Web-App für Münchner KneipenWo man in München urige Boazn findet

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Johannes Geissler und Hanna Reß haben den Boazn-Radar erfunden – eine Web-App fürs Handy, die Preise in Münchner Kneipen vergleicht. Damit möchten die beiden dem Kneipen-Sterben entgegenwirken.
Johannes Geissler und Hanna Reß haben den Boazn-Radar erfunden – eine Web-App fürs Handy, die Preise in Münchner Kneipen vergleicht. Damit möchten die beiden dem Kneipen-Sterben entgegenwirken. (Foto: Johannes Simon)

Die traditionelle Münchner Eckkneipe, die sogenannte Boazn, verschwindet immer mehr aus dem Stadtbild. Mit dem „Boazn-Radar“, einer interaktiven Karte, wollen zwei Münchner die urigen Kneipen sichtbarer machen.

Von Maximilian Hossner

Wenn es um Freizeit geht, haben junge Menschen heutzutage fast immer die passende App parat, um Aktivitäten zu finden, zu dokumentieren oder sich auszutauschen. Für die Münchner Kneipenkultur gibt es so etwas nicht, obwohl die am Aussterben ist. Dabei sind Kneipen wichtig für die Gesellschaft, sagen Ökonomen. Wirtshäuser stärken den Zusammenhalt – gerade in der kleinen Kneipe um die Ecke, wo jeder jeden kennt, wo man sich trifft, miteinander trinkt und ratscht. In den Kneipen entsteht so etwas wie Sozialkapital.

Doch das Konsumverhalten hat sich verändert. Die Leute trinken weniger und bleiben nicht mehr lange, die Corona-Pandemie und die stetig steigenden Mieten oder auslaufende Mietverträge haben das Kneipensterben noch beschleunigt. Zwei junge Münchner wollen das ändern und haben eine Web-App entwickelt, den sogenannten Boazn-Radar (https://boaznradar.web.app/).

Das ist eine interaktive Onlinekarte, die Münchens traditionelle Eckkneipen anzeigt, inklusive Preis und Sorte des jeweils günstigsten Biers. Bereits im Sommer mache wieder eine Boazn am Sendlinger Tor zu, sagt Johannes Geißler, einer der beiden App-Erfinder. „Den Laden gibt es schon seit 30 Jahren, es ist eine queere Boazn, davon gibt es nicht so viele. Deswegen ist es doppelt schade, dass der Vermieter eine Cocktailbar daraus machen will.“

Als Kartengrundlage dient „Open Street Map“. Hier tragen die beiden App-Erfinder die Kneipen samt dazu gehörender Bierpreise ein und platzieren sie durch Icons auf der Karte.
Als Kartengrundlage dient „Open Street Map“. Hier tragen die beiden App-Erfinder die Kneipen samt dazu gehörender Bierpreise ein und platzieren sie durch Icons auf der Karte. (Foto: Johannes Simon)

Einen weiteren Grund für das Kneipensterben sieht Geißler darin, dass viele kleine Kneipen von älteren betagten Damen geführt werden, für die sich nach deren Tod schwer Nachfolger finden. Hinzu kommt, dass sich die meisten Boazn kaum selbst vermarkten. „Die meisten haben nicht mal eine eigene Website“, sagt Reß. „Vielleicht noch eine Facebook-Seite, auf der zuletzt 2019 eine Faschingsfeier promotet wurde“, ergänzt er. Er möchte, dass die Boazn durch die App sichtbarer werden.

Die Idee dazu entstand vergangenen Sommer: An einem Abend saßen Hanna Reß und Johannes Geißler am Zugspitzplatz in Giesing. Geißler trug ein „Boazn-Quartett“ mit sich – ein Kartenquartett, das die Anzahl der Stammgäste und Tresenplätze, Bierpreise und andere vergleichbare Werte von Kneipen gegeneinander ausspielt. Geißler stellte fest, dass viele Kneipen aus dem Kartenspiel inzwischen nicht mehr existierten. „Ich fand die Idee geil, mal auf einen Blick alle Boazn in München zu sehen“, sagt der gebürtige Münchner. „Und um zu sehen, wo ich noch hingehen kann außer in der Innenstadt, wo sich die Leute kaputt trampeln und eine Cocktailbar nach der nächsten aufmacht.“

Das „Boazn-Quartett“ von Martin Emmerling ist ein Kartenspiel über die Münchner Bierkneipen.
Das „Boazn-Quartett“ von Martin Emmerling ist ein Kartenspiel über die Münchner Bierkneipen. (Foto: Stephan Rumpf)

Geißler lieferte die Idee, Reß programmierte die App. Die studierte Informatikerin arbeitet als Softwareentwicklerin in einem Versicherungsunternehmen. Das Boazn-Radar programmierte sie als Web-App – eine Anwendung, die über einen Browser zugänglich ist und keine Installation erfordert. Als Kartengrundlage nutzte sie „Open Street Map“. Zunächst trug die 28-Jährige die Kneipen und die entsprechenden Bierpreise in eine Datenbank ein, die die Kneipe dann als kleine Icons auf der Karte platziert. Am 30. Oktober 2024 ging die Seite online.

Um die Informationen zu finden, klapperten die beiden Münchner anfangs noch selbst die Adressen zu Fuß ab. Mittlerweile können Nutzerinnen und Nutzer – die „Community“, wie sie die beiden Endzwanziger nennen – auch eigene Vorschläge in die App eintragen. Es sei auch die Community, die bereits eingetragene Preise aktualisiere, sagen Reß und Geißler. Die bestehe zurzeit noch größtenteils aus Freunden.

Geißler und Reß sind selbst regelmäßig in den Schenken der Stadt unterwegs, trinken oft auch mal ein alkoholfreies Bier. Während Reß größtenteils am Wochenende Bier trinkt, verzichtet Geißler zurzeit komplett auf Alkohol. „Ich habe davor vielleicht das eine oder andere zu viel getrunken“, sagt er verschmitzt. Jetzt arbeitet er im Projektmanagement an der Sanierung von Bestandsgebäuden, das vertrage sich nicht mehr mit seinem früheren Konsum: „Wenn du am nächsten Tag um acht rausmusst, wird es eng.“

Mit ihrem Ansatz, die Bierkneipen wieder populärer zu machen, sind Reß und Geißler nicht die einzigen in München. Neben dem Autor und Kabarettisten Martin Emmerling, Gründer des Boazn-Quartetts, sind da noch Lisa Lindhuber und Franzi Püschel. Die beiden testen als „Boazn-Engel“ auf Instagram Boazn, trinken sich durch die Karte und führen Gespräche mit Kneipen-Urgesteinen, alles per Handy dokumentiert.

Lisa Lindhuber und Franzi Püschel (links) führen auf Instagram einen Boazn-Führer. Hier sitzen sie am Tresen „Bei Dagmar“ in der Implerstraße in Sendling.
Lisa Lindhuber und Franzi Püschel (links) führen auf Instagram einen Boazn-Führer. Hier sitzen sie am Tresen „Bei Dagmar“ in der Implerstraße in Sendling. (Foto: Stephan Rumpf)

Den Machern des Boazn-Radars geht es eher um eine behutsame Sichtbarkeit. Sie wollen zwar auf die Kneipen aufmerksam machen, die viele Menschen gar nicht mehr kennen. Jedoch durch zu intensive Vermarktung einen Social-Media-Hype loszutreten, damit fühlen sich Reß und Geißler auch unwohl. Bislang ist der Boazn-Radar ein Projekt, das sich vorwiegend an WG-Tischen und Bartresen herumspricht. Rund 40 bis 50 Personen nutzten die Web-App in der Woche, so Reß, Tendenz steigend. „Wir haben bisher aber noch kein richtiges Marketing gemacht, weil wir noch nicht so viele Boazn eingetragen hatten.“ Sie und Geißler arbeiten nebenbei noch Vollzeit, da bleibe nicht so viel Zeit für die Projektentwicklung übrig.

Dennoch soll das Radar noch mehr Funktionen erhalten, mit denen die Community untereinander interagieren kann – wie im Falle von Letterboxd. Geißler kann sich vorstellen, dass die Karte auch anzeigt, wo sich die eigenen Freunde gerade aufhalten und ein Bier trinken. Oder, dass man markieren kann, welche Kneipe man schon besucht hat. Boazn-Quartett, Boazn-Engel und nun auch das Boazn-Radar – es scheint, als hätten die Münchner den Kampf gegen das Kneipensterben in ihrer Stadt aufgenommen.

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