Bezirkstagswahl:Das Oberbayern-Parlament

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Der Bezirkstag wird erneut 82 Mitglieder haben. (Foto: Bezirk Oberbayern)

Der Bezirkstag spielt in der öffentlichen Wahrnehmung im Vergleich zu Landtag oder Stadtrat kaum eine Rolle. Das hat für das Gremium zumindest einen Vorteil: Hier geht es selten um Parteipolitik, sondern um Sachfragen. Der Einzug der AfD könnte daran allerdings einiges ändern.

Von Dominik Hutter und Melanie Staudinger

Genau genommen ist diese Woche noch Kommunalwahl, auch wenn das von niemandem so wahrgenommen wird. Denn der Bezirkstag, der zusammen mit dem Landtag am 14. Oktober neu gewählt wird, gilt als dritte kommunale Ebene im Freistaat - auch wenn er für ganz Oberbayern mit mehr als 4,5 Millionen Einwohnern zuständig ist. Das Gremium mit seinen aktuell 67 Mitglieder steht traditionell im Schatten des Landtags, der repräsentativ im Maximilianeum am Isarhochufer tagt. Der Bezirkstag hingegen muss sich mit einem unspektakulären Bürohaus an der Prinzregentenstraße begnügen, vis-à-vis vom Haus der Kunst. Er wird gerne verwechselt: mit den 25 Bezirksausschüssen, den Münchner Stadtviertelparlamenten, die parallel zum Stadtrat im Jahr 2020 neu gewählt werden. Oder mit der Regierung von Oberbayern, die einen halben Kilometer Luftlinie entfernt an der Maximilianstraße residiert und bei der es sich um eine Behörde handelt, die zum Innenministerium gehört.

Der Bezirkstag dagegen ist ein politisches Gremium und ein ziemlich buntes noch dazu. Denn anders als der Landtag hat das kommunale Oberbayern-Parlament keine Fünf-Prozent-Hürde. Mit der Folge, dass neben den Vertretern der vier aktuellen Landtagsparteien auch drei FDPler, drei Abgeordnete der Bayernpartei, zwei ÖDPler, eine Piratin und eine inzwischen parteilose Ex-Linke an den Sitzungen teilnehmen. ÖDP und Piraten bilden derzeit eine Ausschussgemeinschaft, also ein lockeres Zweckbündnis. Was die CSU auf Landesebene so fürchtet, ist im Bezirkstag schon lange Alltag: Eine absolute Mehrheit haben die Christsozialen hier nicht. Von den 67 ehrenamtlichen Bezirksräte gehören 30 der CSU an, 13 der SPD, acht den Grünen und sechs den Freien Wählern. In der kommenden Wahlperiode wird eine Partei in den Bezirkstag einziehen, die bisher nicht vertreten war: die AfD. 1,2 Prozent reichen für einen Sitz. Die AfD könnte nach derzeitigen Prognosen drei Bezirksräte stellen und damit Fraktionsstatus erlangen. Den jetzigen Mitgliedern beschert das eher Unbehagen.

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"Sowohl das Geschichtsbild der AfD mit dem Relativieren von Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus wie auch ihre Position zum Thema Integration und Inklusion sehen wir mit großer Sorge entgegen", sagt Grünen-Bezirksrat Sylvio Bohr. SPD-Bezirksrätin Helga Hügenell fürchtet um das Klima im Gremium. Die Arbeit zeichne sich durch ein kooperatives Miteinander aus, durch eine sachthemenbezogene Zusammenarbeit. Der polarisierende Stil der AfD könne diese konstruktive Atmosphäre zerstören.

Um von Anfang an klarzumachen, dass man Geschichtsrelativierung nicht dulde, habe der Bezirksrat schon vor den Sommerferien ein eigenes Ausstellungsprojekt beschlossen, berichtet Bohr. In den Fraktionsräumen im Gebäude des Bezirks soll künftig eine Ausstellung auf das Leben und Schicksal der Menschen mit Behinderung hinweisen, die von den Nationalsozialisten in den sogenannten Euthanasie-Programmen ermordet wurden.

Die Hauptzuständigkeiten des Bezirkstags sind Soziales, Gesundheit und Bildung. Den meisten Münchnern ist das frühere Bezirksklinikum in Haar ein Begriff, das heute Isar-Amper-Klinikum heißt. Der Bezirk betreibt Förderschulen, zahlt den Bewohnern von Pflegeheimen eine Finanzhilfe aus und ist für ein beliebtes Ausflugsziel verantwortlich: das Freilichtmuseum Glentleiten bei Murnau, in dem historische Bauernhöfe und Wirtschaftsgebäude zu sehen sind.

Gerade bei der Versorgung von Psychiatrie-Patienten geht der Bezirk Oberbayern neue Wege. Er wollte weg von den drei großen Bezirkskrankenhäusern, die gemeinhin so böse als Klapse bezeichnet wurden. Heute gibt es 27 kleinere Standorte, also eine wohnortnahe Versorgung, die angegliedert ist an reguläre Krankenhäuser, um einer Stigmatisierung der Kranken vorzubeugen. Seit März dieses Jahres ist der Bezirk nicht mehr nur für die stationären Hilfen zur Pflege, sondern auch für die ambulanten Hilfen zuständig. "Somit bieten wir Hilfe aus einer Hand", sagt die stellvertretende Bezirkstagspräsidenten Friederike Steinberger (CSU).

Wer stationär betreut werden muss, bleibt im Krankenhaus. Die anderen Patienten können etwa in Tageskliniken behandelt werden, wie jüngst wieder eine in Berg am Laim eröffnete. Der Bezirk betreibt einen Krisendienst, der jetzt auch rund um die Uhr erreichbar ist - und der so erfolgreich läuft, dass alle anderen bayerischen Bezirke nun nachziehen.

Für viele Politiker dient der Bezirkstag als Sprungbrett in den Landtag - vergleichbar dem Verhältnis zwischen Bezirksausschüssen und Stadtrat. Die SPD-Politikerin Ruth Waldmann etwa, die Nachfolgerin Franz Magets im Landtags-Stimmkreis Milbertshofen, war jahrelang Bezirksrätin. Der Genosse Mike Malm, der aktuell dem Bezirkstag angehört, probiert den Wechsel ins Maximilianeum am 14. Oktober. Die Grünen-Bezirksrätin Ulrike Goldstein hat bereits (erfolglos) für den Bundestag kandidiert, ihr Parteifreund Sylvio Bohr ist inzwischen Vorsitzender der Münchner Grünen. So mancher Bezirksrat ist oder war parallel in einem Münchner Bezirksausschuss tätig: Rainer Großmann (CSU) nach wie vor in Feldmoching-Hasenbergl, der Grünen-Politiker Roland Zintl war bereits Mitglied in zwei Bezirksausschüssen: in der Maxvorstadt und in Neuhausen-Nymphenburg.

Finanziert wird der Bezirk Oberbayern vor allem über die sogenannte Bezirksumlage, die von den kreisfreien Städten München, Ingolstadt und Rosenheim sowie von den 20 oberbayerischen Landkreisen eingezogen wird. Dazu kommen Gelder des Freistaats aus dem kommunalen Finanzausgleich. Eigene Steuereinnahmen hat der Bezirk nicht. Pro Jahr umfasst sein Etat rund 1,5 Milliarden Euro. Bei der Stadt München sind es rund sieben Milliarden, der Freistaat Bayern kommt auf knapp 60 Milliarden Euro.

Der Bezirkstag Oberbayern ist der mit Abstand größte im Freistaat - keines der sechs anderen Gremien erreicht auch nur die Hälfte der in Oberbayern zu vergebenden Mandate. Die Oberpfalz etwa hat, ohne Überhang- und Ausgleichsmandate, lediglich 16 Sitze zu vergeben. Das Wahlverfahren mit zwei Stimmen funktioniert genauso wie beim Landtag.

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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