Bilanz engagierter Hobbyhistoriker:Arbeit am kollektiven Gedächtnis

Bilanz engagierter Hobbyhistoriker: Verkehr in der Luft: Als der Zeppelin über der Dorfkirche St. Peter auftauchte, war das in Hadern eine Sensation.

Verkehr in der Luft: Als der Zeppelin über der Dorfkirche St. Peter auftauchte, war das in Hadern eine Sensation.

(Foto: Archiv Otto Gugger)

Der Geschichtsverein Hadern feiert sein zehnjähriges Bestehen coronabedingt nur bescheiden: Bei einer Pressekonferenz erinnert der Vorstand an einschneidende Ereignisse der Ortshistorie, die von den Hobbyhistorikern in Ausstellungen und Vorträgen aufgegriffen wurden

Von Berthold Neff, Hadern

Das fünfjährige Vereinsjubiläum wurde noch in großer Runde gefeiert, im Haderner Augustiner und mit den flotten Rhythmen der Dixie-Band Saratoga Five. Nun, beim Zehnjährigen des Geschichtsvereins Hadern, hat Corona das Feiern so gut wie unmöglich gemacht, sodass es das Führungsteam um den Vorsitzenden Reinhard Weber, seine Stellvertreter Frauke Bristot und Kurt Einhellig sowie Kassier Alfons Kunz bei einer Pressekonferenz beließen, bei der sie die vergangenen zehn Jahre Revue passieren ließen.

Und die Bilanz der engagierten Hobbyhistoriker kann sich sehen lassen. Es waren 18 Mitglieder, die den Verein 2010 gründeten. Auslöser dafür war die Namenslesung zur Erinnerung an jene jüdischen Münchnerinnen und Münchner, die dem Terror der Nazis zum Opfer gefallen waren. 2008 fand diese nicht mehr lediglich zentral, sondern auch in den Stadtvierteln statt, vor der Kirche St. Canisius. "Damals stellten wir fest, wie wenig wir über die NS-Zeit in Hadern und die Schicksale der Menschen wussten", sagt Frauke Bristot, die für die SPD lange Jahre im Haderner Bezirksausschuss gesessen hat.

Den Mitgliedern rund um die erste Vorsitzende Inge Wiederhut war klar, dass einiges an Arbeit anstand, denn es galt, an wichtige Ereignisse angemessen zu erinnern, sie so darzustellen, wie sie im Gedächtnis des Viertels auch 75 Jahre später noch präsent sind - zum Beispiel an die Eingemeindung der einst selbständigen Gemeinde Großhadern. München, damals schon "Hauptstadt der Bewegung", verleibte sich das Dorf im Westen 1938 ein.

An diese Zeit und an den Verlust der Souveränität erinnerte der Verein durch seine erste große Ausstellung 2013, im historischen Stadel des Stürzerhofs. Damit nicht genug: In jenem Jahr lieferten die emsigen Mitglieder auch wertvolle Beiträge und Hinweise für den von der Stadt herausgegebenen Kulturgeschichtspfad, mit dem sich die Geschichte der Gemeinde auf mehreren Spaziergängen sehr gut erkunden lässt. Viel Beachtung fand dann auch die Ausstellung im Jahr danach, 2014. Mit vielen Exponaten wurde illustriert, wie das Leben in Hadern war, als der Erste Weltkrieg begann. Es galt, wie es Alfons Kunz formuliert, an die Menschen zu erinnern, die in diesem Krieg ihr Leben verloren - und auch in den Wirren der Räterepublik danach, als Freikorps-Einheiten im Dorf Menschen wahllos exekutierten.

Im Jahr 2016, ging man noch weiter in die Geschichte zurück und gestaltete nicht nur die offizielle Festschrift zu "950 Jahre Hadern", sondern auch eine Wanderausstellung, die vor allem auch der Jugend vor Augen führen sollte, wie aus einem Dorf mit 300 Bewohnern innerhalb von 100 Jahren ein Stadtviertel mit 50 000 Einwohnern werden konnte.

In die Zeit kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs tauchte dann auch die Ausstellung "Schlaglichter - Kurt Eisners Haderner Zeit" ein, kuratiert von Sepp Rauch. Vorbereitet wurde die Revolution, aus der die Republik entstand, in Großhadern. Kurt Eisner lebte von 1910 bis zu seiner Ermordung am 21. Februar 1919 in einer kleinen Villa, die damals an der Adresse Lindenallee 8 stand (heute Pfingstrosenstraße 8). Er beriet sich dort nicht nur mit seinen sozialistischen Weggefährten, sondern nahm, soweit es sich mit seiner Arbeit vereinbaren ließ, am Gemeindeleben teil, war Mitglied im Gartenbauverein. Besonders gefreut hat sich der Geschichtsverein, dass zur Vernissage der Ausstellung im Kulturzentrum Guardini 90 nicht nur eine Enkelin und zwei Enkel Eisners gekommen waren, sondern auch einer seiner Ururenkel.

Für den Vereinsvorsitzenden Reinhard Weber ist es ein großes Anliegen, die Jugend für die Beschäftigung mit der Geschichte zu gewinnen. Das Durchschnittsalter der mittlerweile 143 Mitglieder ist relativ hoch, man bräuchte Nachwuchs, der vielleicht auch einen neuen Blick auf die Historie richtet, sicher aber neue Darstellungsformen finden würde - Videos, Multimedia-Formate. Dass Online-Angebote immer wichtiger werden, zeigt sich ohnehin in diesen Corona-Tagen, da viele Besprechungen im virtuellen Raum stattfinden. Dorthin wird der Verein auch beim Tag des offenen Denkmals am 13. September einladen, zu einem virtuellen Rundgang durch die Kirche St. Canisius.

Eine der wichtigsten Ausstellungen des Vereins ging zum Glück noch mit - viel - Publikum über die Bühne, im vergangenen Herbst. "Wie Krieg war in Hadern" führte 80 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs noch einmal den Alltag in der Not und das Grauen des Krieges vor Augen, erinnerte an die Opfer und schilderte auch, dass es vereinzelt durchaus Widerstand gab gegen das NS-Regime.

Aber auch für die nächsten Jahre hat man sich einiges vorgenommen. Das Führungsquartett des Vereins will nun vor allem die Entwicklung Haderns in der Nachkriegszeit unter die Lupe nehmen, möglicherweise auch mit Fokus auf den Verkehr - den Bau der Lindauer Autobahn und die U-Bahn, die zunächst nur bis Holzapfelkreuth reichte und dann 1993 bis zum Klinikum Großhadern verlängert wurde.

Wer sich in der Ortsgeschichte auskennt wie Alfons Kunz, hat dann gleich ein Schmankerl parat. Schon in den Prospekten der Kurparksiedlung, die nach 1936 entstand, wurde mit einer demnächst kommenden Straßenbahn durch die Fürstenrieder Straße geworben. Daraus wurde dann erst einmal nichts - aber nun könnte sie als Tram-Westtangente doch noch ins Rollen kommen.

Der Geschichtsverein bietet jeden Dienstag von 17 bis 18.30 Uhr im Kulturzentrum Guardini 90 (Guardinistraße 90) eine Sprechstunde an (außer in den Ferien).

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: