Bilanz:Arm trotz Mindestlohn

Im teuren München hat der Mindestlohn deutlich weniger Auswirkungen als in wirtschaftlich schwächeren Regionen. Dafür macht sich hier ein anderer Trend bemerkbar.

Von Katja Riedel

Für Kathrin Wickenhäuser ist die Sache mit dem Mindestlohn vor allem eines: nervig. Nicht, weil es für die Unternehmerin, die in der Münchner Innenstadt zwei Hotels und ein Restaurant betreibt, ein Problem wäre, ihren Mitarbeitern 8,50 Euro pro Stunde zu zahlen. Sondern weil sie selbst ungelernten Spülern, Reinigungspersonal oder anderen Hilfskräften schon seit Jahren mehr zahlt, wie sie sagt. Bei Ungelernten seien dies zehn, meist eher zwölf Euro. Und wenn sie, wie zuletzt um Weihnachten herum, noch einen zusätzlichen Koch engagieren muss, dann zahlt sie auch 25 Euro, schließlich herrscht Fachkräftemangel.

Bei der Wickenhäuser-Egger AG, die sie gemeinsam mit ihrem Mann führt, habe sich durch den Mindestlohn, der nun seit einem Jahr gilt, für die Mitarbeiter nichts geändert. Geändert habe sich nur der bürokratische Aufwand: Akribischer werden nun Stunden und Arbeitseinsätze dokumentiert, denn Wickenhäuser will vorbereitet sein, wenn die Kontrolleure vom Zoll, von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, all diese Aktenordner einmal sehen möchten. Eine Bürokraft widme sich pro Woche etwa vier Arbeitsstunden den Dokumentationen.

Noch waren die Kontrolleure bei Wickenhäuser nicht zu Besuch. Wie oft diese im vergangenen Jahr in München ausgerückt sind, und welche Verstöße sie gegen das Mindestlohngesetz festgestellt haben, ist vor Ende März nicht zu erfahren, dann will das Bundesfinanzministerium eine erste deutschlandweite Bilanz ziehen.

Warum der Mindestlohn nicht überflüssig ist

Überhaupt wird sich manche Auswertung zu den Auswirkungen des Mindestlohns noch verzögern. Sicher scheint aber schon jetzt: Im teuren München mit seinem entsprechenden Lohnniveau hat der Mindestlohn viel weniger verändert als in wirtschaftlich schwächeren Regionen.

Der Mindestlohn - in München also ein überflüssiges Instrument? Nein, denn ganz wirkungslos ist er auch hier nicht geblieben. In der Gastronomie haben laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund München (DGB) 8,1 Prozent mehr Mitarbeiter ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis als noch vor einem Jahr (münchenweit über alle Branchen: plus 2,7 Prozent).

Besonders zu Jahresanfang, also mit der Gesetzesänderung, wurden Minijobs und rein umsatzbasierte Verhältnisse in reguläre Verträge umgewandelt. "Allerdings habe ich auch von Wirten gehört, die Mitarbeiter entlassen haben, die eben keine Stellen hatten, die wirklich 8,50 Euro wert waren", sagt Conrad Mayer, Hotelier und Kreisvorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes. "In München tropft der Mindestlohn doch mehr oder minder am Arbeitsmarkt ab", glaubt Mayer.

Tricksereien sind schwieriger geworden

Das sieht Mustafa Öz, Regionschef der Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten, ganz anders. Öz weiß von großen Bäckereiketten, die vor der Gesetzesänderung die tariflich vereinbarten Löhne vor allem bei Teilzeitkräften und Aushilfen regelmäßig unterlaufen hätten, mit Stundensätzen von nur 6,50 Euro. Auch in München sei das verbreitet gewesen, noch viel stärker aber auf dem Land, ganz extrem in der Oberpfalz.

Überhaupt hätten Bäckereiketten wegen der langen Öffnungszeiten gern Teilzeitkräfte, die nur 60 Prozent arbeiteten - zumindest auf dem Papier. "Vom Mindestlohngesetz haben deshalb ganz besonders Teilzeitkräfte profitiert - und damit auch Frauen. Gerade unter den Bäckereifachverkäufern sind ja 90 Prozent Frauen". Früher habe es allerlei Tricksereien gegeben, und das sei nun schwieriger.

Der DGB hat, um solchen Tricks auf die Schliche zu kommen, eine Hotline geschaltet. Dort beklagen Anrufer zum Beispiel, dass sie neue Verträge mit kürzerer Arbeitszeit bekommen hätten, aber genau so lange arbeiten würden - schwarz. Andere berichteten, dass Zuschläge für Nachtarbeit oder Qualitätsprämien illegal in den Stundenlohn eingerechnet wurden. Bei anderen, etwa bei Taxis, entfielen plötzlich Warte- und Bereitschaftszeiten, die nicht mehr zur Arbeitszeit gehörten.

Zudem gab es Naturalien wie Popcornverzehr oder Kinokarten, Essensgutscheine in Bäckereien oder Bräunungsgutscheine in Solarien, die als Bezahlung herhalten sollten. All dies sind Verstöße, die die Finanzkontrolle Schwarzarbeit aufdecken soll. Wenn sie jemanden erwischt, drohen 50 000 Euro Bußgeld.

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