Neue Ambulanz für Musiker:Mull statt Moll

Bernhard Haslinger vom Klinikum rechts der Isar in München, 2015

Bernhard Haslinger leitet die neue Ambulanz für Musiker am Klinikum rechts der Isar. In ihr helfen Experten Musikern bei gesundheitlichen Problemen.

(Foto: Sonja Marzoner)
  • Am Klinikum rechts der Isar hat eine Musiker-Ambulanz eröffnet.
  • Dort kümmern sich Ärzte um die spezifischen Erkankungen von Musikern.
  • Von Tinnitus bis Burn Out reicht das Spekturm der Leiden, die dort behandelt werden sollen.

Von Stephan Handel

Wotans Speer zerbrach, weil Siegfried mit seinem Schwert draufgehauen hatte - so ist das vorgeschrieben im dritten Akt der dritten Oper von Richard Wagners "Ring". Nicht vorgesehen war allerdings, dass ein Stück des Speers über die Bühne rollte, an den Rand, darüber hinaus - und schließlich einer Geigerin im Orchestergraben auf den Kopf fiel, was ganz weihelos zu einiger Heiterkeit im Publikum führte.

Die Geigerin, die dieses Ungemach vor drei Jahren an der Staatsoper traf, wurde wohl nicht verletzt. So oder so wäre sie auch damals schon eher kein Fall für Bernhard Haslinger gewesen. Der ist Neurologe am Klinikum rechts der Isar und Leiter der gerade frisch eröffneten Musiker-Ambulanz: Dort behandeln Haslinger und seine Kollegen zwar die berufsspezifischen Erkrankungen von Musikern - herabfallende Speerstücke gehören nicht dazu.

Tinnitus, Wirbelsäulen- und Gelenk-Probleme

"Musiker können an einer speziellen Gruppe von Erkrankungen leiden", sagt Haslinger. "Dafür braucht es dann Ärzte mit einem speziellen Know How - so wie es ja auch Sportmediziner für die spezifischen Probleme von Athleten gibt." Die neue Ambulanz versammelt Ärzte mehrerer Disziplinen: Neurologen, Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten, Orthopäden, Internisten und Kardiologen, Psychosomatiker und sogar Fachärzte für Plastische Chirurgie. Das umreißt schon den Kreis der Leiden, die professionelle Musiker ergreifen können: Nerven-Geschichten, Tinnitus, Wirbelsäulen- oder Gelenk-Probleme, Atmung, Herz und Kreislauf, Deformationen nach Unfällen - und natürlich das große Problem jedes Bühnen-Künstlers, das Lampenfieber. Dazu kommt vermehrt der Burn Out, denn der Konkurrenzdruck und die Anforderungen sind hoch.

Da ist zum Beispiel der Geiger, bei dem vom vielen Üben am Hals eine Druckstelle entsteht, die zum ekligen Ekzem wird. Da ist der Pianist, der ständig unter Sehnenscheidenentzündungen leidet. Der Oboist, der von Schwindelanfällen geplagt wird, oder der Blechbläser, dem die Zähne zu schaffen machen. Sie alle brauchen spezielle Beratung, weil ja zum Beispiel einem Klavierstudenten nicht geholfen ist, wenn der Arzt empfiehlt, er solle eben mal ein halbes Jahr die Finger von den Tasten lassen.

Tausende potentielle Patienten

Dass die neue Ambulanz nicht ausgelastet sein könnte, darüber macht sich Bernhard Haslinger keine Sorgen: Zwar gibt es keine genauen Zahlen, wie viele professionelle Musiker in München leben und arbeiten - aber allein die vier großen Orchester, Philharmoniker, Staatsoper und die beiden Ensembles des BR, beschäftigen mehr als 500 Künstler. Dazu kommen zahllose kleinere Klangkörper, Solokünstler, der riesige Bereich der Unterhaltungsmusiker, Musiklehrer - es erscheint kaum untertrieben, wenn Haslinger die Zahl seiner potenziellen Patienten auf mehrere Tausend schätzt. Zudem ist die Ambulanz die einzige in Bayern, sodass das Einzugsgebiet der ganze Freistaat sein dürfte.

Vorerst soll die Ambulanz, die aus dem Personalstamm des Klinikums rechts der Isar besetzt wird, einen Tag pro Woche geöffnet sein, auch um zu sehen, wie groß der Bedarf ist. Haslinger, selbst ambitionierter Cellist, weiß, dass Erkrankungen bei Musikern oft um ein Vielfaches dramatischer sein können als in anderen Berufen: Da hat ja einer nicht nur sein Studium in das Instrument investiert, sondern in den meisten Fällen seit frühester Jugend unzählige Stunden mit Üben verbracht - und dann geht's auf einmal nicht mehr, weil das Hirn streikt, der Finger oder die Stimmbänder. "Das ist verheerend, wenn so ein Lebenstraum begraben werden muss", sagt Bernhard Haslinger. "Wir wollen alles tun, damit die Menschen der Kunst erhalten bleiben können."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: