Süddeutsche Zeitung

Wut auf Investoren:"Wir wurden verkauft"

  • Viele Münchner Mieter sind den Immobilieninvestoren fast schutzlos ausgeliefert.
  • Ihre Wohnungen werden luxussaniert, doch danach steigen die Mieten oft um ein Vielfaches.
  • Immer öfter schließen sich die Nachbarn zusammen, um dem Druck der Investoren etwas entgegenzusetzen.

Von Anna Hoben

Am Ende kommen die Schnapsideen. Um elf Uhr muss Schluss sein draußen auf dem Bürgersteig, aber drinnen ist die Stimmung noch aufgekratzt. Am Tresen sitzt ein Grüppchen, Kurze in der Hand, man prostet sich zu. Darauf kann man ja auch mal anstoßen, auf diesen zarten Anfang. Darauf, dass Münchner Mieter sich zusammentun und vernetzen, dass sie ihr Wissen teilen, dass sie etwas tun wollen gegen die Entwicklungen in ihrer Stadt. Gegen den Wohnwahnsinn, die Gentrifizierung, die Spekulanten. Eingeladen haben Vertreter dreier Mietergemeinschaften; gekommen sind am Dienstagabend Mieter aus 21 Häusern.

Man traf sich in einer kleinen Bierbar im Schlachthofviertel, wo das Craft Beer aus dem Hahn aus München, Österreich oder Neuseeland stammt und zwischen 3,80 und 7,50 Euro pro Halbe kostet. Was soll's, man war ja nicht da, um die in München ebenfalls sehr relevante Frage zu diskutieren, wer sich das Bier in dieser Stadt künftig noch leisten kann, sondern jene, wer sich das Wohnen noch leisten kann.

Um acht Uhr ist es rappelvoll in der kleinen Bierbar, junge und alte Leute sind da, sehr gut informierte und weniger gut informierte, aber kämpferisch sind sie alle. Janek Schmidt, er hat den Stammtisch mit organisiert, steigt jetzt auf einen Stuhl, "das ist die Speaker's Corner", sagt er, und jede anwesende Mietergemeinschaft ist aufgerufen, ihr Haus und die aktuelle Situation in zwei Minuten vorzustellen.

Manche Gruppen haben sich Namen gegeben; sie nennen sich "Oberländer 5" oder "Die wilde 14". In der folgenden Stunde geht es im Zickzack durch die Stadt: Thalkirchner Straße, Fraunhoferstraße, Danklstraße, Kellerstraße, Wilhelmstraße, Schellingstraße, Ohlmüllerstraße, Parkstraße. Und so weiter. Isarvorstadt, Sendling, Schwabing, Schwanthalerhöhe. "Wir wurden verkauft", mit diesem Satz fangen die meisten Geschichten an.

Wir, das Haus. Danach verzweigen sich die Wege und Handlungen. Hier hat der Investor Druck ausgeübt, mehrere Mietparteien sind schon ausgezogen aus Angst und Unsicherheit. Dort gibt es angekündigte Modernisierungen und Mieterhöhungen um 120 Prozent. Hier leben die Mieter auf einer Dauerbaustelle, dort sind nur zwei von 17 Mietparteien verblieben. Manche Häuser sind dreimal verkauft worden.

Ein seriöses Angebot - für eine Million

In einem Haus hat der neue Eigentümer in einer Blitzaktion ohne Vorwarnung einfach alle Elemente entfernen lassen, die vom Denkmalschutz hätten betroffen sein können - just zu dem Zeitpunkt, als eine Begehung mit dem Denkmalschutzamt hätte stattfinden sollen. Nun leben die Mieter in Schwabing in einem Provisorium, und "es passiert nix", sagt der Mann auf dem Stuhl. "Wir warten halt." Was bleibt ihnen schon anderes übrig?

Anderswo hat eine Stiftung ein Haus verkauft. "Vorher war alles wunderbar, wir haben unsere Hoffeste gefeiert und hätten uns nie träumen lassen, dass so etwas passiert", sagt ein Bewohner, die Aktentasche in der Speaker's Corner eng an den Körper gepresst, weißes Haar, Schnauzer. Nach einer kräftigen Mieterhöhung folgte im Jahr 2014 die Aufteilung in Eigentumswohnungen - genau zwei Tage vor Inkrafttreten einer Erhaltungssatzung in dem Gebiet, die dies hätte verhindern können.

Für 950 000 Euro hätten der Mann und seine Familie ihre 97-Quadratmeter-Wohnung kaufen können. Die Familie erschrak, der Anwalt sagte: kein unseriöses Angebot. Viele können von solchen Angeboten berichten, den Wettbewerb um das höchste gewinnt eine Frau, deren Wohnung nun anderthalb Millionen Euro wert sein soll "Jetzt spar' ich halt schon mal." Gelächter.

Es wird immer wieder gelacht an diesem Abend, die Mietkämpfer wollen sich ihren Humor nicht nehmen lassen. Es wird aber auch immer wieder geklagt. Über die SPD, die den Entwicklungen viel zu lange zugesehen und zu wenig getan habe. Über den Mieterbeirat der Stadt, der zu wenig sicht- und hörbar sei. Es meldet sich dann Beate Bidjanbeg zu Wort, Vize-Vorsitzende des Bezirksausschusses Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, SPD-Politikerin.

Sie plant demnächst eine Aktion, bei der das bezahlbare Wohnen symbolisch zu Grabe getragen werden soll. Es meldet sich auch Walter Klupsch, "ich bin der Mieterbeirat, von dem schon die Rede war". Man wolle die Anwesenden unterstützen, versichert er. Wichtig sei, rät er, dass eine Mietergemeinschaft mit einer Stimme spreche. "Besondere Rechte bekommt sie dadurch nicht, aber die Stimme wird lauter."

Toll, dass hier endlich was passiert, darauf können sich an diesem Abend alle einigen. Aber was nun? Sie wollen ja nicht nur reden und jammern. Man müsse was tun, rufen manche. Eine Aktion, eine richtig große. Politisch Druck machen. Eine Demo, das wär' was, so wie in Berlin vor Kurzem, wo die Mieten noch viel schneller steigen als in München und 13 000 Menschen dagegen auf die Straße gingen. Parteipolitisch unabhängig, mit vielen Akteuren.

Hinter dem Tresen der Bierbar steht an diesem Abend Maximilian Heisler, er engagiert sich seit Jahren im Bündnis bezahlbares Wohnen. Heisler findet es prima, dass die Mieter sich zusammengefunden haben, aber er sieht auch ein bisschen müde aus. Wenn die Stammtischler sich an diesem Abend fragen, warum die Bewohner dieser Stadt nicht längst auf die Straße gegangen sind für ihr Recht auf bezahlbaren Wohnraum, dann hat er sich das schon oft gefragt. Zu einer Demo, die das Bündnis vor einigen Jahren organisiert hat, kamen 600 Menschen. Klar müsse man "der Politik in den Hintern treten", sagt Heisler, "aber auch uns selbst". Die Leute würden eben immer erst aktiv, "wenn die Hütte brennt, das ist ein bisschen spät".

Es sei doch so, sagt eine Frau irgendwann, buntes Kleid und Flipflops. "Wir werden uns gerade bewusst, dass wir wieder mehr beitragen müssen zur Demokratie. Ich hab' die letzten 20 Jahre ja auch politisch geschlafen. Ich hab' zwar gelesen und mich ein bisschen aufgeregt, aber gemacht hab' ich nichts." Die Mieterbewegung könne groß werden, meint eine, wie einst die Anti-Atomkraft-Bewegung. Enthusiasmus und Rebellion liegen in der Luft, kurz entsteht der Eindruck, als wollten die Leute jetzt sofort losdemonstrieren. "Macht mir nix kaputt", ruft Heisler hinterm Tresen. Um elf wird draußen aufgeräumt, und dann kommen die Schnapsideen.

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Quelle:
SZ vom 07.06.2018/vewo/sim
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