Biergartenrevolution:Wutbürger auf der Straße

München Biergarten-Protest 1995

Tausende München demonstrierten im Mai 1995 für lange Biergartenabende.

(Foto: Ursula Düren/dpa)
  • Da kochte die Volksseele: Als die Öffnungszeiten der Biergärten verkürzt werden sollen, gehen 1995 Tausende auf die Straßen.
  • Die Initatoren der Biergartenrevolution feiern noch heute ihren Triumph.
  • Biergärten wurden modernisiert - und mit Spielplätzen zu Ausflugszielen für die ganze Familie.

Von Andreas Schubert

Da steht sie nun beim Interview, die "Heilige Johanna der Biergärten" - und genießt ihren Triumph. Noch immer freut sie sich über den wohlmeinend-ironischen Ehrentitel, den ihr seinerzeit ein Autor der Süddeutschen Zeitung verpasste.

Vor genau 20 Jahren haben Ursula Seeböck-Forster und ihre Mitstreiter vom "Verein zur Erhaltung der Biergartentradition", kurz Biergartenverein, allzu rigide Sperrzeiten in Biergärten verhindert.

25 000 Menschen protestierten am 12. Mai 1995 auf dem Münchner Marienplatz und dem Odeonsplatz gegen ein Gerichtsurteil, das womöglich das Aus für die Waldwirtschaft in Großhesselohe bedeutet hätte.

An der "WaWi" entzündete sich der Streit

Und das auch anderen Biergärten schwer hätte zusetzen können. Zum Protest versammelten sich Menschen, die sich von der Bürokratie gegängelt fühlten und Menschen, die um die bayerische Tradition bangten. Seine Brauerei habe eigens die Mitarbeiter dazu angehalten, bei dem Protestzug mitzumarschieren, erzählt Bernhard Klier, Verkaufschef der Spaten-Löwenbräu-Gruppe.

Zwei Jahre vorher hatten Anwohner wegen Lärmbelästigung geklagt und das Verwaltungsgericht München hatte entschieden, dass die "WaWi" von Wirt Sepp Krätz bereits um 21.30 Uhr schließen und darüberhinaus jeden zweiten Sonntag gar nicht erst aufsperren sollte - ein Urteil, das zunächst auf Eis gelegt, aber zwei Jahre später vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt wurde.

Der Biergartenverein um Seeböck-Forster und Manfred Schauer - der Wiesn-Schichtl, dem auch der Begriff Biergartenrevolution einfiel - rief daraufhin zur Demonstration auf, die von den Brauereien und den Medien unterstützt wurde.

Der Massenandrang an jenem Freitagnachmittag im Mai bewegte die bayerische Staatsregierung in der Woche darauf, die sogenannte Bayerische Biergartenverordnung zu erlassen. Nach der sollten traditionelle Biergärten bis 23 Uhr geöffnet bleiben dürfen.

Tradition gegen Ruhebedürfnis

Nachdem diese Regelung aber fünf Jahre später vom Bundesverwaltungsgericht in Berlin kassiert wurde, besserte die Staatsregierung nach, indem sie die Verordnung präzisierte, die bis heute gilt. Ursula Seeböck-Forster sagt, man habe seinerzeit einen "Domino-Effekt" befürchtet. Indizien dafür gab es auch anderswo.

So wollte etwa ein Anwohner der Menterschwaige vor Gericht durchsetzen, den dortigen Biergarten gleich ganz abzuschaffen. Aber als PR-Frau war sie bestens geübt im Netzwerken. Und zum Glück für die Aktivisten, zogen die Medien mit.

"Auf geht's, heut' retten wir die Biergärten" titelte etwa die tz, und das Schlagwort Schauers von der Biergartenrevolution griffen alle dankbar auf. "Heute 16.30 Uhr Revolution. Auf geht's zur Biergarten-Demo" hieß es in der Abendzeitung. Bundesweit und sogar in der New York Times wurde über das Thema berichtet.

Tausende Unterschriften

Leitartikel wurden geschrieben, die sich mit gegenseitiger Toleranz beschäftigten, Tausende Unterschriften zum Erhalt der Biergärten kamen zusammen. Und schließlich zeigte das Engagement der Biergarten-Retter Erfolg. Dank guter PR, die zwar ohne Internet aufwendiger als heute war, aber dennoch funktionierte. "Wir waren fast die ersten Wutbürger", sagt Seeböck-Forster, eine bekennende Biergarten-Liebhaberin.

Waldwirtschaft Großhesselohe, 2012

Streitpunkt: Anwohnern war die Waldwirtschaft zu laut.

(Foto: Claus Schunk)

"Wir wollten nicht, dass unsere schönen Traditionen von Einzelnen kaputt gemacht werden." Manfred Schauer, von Berufs wegen ebenfalls nicht auf den Mund gefallen, drückt es so aus (hier die hochdeutsche Übersetzung): "Warum sollen Hunderttausende ins Bett geschickt werden, bloß weil Fünfzig müde sind?"

Ob wirklich das Abendland untergegangen wäre, wenn viele Biergärten früher hätten schließen müssen, ist Ansichtssache. Fest steht, dass Anfang der Neunziger Biergärten einen geringeren Stellenwert in der Bevölkerung hatten und erst damals nach und nach immer beliebter wurden. Sepp Krätz spricht von einer "Welle", die damals aufgekommen sei.

Mehr Rücksicht auf die Anwohner

Biergärten wie die WaWi wurden modernisiert, ein breiteres Getränkeangebot eingeführt und Spielplätze für Kinder geschaffen. So entwickelten sich die Biergärten zu attraktiven Ausflugszielen für ganze Familien und waren bei schönem Wetter entsprechend voll.

Das Problem sei aber nicht unbedingt der Geräuschpegel der Biergärten an sich, sondern seien jene Besucher gewesen, die sich mit laut aufgedrehten Radios und dröhnenden Motoren auf den Heimweg gemacht hätten. Heute sagt Krätz, die Streitigkeiten hätten im Nachhinein auch etwas Gutes gehabt. "Die Biergartenbesucher nehmen jetzt mehr Rücksicht auf die Anwohner", meint er.

Biergärten sind beliebt wie eh und je und gemeinhin als Kulturgut anerkannt. Wer jetzt glaubt, der Biergartenverein, den es seit 1991 gibt, könnte sich in Wohlgefallen auflösen, weil er sein Ziel erreicht hat, irrt. Künftig will er sich um den Erhalt des Oktoberfests kümmern. Wie genau, wollen die Wutbürger von einst erst noch überlegen.

Am 16. Mai feiert die Waldwirtschaft, Keimzelle der "Biergartenrevolution", deren 20. Jahrestag. Dazu gibt es Preise von 1995. Die Mass kostet zwischen 10.30 und 15 Uhr 4,30 Euro, bis 12 Uhr gibt es die Weißwurst für einen Euro, von 12 bis 15 Uhr das Hendl für fünf Euro.

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