Süddeutsche Zeitung

Betrug:Schnelles Geld

Adele Spitzeder ruinierte 1872 zahlreiche Anleger mit einem Schneeballsystem

Von Wolfgang Görl

Sie hatte es auch als Schauspielerin versucht, mit mäßigem Erfolg. Doch dann fand sie doch die Rolle ihres Lebens. Adele Spitzeder, geboren am 9. Februar 1832 in Berlin als Tochter eines Opernsänger-Paares, wurde, wie man heute sagen würde, Bankerin, und zwar eine von der Sorte, die mit Fiktionen Geschäfte machen. Ihre besten Helfer waren Dummheit und Gier.

Aufgewachsen in München, kehrte Spitzeder nach Jahren fruchtlosen Herumtingelns dorthin zurück, mit nicht mehr als sechs kleinen Hunden und einem schäbigen Koffer. Monatlich erhielt sie 50 Gulden von ihrer Mutter, sonst hatte sie keine Einkünfte, und so musste sie sich hin und wieder Geld leihen. Das brachte sie auf die Idee, es selbst mit dem Kreditgeschäft zu versuchen - und dabei erfand sie ein Schneeballsystem: Den Gläubigern versprach sie zehn Prozent Zinsen pro Monat, manchmal auch mehr, und die ersten beiden Zinsraten zahlte sie sofort aus.

Das sprach sich schnell herum, vor allem Kleinbürger, Arbeiter und Bauern aus dem Umland drängten sich vor dem Hotel "Deutsches Haus" an der Dienerstraße, wo Spitzeder ihre "Bank" zunächst eingerichtet hatte. Bald war sie so reich, dass sie für 54 000 Gulden ein Palais in der Schönfeldstraße erwerben konnte, in dem goldlivrierte Portiers den Einlass regelten und mehrere Geldsortierer Banknoten und Münzen zählten. Bücher über Einnahmen und Ausgaben führte die Bankerin nicht, das Geld wurde - in dieser Sache war sie erfreulich lässig - in Säcke gestopft, die im Haus herumstanden. Für das Geldinstitut bürgerte sich bald der Name "Dachauer Bank" ein, weil viele Anleger aus der Dachauer Gegend stammten. Darunter waren Bauern, die Haus und Hof verkauft hatten, in der Hoffnung, gemütlich von Zinsen zu leben.

Es war wie ein kollektiver Rausch: Beinahe jeder wollte sein Geld zu Spitzeder tragen, keiner die Chance verpassen, und so drängten sich Leute mit Säcken voller Geld stundenlang vor der Dachauer Bank, wo man der Nachfrage kaum Herr wurde und viele Anleger auf folgende Tage vertröstete. Spitzeders rauer Ton, mit dem sie aussprach, was andere Banker nur zu denken wagen, schreckte niemanden ab, auch dann nicht, wenn sie rief: "Kalbsköpfe, ich sage euch, dass ich keine Sicherheiten für euer altes Geld gebe." Mit dem alten Geld, das ihr die Münchner hinterherwarfen, kaufte sie mit der Zeit 17 Häuser in bester Lage und eröffnete eine günstige "Volksküche" am Platzl, was sie vollends zur Heldin der kleinen Leute machte.

Nach drei Jahren aber häuften sich die Warnungen durch Polizei und Presse. Am 12. November 1872 versammelten sich beunruhigte Anleger vor der Villa an der Schönfeldstraße. Militär riegelte das Anwesen ab, eine Gerichtskommission durchforstete die Räume, Adele Spitzeder und ihre Lebensgefährtin Rosa Ehinger fanden sich im Gefängnis wieder. Etwa acht Millionen Gulden waren verschwunden, rund 31 000 Gläubiger mussten ihr Geld abschreiben, nicht wenige waren ruiniert.

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Das Appellationsgericht München verurteilte Spitzeder zu drei Jahren Haft. In ihren 1878 erschienenen Memoiren schreibt die gescheiterte Bankerin: "Viele Leser, ja ich darf sagen die meisten, werden die Ansicht einer großen Anzahl von Juristen teilen, dass meine Verurteilung nicht gerechtfertigt war."

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Quelle:
SZ vom 23.09.2015
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