Süddeutsche Zeitung

Berufsleben:5200 Flüchtlinge suchen in München einen Job

Die Arbeitsagentur hat deshalb ein spezielles Zentrum Flucht aufgebaut. Denn die Zahl könnte heuer allein in der Stadt noch um 9000 steigen.

Von Pia Ratzesberger

Auf den Straßen von Kano sind sie auf ihn losgegangen, haben mit ihren Händen auf seinen Kopf eingedroschen, mit ihren Füßen gegen seine Beine getreten, der gesamte Körper schmerzte. Doch Samson Abiodun Olowu machte weiter, noch war er nicht gebrochen, noch war er nicht bereit, seine Stadt zu verlassen, nur weil Fremde ihn niederprügelten. Ihn, den Christen.

Am 20. Januar aber, er erinnert sich an diesen Tag noch genau, da rannten Bewaffnete in die Polizeibüros, Bomben explodierten und Schüsse knallten, so viele wie lange Zeit nicht mehr in der zweitgrößten Stadt Nigerias. Die vermummten Männer liefen durch die Straßen, schossen Passanten nieder, einen nach dem anderen. Es war der Tag, an dem die radikalislamische Sekte Boko Haram in Kano mehr als 100 Menschen tötete. Der Tag, an dem der Bruder von Olowu starb.

Nur wenige Wochen darauf verließ er das Land, Olowu gab seinen Job als Buchhalter auf, reiste nach Libyen, nach Italien, nach Holland, schlief in Camps an der Grenze und auf den Straßen von Rom. Vier Jahre später aber, vier Jahre nach dem 20. Januar 2012, wird er nun vielleicht wieder als Buchhalter arbeiten können.

Er hat gerade das erste Praktikum hinter sich, mit 34 Jahren muss er wieder ganz von vorne beginnen im Rechnungswesen. Die Bewerbungen für eine Stelle immerhin sind schon verschickt. "Der hat sich ziemlich gut gemacht", sagt eine Mitarbeiterin von Siemens, in den Büros am Otto-Hahn-Ring in Neuperlach.

Offiziell suchen knapp 5000 Geflohene Arbeit, demnächst könnten es 14 000 sein

Der Konzern bietet in diesem Jahr in München zehn Praktikumsplätze für Geflohene an, vermittelt von der Bundesagentur für Arbeit, er ist einer von vielen, auch die Hypo-Vereinsbank, BMW, Ikea, SAP oder die Messe München stellen nun Flüchtlinge ein. Selbst kleine Betriebe engagieren sich, das Residenztheater zum Beispiel oder das Wirtshaus in der Au. Reichen aber wird das nicht, denn immer mehr Flüchtlinge möchten nun endlich arbeiten, also müssen auch die Unternehmen immer mehr tun.

Olowu ist einer von etwa 5200 Geflohenen, die in München momentan offiziell eine Arbeit suchen, also bei der Arbeitsagentur registriert sind. Sie rechnet damit, dass die Zahl heuer noch einmal um 3000 bis 9000 Menschen steigen wird - auch weil es oft lange Zeit dauert, bis sich die Flüchtlinge bei der Agentur melden. Erst einmal müssen sie sich schließlich in der Stadt zurechtfinden, das dauert.

In den Münchner Gemeinschaftsunterkünften leben momentan fast 8000 Menschen aus etwa 80 Nationen, also viel mehr als diejenigen, die laut der offiziellen Statistik eine Arbeit suchen. Die meisten sind aus Afghanistan (2113) nach München gekommen, aus Syrien (1497) und Nigeria (852). Die besten Chancen, bleiben zu dürfen, haben die Geflohenen aus Syrien und Eritrea, bei ihnen liegt die Schutzquote bei mehr als 95 Prozent.

Nicht nur die Geflohenen, auch die Arbeitgeber brauchen Beratung

Nigeria dagegen, das Land von Samson Abiodun Olowu, hat gerade einmal eine Schutzquote von 9,5 Prozent. Fast niemandem also bewilligt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Antrag auf Asyl. Olowu ist dennoch zuversichtlich, schließlich ist er in seiner Heimat verfolgt worden, müsste dort um sein Leben bangen. Auch deshalb sind die Praktika für alle Flüchtlinge offen, denn: "Ob jemand dann tatsächlich in Deutschland bleiben darf, ist von Fall zu Fall so unterschiedlich, da wollen wir vorher den Zugang nicht beschränken", sagt Johannes Kolb von der Münchner Arbeitsagentur. Sie hat seit fünf Monaten ein eigenes Zentrum Flucht, dort werden die Geflohenen beraten, aber auch ihre Arbeitgeber, es gibt keine Abteilungsgrenzen mehr, weil ohnehin alles ineinander greift: Sprachkurse, Berufsberatung, Stellenvermittlung. 74 Arbeitgeber kooperieren momentan mit dem Zentrum Flucht, mehr als 4000 Menschen ließen sich dort bislang beraten.

Olowu hofft, dass er das vielleicht gar nicht mehr braucht. Zwei Monate hat er nun bei Siemens als Praktikant mitgearbeitet, in der Abteilung für Rechnungswesen, für 8,50 Euro die Stunde. Ihm war sogar eine eigene Betreuerin zur Seite gestellt, aus einer anderen Abteilung, die sollte ihm eine Vertraute bei Problemen sein, letztendlich gab es aber kaum welche. Sie habe ja immer wieder nachgefragt ob er irgendwas brauche, sagt Kathrin Schulte-Krumpen, etwa Hilfe beim Deutsch lernen, doch Olowu sagte nur: Er gehe ohnehin immer in die Bibliothek. Er will es alleine schaffen, genau wie die vergangenen vier Jahre.

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SZ vom 10.08.2016/bhi
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