Süddeutsche Zeitung

Bilanz der Stadtsanierung:Der Herzschlag Giesings

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Der Weißenseepark ist eines der gelungenen Projekte, die durch das Förderprogramm "Soziale Stadt" realisiert worden sind. Und es gibt noch mehr, was das Stadtviertel belebt

Von Hubert Grundner, Obergiesing

"Besonders stolz bin ich auf den Weißenseepark. Wenn man da heute hingeht und schaut, wie die Menschen sich darauf tummeln, das ist wirklich ein Vergnügen." Carmen Dullinger-Oßwald (Grüne), der Vorsitzenden des Bezirksausschusses Obergiesing-Fasangarten, ist die Freude anzumerken, die ihr dieses grüne Juwel im Herzen Giesings bereitet. Entstanden ist es in einem mehrjährigen Prozess während dreier Bauabschnitte. Heute steht der "runderneuerte" Park für einen - im wörtlichen Sinne - Zuwachs an Lebensqualität wie kaum ein anderes der vielen kleinen und großen Projekte, die mithilfe des Bund-Länder-Förderprogramms der "Sozialen Stadt" realisiert werden konnten. 15 Jahre nach den Startschuss ist es Ende 2020 ausgelaufen. Grund genug für die Verantwortlichen und direkt Beteiligten, Bilanz zu ziehen - eine durchwegs positive.

Es war eine Premiere für die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS), als sie 2005 mit dem Stadtteilmanagement in Giesing beauftragt wurde. Der Gedanke dahinter: Im Sanierungsgebiet "Tegernseer Landstraße/Chiemgaustraße" sollten die Fäden der verschiedenen lokalen Sanierungsmaßnahmen an einer Stelle zusammenlaufen. Bis dahin bestand die angestammte Rolle der MGS in der Projektentwicklung und -durchführung von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen wie zum Beispiel in Haidhausen. Die MGS selbst ist eine Tochter der städtischen Wohnungsgesellschaft GWG.

Der Auftrag für die MGS lautete, zwischen übergeordneten Zielen und lokalen Interessen zu vermitteln. Zu dem Zweck wurden Planungsprozesse moderiert sowie Bürger und Zivilgesellschaft zur Mitwirkung und zur Umsetzung eigener Ideen motiviert. Mit dem Stadtteilladen Giesing an der Tegernseer Landstraße 113 wurde dafür 2006 eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet. Entscheidendes Merkmal der Stadtteilsanierung gemäß des Städtebauförderungsprogramms "Soziale Stadt" war es demnach, eine ganzheitliche Entwicklung im Zusammenspiel der Themenfelder Soziales, Öffentlicher Raum, Verkehr, Handel oder Kultur unter Einbeziehung von Bürgern, Zivilgesellschaft, Stadtverwaltung und Politik in Gang zu bringen. "Wenn die MGS in einem Gebiet aktiv wird, wird dort keine Vorstellung von Stadtteilentwicklung von außen diktiert. Unser Ziel ist immer, gemeinsam und organisch die Voraussetzungen für ein gutes Wohnumfeld, attraktive öffentlicher Räume und ein aktives Stadtteilleben zu schaffen", beschreibt MGS-Geschäftsführer Christian Amlong diesen Prozess.

Seit 2005 habe das Stadtteilmanagement dazu beigetragen, das Stadtteilzentrum entlang der Tegernseer Landstraße umfassend zu beleben. Dazu zählt die MGS neue Orte wie den Giesinger Grünspitz, Anlässe wie das Kulturfestival "Ois Giasing!" oder auch Strukturen, wie sie etwa durch den Verein "Wir in Giesing" geschaffen wurden. Auf dem heutigen Agfa-Areal und dem umgestalteten und vergrößerten Weißenseepark habe das Stadtteilmanagement bewirkt, dass die Investitionen eine hohe Akzeptanz gefunden haben. Rund um den Pöllat-Pavillon habe es außerdem die Entwicklung von Treffpunkten vorangetrieben. Kurzum: "Im gesamten Sanierungsgebiet wurden Vernetzung sowie bürger- und zivilgesellschaftliches Engagement gefördert", lobt die MGS die eigene Arbeit. Und das offenbar zu Recht, wenn man mit Carmen Dullinger-Oßwald über die Wirkung des Stadtteilmanagements spricht: "Eine unheimliche Veränderung hat die Bebauung des Agfa-Areals bewirkt. Es sind dadurch sehr viele neue Bürgerinnen und Bürger dazugekommen - aus ganz verschiedenen Schichten, aus ganz verschiedenen Ländern, und das finde ich super. Jetzt ist das Areal offen für alle, und das freut mich sehr."

Zur Erinnerung: Vor der Neubebauung des einstigen Kamerawerks stellte das Agfa-Firmengelände ein einziges Verkehrshindernis dar, das Fußgänger, Rad- und Autofahrer oft zu weiten Umwegen zwang. Inzwischen ist hier ein für Giesinger Verhältnisse zwar teures, aber auch durchlässiges und attraktives Quartier entstanden. Wofür nicht zuletzt die Grünplanung sorgte, die den Übergang zum angrenzenden Weißenseepark herstellen sollte.

Auch Gerda Peter von der MGS-Geschäftsführung fällt im Rückblick ein positives Urteil: "Es ist beachtlich, wie wirksam die ausgelösten Investitionen in öffentliche Räume sind und wie effektiv und nachhaltig die aufgebauten Strukturen im Stadtteil sind. Die Akzeptanz der Sanierungsmaßnahmen und des Stadtteilladens ist sehr groß. Das zeigt, dass sich die 15 Jahre gelohnt haben."

Wie es in den nächsten Jahren weitergehen könnte, zeichnet sich bereits ab. So hat der Stadtrat am 16. Dezember beschlossen, den Stadtteilladen Giesing samt Stadtteilmanagement von diesem Jahr an in einem Pilotprojekt als Außenstelle der "Pöllatinsel", also des Nachbarschaftstreffs Giesing, fortzuführen. Nach einer kurzen Umbauphase soll der Stadtteilladen von Ende Januar an wieder geöffnet sein.

Bereits zum Jahreswechsel hat Stadtteilmanager Torsten Müller seinen Schreibtisch an der Tegernseer Landstraße 113 geräumt. Er wird seine Arbeit für die MGS künftig in Neuperlach fortsetzen. "Ich bin schon etwas stolz darauf, dass wir es geschafft haben, den Stadtteilladen so erfolgreich zu etablieren", fasst er seine Giesinger Jahre zusammen. Und wenn dieses Engagement nun fortgeführt werde, mache das den Abschied auch sehr viel leichter.

So dürfte sich Müller vermutlich sehr über das Lob freuen, das eine Giesingerin indirekt auch dem MGS-Team gemacht hat. In einem Brief, so erzählt die BA-Vorsitzende Carmen Dullinger-Oßwald, habe sich eine ältere Dame für ein bestimmtes Ergebnis der Stadtsanierung bedankt: Sie komme jetzt sehr gerne mit ihren Freunden am Grünspitz zusammen - und das sei ihr dann doch lieber als ihr alter Treffpunkt auf einer Bank im Ostfriedhof.

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SZ vom 09.01.2021
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