Besondere Stadtführung:Juchatzer vom Rathausbalkon

Besondere Stadtführung: Birgit Dammert führt ihre Gäste durchs Münchner Rathaus.

Birgit Dammert führt ihre Gäste durchs Münchner Rathaus.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Wahlkampf regt das Interesse der Münchner an der eigenen Stadt an. Führungen, etwa durch das Rathaus, werden immer beliebter

Von Miriam Steiner

Pünktlich um elf Uhr geht es los. Im Hintergrund trällert das Glockenspiel und plätschert der Fischbrunnen, da muss man stimmlich erst mal dagegen ankommen. Gästeführerin Birgit Dammert kümmert das nicht, ganz im Gegenteil. Sie bindet Brunnen und Glockenspiel gleich in ihre Erzählungen ein. Heute führt sie durch das Neue Rathaus, vierzehn Senioren aus Neuried sind gekommen. Darunter sind auch gebürtige Münchner, die einiges an Wissen mitbringen - und sich damit auch nicht zurückhalten. "Schranne hieß das", sagt etwa ein Mann mit Kappe, als Dammert vom früheren Markt am Marienplatz spricht. Auch dass die Gästeführerin ursprünglich aus Norddeutschland kommt, ist den Gästen nicht entgangen - sie spricht ja kein Bairisch.

Seit sieben Jahren führt die 66-Jährige durch die Straßen und Gebäude dieser Stadt, mal spricht sie dabei Deutsch, mal Englisch. Ihre Altstadtführungen sind besonders bei Touristen beliebt, ins Rathaus wollen eher die Münchner - vor allem jetzt, wo es durch die bevorstehende Kommunalwahl mehr denn je im Mittelpunkt der Öffentlichkeit steht. "Viele Münchner denken sich momentan wohl, ach lass uns mal reingehen und nicht immer nur daran vorbeigehen", sagt Dammert.

Wahlkampf scheint das Interesse der Münchner an ihrer Heimatstadt anzukurbeln, das bestätigt auch Reidun Alvestad-Aschenbrenner, Vorsitzende des Münchner Gästeführer Vereins. Ein Anstieg der Buchungen von Münchnern sei momentan spürbar, "Münchner wollen im Wahljahr tatsächlich vermehrt das Rathaus sehen", sagt sie. Allerdings würden sich Münchner auch für Führungen durch die Großmarkthalle und zunehmend für Viktualienmarkt-Führungen interessieren.

Besondere Stadtführung: Auch wenn sich die Neurider Gruppe gut auskennt, die 128 Persönlichkeiten auf Pilotys Monumentalgemälde im Sitzungssaal zu erraten, ist eher ein Fall für Spezialisten.

Auch wenn sich die Neurider Gruppe gut auskennt, die 128 Persönlichkeiten auf Pilotys Monumentalgemälde im Sitzungssaal zu erraten, ist eher ein Fall für Spezialisten.

(Foto: Stephan Rumpf)

Und dennoch bleibt das die Ausnahme. Wenn Gästeführer durch München ziehen, sind es in den meisten Fällen Touristen, die hinterherspazieren. Münchner machen nur einen kleinen Teil der jährlichen Buchungen aus, etwa fünf bis zehn Prozent. Gut die Hälfte aller Führungen wird zwar in Deutsch abgehalten, allerdings für Gäste aus anderen Teilen Deutschlands oder auch aus Österreich und der Schweiz. Die zweithäufigste Sprache sei laut Alvestad-Aschenbrenner freilich Englisch, aus den USA und Großbritannien würden vor allem viele Schüler- und Studierendengruppen kommen und Führungen machen. Aber auch die Anzahl der russischen Gäste nehme momentan wieder zu. Birgit Dammerts Gruppe ist mittlerweile im Inneren des Rathauses angekommen. In den kleinen Sitzungssaal können heute keine Gäste rein, der ist vom Oberbürgermeister besetzt. "Das muss man ihm lassen", scherzt Dammert. Der große Sitzungssaal steht sehr wohl am Programm, doch zuvor folgen Infos zur Geschichte Münchens. Die Gästeführerin spricht von der Stadtgründung, von Heinrich dem Löwen - und ringsrum folgt eifriges Nicken. Durch den Salzhandel sei München sehr reich geworden, erzählt Dammert. "Und ist es heute noch", wirft eine Seniorin ein.

Dann betritt die Gruppe durch dunkle Holztüren den großen Sitzungssaal, der Parkettboden knarzt leicht. "Ah, da vorne sitzt der Oberbürgermeister", erkennt ein Mann sogleich. Während die Gäste unter den goldenen Kronleuchtern Platz nehmen, spricht Birgit Dammert vom Stadtrat und der bevorstehenden Wahl. Sie hebt ein Foto von OB Dieter Reiter (SPD) hoch, danach zeigt sie die Spitzenkandidatin Kristina Frank von der CSU. "Und das hier", sagt sie schließlich, "das ist die Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin..." - "das ist die Habenschaden!", ruft eine Dame und vollendet Dammerts Satz. Die Senioren aus Neuried haben Führungen schon vor langer Zeit für sich entdeckt: Seit 17 Jahren macht die Gruppe einmal im Monat einen Ausflug, bucht etwa eine geführte Tour durch das Stadtmuseum oder fährt gemeinsam zum Feringasee. "Das wird alles protokolliert, da haben wir schon zwei große Mappen gefüllt", erzählt die gebürtige Münchnerin Ingrid Gallasch. Gästeführerin Birgit Dammert freut es jedenfalls, wenn Einheimische an ihren Touren teilnehmen. Es sei schön, wenn wie heute viele Fragen gestellt werden, "und außerdem macht es Freude, wenn man von Gästen wieder etwas Neues erfährt, das hält die grauen Zellen auf Trab".

Auch die letzte Station der Führung ist den Senioren nicht unbekannt - doch an dieser Stelle gestanden ist zuvor noch nie jemand von ihnen. "Oh, ist das der Balkon, auf dem der FC Bayern immer steht?", ruft eine Frau ganz entzückt und Dammert nickt. "Und jetzt gemma mia naus", sagt ein Herr und alle steigen raus auf den Balkon, wo ihnen die Sonne ins Gesicht scheint. "Darf man denn da vielleicht einen Juchatzer machen?", fragt Ingrid Gallasch. Im nächsten Moment steht die Seniorin am Geländer und richtet ihren Blick zum Marienplatz. Ihr inbrünstiges "Juuuuhuhu!" dürfte wohl noch bis zum Viktualienmarkt hörbar gewesen sein.

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