Die Lichtkünstlerin Betty MüWarum Wimmelbilder sie inspirieren

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„Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch wirkt wie ein Wimmelbild auf Betty Mü. Für die SZ hat sie Details daraus zu einer Collage im „Betty-Mü-Style“ montiert.
„Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch wirkt wie ein Wimmelbild auf Betty Mü. Für die SZ hat sie Details daraus zu einer Collage im „Betty-Mü-Style“ montiert. (Foto: Betty Mü)

Schon als Kind war die Lichtkünstlerin Betty Mü von Wimmelbildern fasziniert. „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch ist für sie mehr als eine Warnung vor Maßlosigkeit – das Gemälde inspiriert sie bis heute.

Von Evelyn Vogel

Mal zaubert sie fließende digitale Ornamente oder erzählt komplexe figurative Geschichten, mal versetzt sie Hochhausarchitekturen visuell in Schwingungen oder baut Räume aus Licht. Die Arbeiten der Lichtkünstlerin Betty Mü, die mit Videomapping und Projektionen arbeitet, sind vielfältig. Und sie bleiben in Erinnerung. Etwa als sie im ersten Corona-Winter unter dem Titel „Kunstareal verbindet“ die Fassaden der Münchner Museen mit ihren großen Projektionen bespielte und die Pandemie für kurze Augenblicke vergessen machte. Jeden Abend standen die Menschen während dieser Zeit des Lockdowns staunend in der Kälte und ließen sich von ihrer Lichtkunst verzaubern und trösten, schöpften Kraft und Hoffnung.

Doch ob als Riesenprojektion im öffentlichen Raum in München, Berlin und Leipzig, in Mexiko-Stadt und Cincinnati/Ohio oder im handlichen Format für die Galerie-, Museums- oder die private Wand, immer laden die von Betty Mü erschaffenen Bildwelten die Betrachtenden ein, einzutauchen in einen immersiven Kosmos aus Form und Farbe. Einen Kosmos, der aus vielen Einzelteilen besteht, immer im Fluss ist und mitunter von den Betrachterinnen und Betrachtern beeinflusst werden kann.

Eine frühe Arbeit von Betty Mü im Rahmen der Ausstellung "Indivisualismus" 2013 in München: Wer im Lichtkegel steht, dem wachsen leuchtende Flügel.
Eine frühe Arbeit von Betty Mü im Rahmen der Ausstellung "Indivisualismus" 2013 in München: Wer im Lichtkegel steht, dem wachsen leuchtende Flügel. (Foto: Robert Haas)

Auch wenn ihre Kunst am Ende am Computer teils mithilfe von KI und Augmented Reality entsteht, am Anfang steht ein analoger Arbeitsprozess in ihrer „Künstlerstube“ mit Materialien aus ihrer Sammlung, ein Spiel mit Objekten, Licht, Gläsern und Spiegeln. „Manche nennen mich deshalb auch ‚die Content-Queen‘“, erzählt Betty Mü und schickt ihr markantes Lachen durchs Telefon.

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Hätte sie in einem früheren Jahrhundert gelebt, hätte sie womöglich statt ihrer immersiven Digitalkunst Wimmelbilder gemalt. Denn das ist es, was die 1973 im Münchner Stadtteil Schwabing als Bettina Müller geborene Künstlerin von Kindheit an und bis heute fasziniert. „Ich habe die Wimmelbilder von Ali Mitgutsch und Richard Scarry geliebt. Da konnte ich mich reinträumen. Das hat mich total beruhigt“, erinnert sie sich.

„Später habe ich dann Hieronymus Bosch entdeckt. Sein ‚Garten der Lüste‘ ist auch eine Art Wimmelbild. Das fasziniert mich bis heute und inspiriert mich immer wieder.“ Aber nicht die christliche Thematik interessiere sie, sondern die Form. „Alles ist so unglaublich psychedelisch! Er hatte keine Algorithmen und keine KI, nur seine Vorstellungskraft, und damit hat er unglaubliche Bildwelten geschaffen“, schwärmt sie, „er war seiner Zeit eindeutig weit voraus.“ Das sei überhaupt etwas, was sie bei allen Künstlern fasziniere und inspiriere: Neues zu wagen, etwas auszuprobieren.

Das Triptychon „Der Garten der Lüste“ des niederländischen Malers Hieronymus Bosch entstand um 1500, mit dem titelgebenden Garten der Lüste (Mitte), dem Garten Eden (links) und der Hölle (rechts). 
Das Triptychon „Der Garten der Lüste“ des niederländischen Malers Hieronymus Bosch entstand um 1500, mit dem titelgebenden Garten der Lüste (Mitte), dem Garten Eden (links) und der Hölle (rechts).  (Foto: imago stock&people / Wha UnitedArchives)

Deshalb mag sie auch den Videokünstler Marco Brambilla. Dessen Werke seien für sie auch so was wie Wimmelbilder, „nur mit Video und alles Handarbeit“. Wer bei dem Namen stutzt: Der in Kanada aufgewachsene, gebürtige Italiener wurde einst mit dem Science-Fiction-Film „Demolition Man“ bekannt, wandte sich aber einige Jahre später künstlerischen Video-Projektionen zu. Brambillas Video-Collagen sind hammermäßige Dinger mit vielen Ebenen und zahlreichen Loop-Strukturen. Betty Mü bezeichnet sie als „glitzernde konsumgetriebene Utopien“.

Neues wagte Betty Mü selbst auch, als sie 1995 nach New York ging. Sie arbeitete als Art-Direktorin, experimentierte aber nebenbei mit Super-8-Kameras, Projektoren, Video- und Live-Visuals. Nach sechs Jahren kehrte sie nach München zurück. Inzwischen lebt und arbeitet sie in Anzing, östlich von München, wo sie sich mit anderen die Räume einer ehemaligen Metzgerei teilt. „Viel Platz, da kann ich mein ganzes Zeug unterbringen und rumliegen lassen.“

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Gerade bereitet sie eine neue Ausstellung vor: „Visual-Drift“ heißt sie und wird Ende November im Münchner Künstlerhaus eröffnet. Die Ausstellung soll die Fragilität der Wahrnehmung thematisieren und eine „vertiefte Aufmerksamkeit“ schaffen.

Die sucht und findet Betty Mü nach wie vor in Wimmelbildern - wie in Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“. Das werde ja immer moralisch verstanden, als Mahnung vor den Gefahren menschlicher Maßlosigkeit. Vor dem aktuellen digitalen Hintergrund mit den Möglichkeiten von KI und Fakes könne man es auch als Mahnung vor einer digitalen Maßlosigkeit interpretieren, so die Künstlerin.

Doch Betty Mü sieht das Positive in dem Bild. Wie überhaupt in allen Bildern. Deshalb wohl sind ihre eigenen Arbeiten so positiv aufgeladen. Und deshalb will sie der KI, aller Gefahren zum Trotz, das Zugewandte und Positive nicht absprechen. So wie man es bei IPAI in Heilbronn tut, dem größten Innovationspark für künstliche Intelligenz in Europa, wo sie vergangenes Jahr selbst ihre positiven Visionen ausstellen konnte.

In der SZ-Serie „Ein Stück Hoffnung“ empfehlen Künstler aus München und Bayern Werke, die sie optimistisch stimmen.

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