Beschwerdestelle für Sexismus:"Nimm doch mal die Latte"

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.

Die Grenze ist schnell überschritten: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.

(Foto: Andrea Warnecke/dpa)

Die Brüste einer Schülerin berühren, Anspielungen auf Oralsex machen, der Kollegin einen Klaps auf den Hintern geben: Bei der Stadt München kümmert sich die Beschwerdestelle für sexuelle Belästigung um teils haarsträubende Fälle. Und verzeichnet eine Vervierfachung der gemeldeten Grenzüberschreitungen innerhalb von zwei Jahren.

Von Beate Wild

Die Anspielungen auf Oralsex waren sehr verstörend für die junge Frau. Sie machte mit ihrem Vorgesetzten gerade Mittagspause. Er aß ein Eis am Stiel. Was dann passierte, ist im Bericht der Beschwerdestelle für sexuelle Belästigung der Stadt München detailliert geschildert: Er habe das Eis "bearbeitet wie einen Penis" und dazu laut "mh, mh, mh" gestöhnt. Anschließend habe er seine Mitarbeiterin gefragt, ob sie es mit ihrem Freund genauso mache. Der Vorfall war der traurige Höhepunkt einer Reihe von sexuellen Belästigungen, die eine städtische Angestellte durch einen wesentlich älteren Kollegen erdulden musste.

Seit den Vorwürfen um FDP-Politiker Rainer Brüderle ist das Thema Sexismus aktueller als je zuvor. Bei der Stadt München kümmert sich seit 2006 Tamara Geiger bei der Beschwerdestelle im Rathaus um Fälle in städtischen Betrieben und Schulen, die in den Bereich Sexismus und sexuelle Belästigung fallen. Hier landen nicht nur Vorkommnisse, bei denen Vorgesetzte anzügliche Witze und sexistische Andeutungen machen, sondern auch Fälle, bei denen Lehrer sich daneben benehmen - und etwa die Oberweite einer Schülerin kommentieren oder ihr Schneebälle in den Ausschnitt stecken.

Anfangs war die Resonanz noch zögerlich, doch seit 2010 die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und der Odenwaldschule bekannt wurden, trauen sich immer mehr Opfer, die Vorfälle zu melden. "Die Zahl der registrierten Grenzüberschreitungen hat sich vervierfacht", sagt Geiger. Im Jahr 2012 waren es 50 Beschwerden, die bei ihr ankamen. In manchen Fällen könnte man sich als Außenstehender noch fragen, ob es nicht einfach ein Kompliment gewesen sei, wenn der Kollege sagt, das rote Kleid stehe einem doch ganz hervorragend. "Doch wenn er die Aussage mit einer anzüglichen Stimme und einem tiefen Blick ins Dekolleté kombiniert, handelt es sich eindeutig um eine sexuelle Grenzüberschreitung", sagt Stadtdirektorin Angelika Beyerle, der die Beschwerdestelle unterstellt ist.

Gerade an den Schulen fallen Lehrer immer wieder mit sexistischen Kommentaren und Handlungen auf. Beyerle und Geiger haben zahlreiche Beispiele gesammelt. Etwa ein Lehrer, der im Sportunterricht zu einer Schülerin sagt: "Kauf dir doch einen Sport-BH, das wäre besser für deine Figur." Ein Lehrer, der "zufällig" durch die Mädchen-Umkleidekabine spaziert, in der sich die Schülerinnen gerade umziehen. Ein Lehrer, der beim Chemieunterricht bei einem Experiment wie zufällig die Brüste der Schülerin berührt. Ein Lehrer, der einer Schülerin das Handy wegnimmt, es in seine Hosentasche steckt und sagt: "Wenn du es wieder haben willst, dann hol' es dir doch raus." Oder eine Schülerin, die im Sexualkundeunterricht über pikante Details abgefragt wird, obwohl Sexualkunde nicht geprüft werden darf.

Wenn die Sprüche deftig werden

Wenn eine Schülerin mit einem Vorfall zur Beschwerdestelle kommt, sich aber nicht offiziell beschweren will, wird trotzdem ein "Sensibilisierungsgespräch" mit der Lehrkraft geführt. "Bisher hat das immer gewirkt", sagt Beyerle. Fast immer sind Männer die Täter. Beyerle kennt nur einen Fall, in dem eine Lehrerin ihren 15-jährigen Schüler verführte. Auch dass eine Frau oder ein Mädchen die Anschuldigung nur erfindet, hat sie bisher nur ein einziges Mal erlebt. "Im Gespräch erkennt man sofort, ob jemand lügt oder ehrlich betroffen ist", sagt Beyerle.

Die Stelle im Rathaus ist aber nicht nur für Schulangelegenheiten zuständig, sondern auch für sämtliche städtische Beschäftigte: von der Friedhofsverwaltung über die städtische Gärtnerei bis hin zur Stadtverwaltung. Gerade hier ist der Ton oft noch um einiges deftiger als an den Schulen.

Da sagt etwa ein Arbeiter zur Auszubildenden, während er mit einer Wasserwaage hantiert: "Nimm doch mal die Latte in die Hand." Ein anderer berührt seine Kollegin gerne an den Hüften oder gibt ihr einen Klaps auf den Hintern, wenn er an ihr vorbeigeht. Ein städtischer Arbeiter sagt zu seiner Kollegin: "Frauen haben vier Lippen: Zwei, um alles kaputtzumachen, und zwei zum Wiedergutmachen." Ein Arbeiter liest eine Boulevardzeitung, betrachtet das Bild eines leicht bekleideten Mädchens und sagt zu seiner Kollegin: "Ist ja klar, dass die mal wieder ordentlich durchgefickt gehört." Oder die Auszubildende, die mit ihrem Vorgesetzten im Auto zu einem Einsatzort fährt. Als ein Kollege am Handy anruft und fragt, wo die beiden bleiben, sagt der Chef: "Lass mir noch ein bisschen Zeit für einen Quickie!"

Für alle diese Männer hatte ihr sexistisches Handeln Konsequenzen. Sie wurden abgemahnt, versetzt oder gar entlassen. "Doch dass es diese Beschwerdestelle in München gibt, heißt nicht, dass wir im städtischen Bereich besonders viele Fälle sexueller Belästigung hätten", sagt Geiger. Die Stadt wolle einfach nur ein moderner, aufgeklärter Arbeitgeber sein. Tatsächlich gibt es in Deutschland nur wenige Kommunen, die eine derartige Stelle vorweisen können.

Zudem sei es wünschenswert, sexistisches Klima am Arbeitsplatz ein für alle Mal zu beseitigen, weil junge Kollegen imitieren würden, was die Älteren vormachen. "Macht ein Vorgesetzter solche Sprüche, denken die Neuen, dass dieser Umgangston normal ist und verfallen in das gleiche Handlungsmuster", sagt Geiger. Am Wichtigsten sei jedoch, dass sich Mädchen und Frauen, die sich sexuell diskriminiert oder belästigt fühlen, trauen, über ihre Erlebnisse zu sprechen. "Wer schweigt, schützt nur die Täter", sagt Beyerle.

Städtische Beschäftigte und Schülerinnen können sich melden unter: beschwerdestelle-sexuelle-belaestigung@muenchen.de oder unter 089/233-26449. Frauen, die nicht bei der Stadt beschäftigt und Opfer sexueller Belästigungen geworden sind, erreichen die Beratungsstelle der Münchner Polizei unter pp-mue.muenchen.k105@polizei.bayern.de oder unter 089/2910-4444.

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