Bestätigung für dritte Startbahn:"Wie sollen wir denn so leben?"

Startbahn-Prozess München

Gegner der geplanten dritten Startbahn am Flughafen in München nach der Urteilsverkündung

(Foto: dpa)

Die Ausbau-Gegner sind entsetzt: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat den Weg für die dritte Startbahn am Flughafen München freigemacht. Doch so schnell werden die Bagger wohl nicht rollen. Die Piste ist und bleibt vor allem ein politisches Streitthema.

Von Ingrid Fuchs

Entsetzen, Wut, Verbitterung - und neue Hoffnung: Eine Überraschung war die Entscheidung nicht, dennoch hat die Bestätigung der dritten Startbahn durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) am Mittwoch heftige Reaktionen ausgelöst. Im Gerichtssaal kam es zu Tumulten. "Allesch, Brille putzen!", brüllte ein Mann, während Richter Erwin Allesch versuchte, die Urteilsbegründung vorzulesen. "Wie sollen wir denn so leben?", rief eine junge Frau mit Baby auf dem Arm.

"Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen", sagte eine weitere Frau mit Tränen in den Augen. Ihr Wohnort würde beim Bau der dritten Startbahn so gut wie entvölkert werden. Geschlagen geben wollen sich die Ausbau-Gegner aber noch lange nicht. "Weitermachen! Nicht aufgeben!" Parolen wie diese hat die Bürgerinitiative AufgeMUCkt schon vor dem Urteil ausgegeben. Und das dürfte gar nicht so schwer fallen. Das Urteil des VGH hat zwar die Befürworter des Flughafen-Ausbaus bestärkt. Beschlossen ist damit aber noch gar nichts. Denn die Piste ist und bleibt vor allem ein politisches Streitthema.

Das liegt vor allem an der komplizierten Eigentümerstruktur des Flughafens. Die Betreibergesellschaft gehört zu 51 Prozent dem Freistaat Bayern, 26 Prozent hält der Bund, und 23 Prozent gehören der Stadt München. Mit dem Bau begonnen werden darf erst, wenn alle drei Gesellschafter der dritten Startbahn zustimmen. Und danach sieht es vorerst nicht aus.

In einem Bürgerentscheid vor anderthalb Jahren hatten die Münchner gegen die dritte Startbahn gestimmt. Juristisch bindend war das Votum zwar nur für ein Jahr, doch die Fraktionen im Münchner Stadtrat fühlen sich weiterhin daran gebunden. Dieter Reiter, OB-Kandidat der SPD, sagte nach dem Urteil, er wolle sich weiter an das Votum halten. "Eine Änderung dieser Position kann deshalb nur durch einen neuen Bürgerentscheid in München oder ganz Bayern erfolgen." Zudem müsse vor einer neuen Entscheidung die wirtschaftliche Entwicklung abgewartet werden. "Bis dahin wird es mit mir keine dritte Startbahn geben."

Ganz im Sinne der Bürger

Die Stadt und Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hatten vor dem Bürgerentscheid im Sommer 2012 massiv für die dritte Startbahn geworben. Nun reagiert der Noch-OB ganz im Sinne der Bürger: Die Entscheidung des Gerichts ändere "nichts an der Position der Stadt zur dritten Startbahn". Auch Sabine Nallinger von den Grünen hat zugesagt, sich an das Votum zu halten. Genau wie CSU-OB-Kandidat Josef Schmid (CSU).

Ähnlich wie SPD und Grüne bekräftigten auch die Freien Wähler und die Linke in Bayern am Mittwoch, dass das Urteil nichts an ihrer Haltung zum Bürgerentscheid ändere. In einer Mitteilung der Freien Wähler ist von "unzumutbaren Belastungen für Menschen und Natur" die Rede. Trotz der Bestätigung der Planung durch das Gericht solle der Freistaat auf das 1,3-Milliarden-Euro-Projekt zu verzichten: "Bayern hat schon eine dritte Startbahn - und zwar am Flughafen Nürnberg", sagte Parteichef Hubert Aiwanger. Die Linken beklagten in einer Mitteilung, bei diesem Urteil hätten sich "Wirtschafts- und Betonlobby" durchgesetzt.

In Wirtschaftskreisen wurde tatsächlich gejubelt. Flughafenchef Michael Kerkloh freute sich nach der Entscheidung: "Wir haben jetzt die Chance, den Flughafen München als leistungsstarkes internationales Luftverkehrsdrehkreuz weiterzuentwickeln." Die FDP Bayern reagierte ebenfalls positiv. "Wir erwarten von der Staatsregierung, dass sie das Projekt entschlossen weiterverfolgt", sagte der Landesvorsitzende der FDP Bayern, Albert Duin. Bayern könne sich bei solchen wichtigen Infrastrukturprojekten keine Blockadehaltung erlauben.

Warten, bis München umschwenkt?

Auch aus der CSU kam Lob für die Entscheidung. Finanzminister Markus Söder, der zugleich Chef des Flughafen-Aufsichtsrats ist, glaubt nach wie vor an die dritte Startbahn. Sie sei nötig, wenn München im europaweiten Vergleich bestehen wolle. Der Minister kündigte aber auch an, der Freistaat werde trotz des Urteils keinen schnellen Baubeginn durchsetzen. Er wolle nun nicht nur den Rechtsweg, sondern auch die Debatte in München abwarten.

Prozess dritte Startbahn München

So könnte der Flughafen nach einer Erweiterung aussehen.

(Foto: dpa)

Warten, bis München umschwenkt? Dieses Risiko wollen die Startbahngegner wohl lieber nicht in Kauf nehmen. Noch im Saal nach der Niederlage versammelten sich die ersten Grüppchen, um über weitere Schritte zu diskutieren. Das Gericht hat eine Revision nicht zugelassen, die Bürgerinitiativen wollen deshalb vor dem Bundesverwaltungsgerichtshof in Leipzig eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde gegen das VGH-Urteil einlegen. Zwei Monate haben sie Zeit, um diese Beschwerde dort einzureichen.

Eine weitere Möglichkeit: eine Beschwerde bei der EU-Kommission in Brüssel. Daran arbeitet derzeit der Bund Naturschutz. Im Fokus stünden dabei ungeliebte Großprojekte wie die dritte Startbahn oder neue Autobahnen, die nach Ansicht des BN die Naturschutzvorgaben der EU verletzen. Falls die Brüsseler Kommission das genauso einschätzt, könnte sie ein "Vertragsverletzungsverfahren" gegen die Bundesrepublik eröffnen.

(Mit Material aus den Agenturen)

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: