Als ihr Sohn zur Welt kam, hatte Nicole Rinder für ihn keine Windeln im Haus. In den Wochen vor seiner Geburt hatte sie nicht sein Kinderzimmer fertig eingerichtet. Sondern seine Beerdigung vorbereitet. Als sie schon hochschwanger war, erfuhr sie vom Herzfehler ihres Sohnes. Er würde nach der Geburt sterben, vielleicht schon währenddessen.
Damals, in jenem November vor 13 Jahren, war Nicole Rinder 27 Jahre alt. Sie arbeitete als Arzthelferin bei einem Gynäkologen. Heute ist sie Bestatterin und arbeitet mit dem Mann zusammen, der ihr Kind beerdigt hat.
Es lebte vier Tage. Lag an ihrer Brust, schlief, wurde gewickelt, bestaunt, schließlich schrie es. Vor Schmerzen. Es war ein Abschied über vier Wochen während der Schwangerschaft und vier Tage, als der Sohn schon lebte. Nicole Rinder hatte das lange Abschiednehmen nicht gewollt.
Der erste Impuls nach der Diagnose war: Kaiserschnitt. Nur raus. Weg. Aus der Situation, weg vom Kind. Wozu ein Kind unter Schmerzen gebären, das nicht leben würde? Die Ärzte hielten einen Kaiserschnitt nicht für notwendig.
Der lange Abschied, zu dem sie sich erst gezwungen fühlte, in den sie sich dann ergab, zu dem sie sich schließlich entschloss, war der richtige für sie. Abschiednehmen hat für Nicole Rinder mit dem Leben zu tun, nicht mit dem Tod. Es bedeutet für sie Aufmerksamkeit, den Genuss einzelner Momente. Abschiednehmen ist das Gegenteil von Flucht. Es gehört Mut dazu. Vielleicht sogar Begabung. Nicole Rinder hat daraus ihren Beruf gemacht.
Nach dem Tod ihres Sohnes ging sie in einen sogenannten Rückbildungskurs für Frauen, die ihr Kind verloren hatten. Nicole Rinder fragte die anderen Frauen, was sie erlebt hätten. Manche reagierten zögerlich, für einige war es das erste Mal, dass sie überhaupt jemand auf die Geburt, auf ihr Baby ansprach. "Immer werden junge Mütter gefragt, wie sie die Geburt überstanden haben", sagt Nicole Rinder. "Nur Frauen, deren Kind gestorben ist, die werden nicht gefragt."
Nicht nur ihr, auch den anderen Frauen in dem Kurs half das Reden und das Erinnern. Und Nicole Rinder bemerkte, dass es denen, die nicht so viel Zeit gehabt hatten, sich von ihrem Kind zu verabschieden, noch schlechter ging als ihr. Außer ihrem Mann hatte auch sie selbst wenige Menschen, mit denen sie reden konnte. Viele ihrer Freunde, Kollegen, Bekannten, auch die Familie hatten mindestens so große Probleme mit ihrer Trauer, wie sie selbst mit ihrem Schmerz. "Die Leute sagen: Du bist jung, Du bekommst noch viele Kinder. Sie wollten von der Trauer nichts wissen."