erst einmal regulieren wird. Denn noch ist völlig unklar, ob jemand - und, wenn ja, wer - haftbar gemacht werden kann. Die Stadt? Der Freistaat? Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat am Montag noch einmal erklärt, dass Bayern helfen werde, allerdings muss erst noch der Landtag gefragt werden.

Und Ludwig Spaenle hat sogar, so erzählt er's, persönlich im Finanzministerium angerufen, um zu fragen, ob die Leute ihren Schaden denn von der Steuer absetzen können. Das gehört zwar eigentlich nicht zu den Aufgaben eines Schulministers, aber Spaenle ist ja nebenbei auch noch CSU-Chef in Schwabing. Und Günter Selentin sagt, man werde schon prüfen, ob jemand in Regress genommen werden könne - wichtiger sei aber nun erst einmal die Regulierung, und die könne dann doch, bis die letzte Rechnung bezahlt ist, zwei Jahre dauern.

Zuerst aber muss natürlich geklärt werden, was denn alles kaputtgegangen ist. Bei der VKB ist dafür unter anderem Günter Weiß zuständig, Bauingenieur und von der "Qualitätssicherung Schaden Sach". Er zeigt nun zum Beispiel auf die Steinplatten an der Fassade des Hauses Feilitzschstraße 8. Und tatsächlich: Wenn der Handwerker, der die Platten anbrachte, das so gewollt hätte, dann hätte ihn die Bayerische Hausbau, der das Haus gehört, wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit verklagt. Manche Platten stoßen eng aneinander, bei anderen sind Fugen von ein, zwei Zentimetern zu sehen. Weiß vermutet, dass die Druckwelle die Platten verschoben hat. Was das aber bedeutet, welche Folgeschäden daraus entstehen können - das muss er sich noch einmal genauer anschauen.

Bombe in Schwabing gesprengt
:Der große Knall

Sprengstoffexperten haben mitten in Schwabing eine hoch explosive Fliegerbombe gesprengt. Die Explosion ist in der ganzen Stadt zu hören. Einen Tag nach dem großen Knall sind noch immer zahlreiche Straßen gesperrt, Schaufenster sind kaputt, in der Luft hängt beißender Brandgeruch.

Nichts zu interpretieren gibt es hingegen am Haus Feilitzschstraße 11 - hier rechnet die Versicherung mit einem Schaden von bis zu einer Million Euro. Ein Modegeschäft ist komplett ausgebrannt, und wie das geschehen konnte, zeigt Günter Weiß auf der Rückseite des Hauses. Dort findet sich ein kleiner Hinterhof, von drei Seiten bebaut - direkt an der offenen Seite lag die Bombe. Das Feuer und die Druckwelle fuhren also in den Hinterhof hinein wie in ein zu enges Gehege und taten ihr Zerstörungswerk.

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Ein Baum steht noch da und schaut aus, als sei er von einem spanischen Waldbrand hierher versetzt worden: die Blätter verbrannt, die Rinde rußgeschwärzt. Weiß vermutet, dass brennendes Stroh, zur Abschirmung der Explosion eingesetzt, in den Hinterhof flog, dort Mülltonnen in Brand setzte, und dass sich das Feuer dann in das Modegeschäft fraß. Balkone, Fensterrahmen, Taubenvergrämer, Kunststoffbeschichtungen an Stahlbetonträgern - alles verschmort, verbrannt, verrußt. Ein paar Fahrräder stehen im Hinterhof, auch sie sind der Feuerwalze zum Opfer gefallen. Immerhin: Das Haus kann gerettet werden, wie überhaupt kein Gebäude so stark beschädigt ist, dass es abgerissen werden müsste.

In der Haimhauser Straße sind Kollegen von Günter Weiß gerade damit beschäftigt, die Schäden an einem Haus aufzunehmen. Ein Chemiker misst, ob nicht durch die Explosion irgendwelche Giftstoffe freigesetzt wurden - bis auf den immer noch in der Luft hängenden Brandgeruch hat er aber bislang noch nichts gefunden. Der größte Verlust in diesem Gründerzeit-Haus sind jedoch die historischen Bleiglas-Fenster im Treppenhaus, die die Druckwelle nicht überlebt haben.

"Das wird teuer", murmelt Günter Selentin. Weder Hausverwalter noch Bewohner haben Zeit und Lust zum Reden: Zu sehr wurden sie in den Tagen nach der Detonation von Kamerateams, Fotografen und aufdringlichen Reportern belästigt, die ohne zu fragen bis in die Schlafzimmer vordrangen.

An Schaufenstern steht: "Vielen Dank an Polizei und Feuerwehr für den Einsatz", an einer anderen zersplitterten Scheibe: "Kein guter Platz, um sich anzulehnen". Brandgeruch hängt in der Luft, Handwerker-Autos stehen dicht gedrängt, die Glaser am Wedekindplatz fluchen immer noch. Ansonsten scheint langsam wieder Normalität einzukehren rund um den Bombenkrater. Eine Normalität, zu der eine 92-jährige Dame aus der Haimhauser Straße ihren aufgeregten Nachbarn schon vor zwei Wochen riet: "Regt euch nicht auf", soll sie gesagt haben, "im Krieg war's viel schlimmer."

© SZ vom 11.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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