Münchner Momente:Bienen retten heißt Mücken locken

Der Mensch will die Natur bewahren, nur allzu natürlich soll sie nicht sein. Selbst Begrünungsprojekte sind nicht uneingeschränkt zu begrüßen, wie die Stadt feststellt.

Von Thomas Anlauf

Vor langer langer Zeit, als die Erde noch ein Paradies war, beklagte sich Adam bei seiner Eva, dass die vielen Insekten immer die Windschutzscheibe versauen. Wie man heute weiß, entwickelte die aus dem Garten Eden vertriebene Menschheit daraufhin Autowaschanlagen für insektenversiffte Windschutzscheiben und ganz viel Gift, um die lästigen Biester überhaupt gleich ganz von Autos und Feldern fern zu halten. Das ging irgendwann so weit, dass sich neulich der Bekannte einer Bekannten beschwerte, er habe nun keine Ausrede mehr, samstags in die Waschgarage zu fahren. Seine glücklichsten Tage sind solche, an denen sich Wüstenstaub auf die Karossen Münchens legt.

Diesen Menschen und den Mücken muss geholfen werden. Deshalb sprießen derzeit Blumen, schlagen Bäume aus, Stadtgärtner pflanzen, säen, gießen allüberall, der Rathausbalkon erblüht mit Bienenblumen. Selbst Ministerpräsident Markus Söder posiert nun gerne in seiner Staatskanzlei vor einer grünen Wand im Kabinettssaal, auch wenn politische Beobachter in seiner Nähe bislang kein einziges Insekt entdeckt haben. Vielleicht hat Söder ja von der Einschätzung der Stadt München gehört. Die sagt nämlich, dass Grünzeug an Wänden durchaus gefährlich sein kann.

Nicht wegen der berüchtigten Münchner Schling- und Würgepflanzen. Nein, die Stadt hat gegen den Antrag eines Bezirksausschusses, den brutal betonierten Zugang zum U-Bahnhof Messestadt Ost bitteschön mit Pflanzen an den Wänden zu bestücken, große Bedenken. Schließlich könnten die Fahrgäste vor so einem urbanen Wildwuchs erschrecken. Es bestehe die Gefahr einer "Belästigung der Fahrgäste" durch Insekten und "eines Balanceverlusts mit Sturz" infolge "ruckartiger Bewegungen". Wüst ein- und ausfliegende Vögeln bewirkten womöglich "ruckartige Ausweichmanöver", die ihrerseits "zu Balanceverlusten des Fahrgastes" führen könnten, wenn diese völlig anarchisch aus dem Dickicht flatterten.

Das ist alles ein großes Dilemma. Alle wollen Bienen retten, aber keiner Motten im Haus haben. Als Markus Söder noch Bäume umarmte, musste er feststellen, dass dort auch Ameisen und Käfer leben und sich womöglich in sein Sakko verlieben. Söder lässt demnächst die Staatskanzlei von außen begrünen und imprägnieren. Sieht gut aus! Außerdem weiß er doch von Heinrich Heine: Der deutsche Sommer ist ohnehin nur ein grün angestrichener Winter.

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