Bettler in München:Echte Armut mit Geschäftemacherei verwechselt

61 Euro Rente im Monat - das reicht in München nicht zum Überleben. Deshalb müssen einige Rentner betteln. Bisher standen diese Bedürftigen bei der Stadt unter dem Verdacht, für eine Bettelbande zu arbeiten. Nun will München den harten Kurs gegenüber ausländischen Bettlern korrigieren.

Ronen Steinke und Frederik Obermaier

Sieht so eine Bande aus? Er: kurze Haare, trotz seiner mehr als 70 Jahre erst wenig ergraut, darunter ein müder Blick, tiefe dunkle Furchen um den Mund. Sie: ein schlichtes schwarzes Stofftuch um den Kopf, darunter eine Erscheinung, die insgesamt älter wirkt als 60.

Bettlen in München

Zu dritt in einer Einzimmerwohnung: Sider (l.) und Zyumbyul Hadzhiev leben mit ihrer Tochter in Giesing. Zum Überleben müssen sie betteln gehen, die Rente von 61 Euro reicht nicht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Seit vier Jahren lebt das Ehepaar Hadzhiev in München, in einer Situation, die man zumindest nach den Maßstäben dieser wohlhabenden Stadt als bittere Armut bezeichnen muss: Aus ihrer Heimat Bulgarien bekommen die Eheleute, Sider und Zyumbyul, eine Rente von 61 Euro pro Person überwiesen, was zu wenig ist, um ihre Einzimmerwohnung in Giesing zu halten. Deshalb gehen beide betteln. Manchmal hat ihre Tochter Arbeit und kann bei den Mietzahlungen helfen, manchmal bettelt auch sie.

Vater, Mutter, Tochter: Jahrelang wurde diese Familie vom Kreisverwaltungsreferat (KVR) als "organisierte Bettelbande" verfolgt und noch zusätzlich mit Bußgeldern belegt, die sie nicht bezahlen konnte. Ähnliches erlebten auch andere bulgarische Familien. Die Caritas betreut viele von ihnen in ihrem Innenstadt-Zentrum im südlichen Bahnhofsviertel. Der Caritas ist es jetzt gelungen, die Behörden umzustimmen. Aber mehr noch: Der Fall der Familie Hadzhiev, über den die SZ erstmals im vergangenen Oktober berichtet hatte, ist zum Auslöser geworden für die Stadt München, ihre Politik gegenüber ausländischen Bettlern insgesamt zu überdenken.

Die Schwierigkeit für die Behörden, erklärt der zuständige Abteilungsleiter beim Kreisverwaltungsreferat (KVR), Sebastian Groth, bestehe darin, genau zu unterscheiden: zwischen der Kriminalität organisierter Bettelbanden und echter Armut. Im Fall der Familie Hadzhiev sei das "nicht ideal gelaufen" - weshalb jetzt die Entscheidungskriterien der Ordnungshüter neu "konkretisiert" worden seien, sagt Groth.

Bußgeldbescheide in Höhe von mehr als 10.000 Euro

"Nicht ideal", damit beschreibt Groth einen Verfahrensverlauf, an dessen Ende sich bei der Familie Hadzhiev Bußgeldbescheide in Höhe von mehr als 10.000 Euro angehäuft hatten, stets gestützt auf den Vorwurf, sie bettelten nicht für sich, sondern für Hintermänner. Belege für diesen Vorwurf findet man in keinem der Bußgeldbescheide. Auf Nachfragen von Journalisten verwies die Polizei im vergangenen Jahr auf "laufende Ermittlungen".

Die Caritas schrieb deshalb bereits im vergangenen Juli an das KVR: "Wir können mit Sicherheit sagen, dass Herr Hadzhiev kein Mitglied einer organisierten Bettelgruppe ist, sondern ein ortsansässiger, von Armut betroffener Bürger Münchens, der von allen Sozialleistungen ausgeschlossen ist und lediglich für die Sicherung des Lebensunterhalts seiner Familie bettelt." Die Stadt solle ihre Bußgeldbescheide zurückziehen oder Beweise dafür vorlegen, dass die Bulgaren tatsächlich eine "Bande" seien.

"Bande" - das ist für die Ordnungshüter der Schlüsselbegriff. Zwar gibt es in München Zonen, in denen das Betteln generell verboten ist. Aber diese beschränken sich auf den Viktualienmarkt und die Fußgängerzone. Außerhalb dieses zentralen Gebiets ist das Betteln in München grundsätzlich erlaubt. Die einzigen Bettler, die dann noch vertrieben werden dürfen, sind dem Gesetz zufolge - "Banden".

Und den Vorwurf, einer solchen anzugehören, hat die Stadt, wie sie nun selbst erklärt, in manchen, besonders osteuropäische Bettler betreffenden Fällen in den vergangenen Jahren vorschnell erhoben. Die Stadt, so erklärt der Abteilungsleiter Groth vom Kreisverwaltungsreferat, habe nun, nach einem Treffen zwischen KVR und Polizei, die "Kriterien noch genauer festgelegt, die erfüllt sein müssen, um von organisiertem Betteln zu sprechen". Man prüfe jetzt eine Reihe konkreter Indizien. Werden die erbettelten Beträge regelmäßig von Hintermännern abgeschöpft? Werden die Bettler von Dritten zu ihrem Arbeitsplatz gebracht und abgeholt?

"Das hat schon etwas Absurdes"

Diese Indizien seien im Grunde nicht neu, betont Groth, sie hätten schon immer gegolten. Neu sei lediglich, dass man sie noch einmal schriftlich konkretisiert und ins Bewusstsein gerufen habe - und dies mit dem Ergebnis, dass von allen Vorwürfen an die Familie Hadzhiev offenbar nichts übrig geblieben ist. Bei den Hadzhievs, so räumte die Stadt nun ein, handele es sich um einen Fall von echter Armut.

Deshalb hat das KVR sämtliche noch offenen Bußgeldbescheide gegen die Familie Hadzhiev zurückgenommen, in denen von einer "Bande" die Rede ist, wie die Behörde der Caritas schriftlich mitteilte. Mehr noch, das Kassen- und Steueramt ist angewiesen worden, für die älteren, bereits rechtskräftigen Bußgeldbescheide eine Amnestie zu erlassen. Neben den drei Mitgliedern der Familie Hadzhiev betrifft dies auch zwei ältere bettelnde Frauen aus Bulgarien. Auch in ihrem Fall revidierte das KVR nun sein Urteil. Auch in ihrem Fall habe man echte Armut zu Unrecht mit Geschäftemacherei verwechselt.

Die fünf Betroffenen seien erleichtert, sagt der Caritas-Sozialarbeiter Nedialko Kalinov, der die Bulgaren betreut. Dasselbe gelte auch für ihn selbst: Kalinov, der Bulgarisch spricht, ist eigens für ein zweijähriges Caritas-Projekt namens "Bildung statt Betteln" eingestellt worden, zusammen mit einer Kollegin, die Rumänisch spricht. Das Projekt wird aus der Kasse der Stadt bezahlt. Dass ein großer Teil ihrer Sozialarbeit bislang für juristische Streitigkeiten mit der Bußgeldkasse derselben Stadt draufging, "das hatte schon etwas Absurdes".

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