Bettler:Der Bettler, das Bußgeld und das Amt

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Constantin M. kam nach Deutschland, um Arbeit zu finden. Jetzt muss er betteln, um seine Kinder in der Heimat zu ernähren. Dafür musste er sogar schon ins Gefängnis.

Von Thomas Anlauf

Der Geldbeutel ist leer, natürlich. Nur ein Marienbild trägt Constantin M. im Portemonnaie. Sobald er ein paar Euro zusammen hat, schickt er das Geld direkt nach Hause. Der 37-Jährige hat eine Frau und zwei kleine Kinder. Die Familie sieht er nicht oft, die vergangenen Jahre hat er vor allem in Bayern verbracht, nur hin und wieder fährt er mit dem Bus zurück nach Ploiești in Rumänien. So wie im vergangenen Winter. Damals fror er sich in Nürnberg die Zehen an einem Fuß ab, sie mussten in Rumänien amputiert werden. Constantin M., dichter Vollbart, blaue Wollmütze. Er steht an der Wittelsbacherbrücke und deutet mit einer Krücke auf seinen kaputten Fuß. So ist das, ein Bettlerleben.

Ploiești, eine Stadt mit einer Viertelmillion Einwohner nördlich der rumänischen Hauptstadt Bukarest, hat ein Armenviertel, das man wohl als Slum bezeichnen muss. Die Menschen hausen dort hinter schiefen Holzzäunen, die unbefestigten Straßen sind übersät mit Müll. Strom hat längst nicht jeder Haushalt dort. "Es gibt dort keine Arbeit", sagt Constantin M.. Deshalb machte er sich vor etwa sechs Jahren auf nach Deutschland. Er versuchte Arbeit zu finden, aber wer hier keine Adresse vorweisen kann, findet nichts oder muss sich als Schwarzarbeiter verdingen. M. hatte kurze Zeit so einen Job, sein Gehalt hat man ihm aber nicht ausgezahlt. Seither bettelt er und lebt auf der Straße, in verschiedenen Städten. Viel kommt da nicht zusammen, denn Constantin M. ist ein schüchterner, zurückhaltender Mann.

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Er war auch lange Zeit in Nürnberg. Dort geht die Stadt seit drei Jahren noch strenger als zuvor gegen Bettler vor. "Betteln ist grundsätzlich nicht erlaubnisfähig", sagt der Nürnberger Ordnungsamtsleiter Robert Pollack. Nach einer Anzeige verhängt die Stadt Geldbußen, zunächst 50 Euro plus Gebühren, danach steigt die Summe auf mehr als 500 Euro - für die Bitte nach Geld. Bußgeld nennt das die Stadt. Die Strafe wird sofort kassiert, falls der Bettler ein paar Euro bei sich und keinen festen Wohnsitz hat. Welcher Bettler hat den schon.

Constantin M. wurde von Polizisten auch öfters von seinem Bettelplatz verscheucht, dann ging er eben wo anders hin, er dachte sich nichts dabei. Doch eines Tages musste er mit der Polizei mitgehen, erzählt er. Einen ganzen Packen Anzeigen habe man ihm hingehalten, dabei habe er vorher nie eine schriftliche Anzeige bekommen, sagt er.

Constantin M. versteht kein Deutsch, das Gespräch mit ihm an der Wittelsbacherbrücke in München übersetzt ein Mann, der ebenfalls aus Rumänien stammt, aber fließend Deutsch spricht. Sie sind Nachbarn, der eine hat es geschafft in München. Und dann sind da eben auch Menschen wie Constantin M., die schon in ihrer Heimat keine Chance haben, vernünftig zu überleben, geschweige denn mit einer Familie. Als ungelernte Arbeiter bleiben sie auch in Bayern meist auf der Strecke. Nur wenn sie Glück haben und eines der Hilfsangebote in München annehmen, können sie aus dem Teufelskreis - ohne Wohnung kein Job und umgekehrt - überhaupt ausbrechen. Doch von Hilfsangeboten wie dem Beratungscafé für Arbeitsmigranten an der Sonnenstraße hat M. noch nichts gehört. Er ist ein Einzelgänger.

Als die Polizei den 37-Jährigen in Nürnberg festnahm, verstand er nicht, weshalb. Die gegen ihn verhängten Bußgelder, es sollen an die 4000 Euro gewesen sein, konnte er nicht zahlen. Also wurde Erzwingungshaft angeordnet, erst nach drei Monaten kam er frei. Eigentlich sollte er vier Monate absitzen, doch Jonathan Schmidt-Dominé von der Münchner Initiative Zivilcourage, die sich vor allem für verarmte Migranten einsetzt, erfuhr von dem Fall. Er erreichte, dass M. eine Erklärung über seine Vermögensverhältnisse abgab, einen Zahlungsaufschub erhielt und laut Schmidt-Dominé frei kam. Als er beim Nürnberger Ordnungsamt anrief, hätten ihm die Sachbearbeiterinnen erzählt, dass Constantin M. durch die Maßnahme lernen würde, dass er in Nürnberg nicht zu betteln habe. Dabei ist Betteln in Deutschland seit 1974 grundsätzlich nicht mehr strafbar.

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Aber auch in München wurde das Vorgehen gegen Betteln in der Öffentlichkeit verschärft, seit 2014 gibt es eine Allgemeinverfügung, wonach "bandenmäßiges", "organisiertes" oder "aggressives" Betteln verboten ist. In den Fußgängerzonen, am Viktualienmarkt und auf dem Oktoberfestgelände werden zudem Bettler grundsätzlich vertrieben oder erhalten ein Bußgeld wie in Nürnberg. "Bandenmäßig" nennt das Kreisverwaltungsreferat, wenn Bettler auf der Straße für Hintermänner arbeiten, die einen Teil des Geldes für sich einbehalten. Organisiertes Betteln soll es sein, wenn mehrere Personen gemeinsam oder arbeitsteilig betteln, ohne dass ein krimineller Drahtzieher im Hintergrund Zwang ausübt. Die Definition ist Sache der Polizei.

Constantin M. ist demnach nun ein "organisierter" Bettler. Er lebt nach seiner Erzwingungshaft in München, gemeinsam mit seinem 61-jährigen Vater Nicolaie, der seit eineinhalb Jahren im Glockenbachviertel auf der Straße haust und ebenfalls bettelt: Er organisiert das Überleben für die Familie in Rumänien.

Nicolaie und Constantin M., Vater und Sohn, stehen nebeneinander und blicken auf die Isar. "Was passiert jetzt mit meinem Sohn?", fragt der Vater. Die Erzwingungshaft hat Constantin zwar abgesessen, doch die Stadt Nürnberg fordert weiterhin, dass das aufgelaufene Bußgeld bezahlt wird. Wenn Constantin in Nürnberg wieder erwischt wird, kommt er womöglich wieder ins Gefängnis. Nürnbergs Ordnungsamtschef Robert Pollack sagt: "Wer nichts hat, dem kann man nichts nehmen." Bis auf die Freiheit, die kann man Menschen wie Constantin M. nehmen.

Pollack betont, dass die Erzwingungshaft für Bettler nicht regelmäßig beantragt wird, aber es kommt eben öfter vor. In München wurde nach Auskunft des Kreisverwaltungsreferats bislang in insgesamt zwei Fällen sogenannte Ersatzzwangshaft für Bettler angeordnet, "die trotz zusätzlicher schriftlicher Anordnung weiter unerlaubt gebettelt haben". Bislang habe das Amtsgericht jedoch über die Anträge noch nicht entschieden, teilt Referatssprecher Johannes Mayer mit.

"Bei Bettlern ergibt sich in der Regel - wenn überhaupt - eine Verfolgung wegen Ordnungswidrigkeiten, wenn es nicht um den Strafvorwurf des Hausfriedensbruchs geht. Bei nicht bezahlten Bußgeldbescheid kann es natürlich am Ende zu Erzwingungshaft kommen", sagt Anne Leiding, Sprecherin der Staatsanwaltschaft München. Ein Polizeisprecher sagt auf Anfrage, dass in München allein wegen Bettelns wohl niemand in Haft komme. "Da muss schon einiges mehr dazu kommen."

Constantins Vater hat, um seinem Sohn mit den Bußgeldern zu helfen, ein bisschen Geld für ihn gespart. Der steht nun an der Wittelsbacherbrücke und holt einen Überweisungsbeleg aus dem Geldbeutel. Knapp hundert Euro hat er nach Nürnberg überwiesen. Geld, das er und seine Familie dringend bräuchten. In der Hand hält er noch einen weiteren Zettel. Es ist ein Attest eines rumänischen Arztes, das Constantin M. ein "psychisches Handicap" attestiert.

Er schläft nun mit seinem Vater in München unter einer Isarbrücke, manchmal auch im Foyer einer Bankfiliale. Nachbarn bringen den beiden Männern morgens Tee vorbei, damit sie sich wärmen können. "Wenn alle Menschen so wären wie Nicolaie, dann gäbe es überhaupt kein Bettelverbot", sagt ein Nachbar. Nicolaie M., ein freundlicher älterer Mann, seine billige Hose ist dürftig mit einem Lederband zusammengehalten. Trotzdem sieht man den Stolz in seinem Blick, wenn er Bilder seiner Familie zeigt. Fünf Enkelkinder und drei erwachsene Kinder hat Nicolaie M., einer davon ist Constantin.

Am Abend nach dem Treffen an der Brücke steht Constantin M. allein in der Tankstelle an der Josephspitalstraße vor dem Kühlregal. Er wiegt eine Flasche Bier in der Hand, blickt auf den Preis am Regal, stellt die Flasche zurück und geht wieder. Der Geldbeutel ist ja leer.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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