Bernried:Buchheim auf Irrfahrt

Wie der polternde Kunstsammler und Exzentriker aus Feldafing doch noch zu seinem "Museum der Phantasie" kam.

Von Gerhard Summer, Feldafing

Bernried,  Buchheim Museum Ausstellung Hans Schmitt

Mit Lederhose ins Buchheim-Museum: Die naiven Holzfiguren des Inninger Bildhauers Hans Schmitt waren schon in Bernried zu Gast.

(Foto: Georgine Treybal)

Der Exzentriker ist guter Dinge. Er hat seine "Grüne Galerie" in Feldafing renovieren lassen und die Karussellpferde aus dem Münchner Stadtmuseum zurückgeholt. Zur Einweihung im August 1977 erwartet er Bundespräsident Walter Scheel, und in den Gesprächen zwischen den beiden wird es auch um die Frage gehen, wie die Schätze des Kunstsammlers, Malers, Fotografen, Verlegers, Autors und großen Polterers Lothar-Günther Buchheim der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnten.

Klar, da sind die Gemälde der Expressionisten, die er in den Fünfzigerjahren auf Auktionen erstanden hat, Bilder von Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Max Pechstein. Aber daneben gibt es auch die obskuren Objekte einer ungezähmten Sammelleidenschaft. In seiner Villa tut sich eine ganze Wunderwelt voller Kitsch, Kuriositäten, Krimskrams und Kunst auf: Orangenpapiere und japanische Holzschnitte, Blumengebinde, gläserne Briefbeschwerer, die in allen Farben des Regenbogens schillern, Scherenschnitte, Jugendstilvasen, Heugabeln aus Frankreich und alte Engelsköpfe. Buchheim lädt Scheel zum Kaffee in sein Haus ein, die beiden wählen den richtigen Platz für ihr Gespräch, wie ein damals gemachtes Foto zeigt: Sie sitzen in einem Karussellschwan.

Tatsächlich bricht Buchheim aber eher zu einer Irrfahrt auf, die sich 25 Jahre hinzieht. Für sein "Museum der Phantasie" sind etliche Standorte im Gespräch, doch aus den Plänen für München, Duisburg, Weimar, Berlin und Chemnitz wird nichts. In Feldafing, Buchheims Wunschplatz, gibt es einen Bürgerentscheid und eine klare Mehrheit von fast 62 Prozent gegen das Projekt. Ende April 1997 sitzt der Sammler mit Augenklappe in einer Papierhalde: 50 Briefe kommen täglich, dazu 80 Faxe, denn nun wittern andere Städte und Kommunen ihre Chance: 97 bayerische Orte bewerben sich bei der Staatskanzlei und dem Kultusministerium um das Museum. Auch Frankfurt am Main, Berlin und Tokio sind an der Expressionisten-Sammlung interessiert, die der damals 79-Jährige seiner Heimatgemeinde schenken wollte und die zu dieser Zeit einen Schätzwert von 200 Millionen Mark hat. Sogar Andechs unterbreitet eine Offerte: Der damalige Benediktiner-Pater Anselm Bilgri will das Museum, das in Feldafing wegen der Angst vor zu viel Lärm und Verkehr geschasst worden ist, dem Kloster angliedern.

Dem Bürgerentscheid geht ein Hauen und Stechen voraus. Der streitbare Buchheim beschimpft seine Gegner als "Gullyratten" und "Brunnenfrösche" und nennt sie "gottverdammte Schweinebande". Später sagt er: "Da haben wir erleben können, wie drei, vier Gullyratten die Bevölkerung verrückt machen." Womöglich geht es in dem Zoff weniger um Kunst und Verkehrslärm als um den Provokateur Buchheim selbst, der mit dem 1973 erschienenen Roman "Das "Boot" eine Millionenauflage erreicht hat, gerne in ausgebeulten Cordhosen herumläuft und schon mal mit dem Rolls-Royce zum Aldi fährt. Das mache "die Neidhammel rasend", meint er.

Bernried,  Buchheim Museum

Die teilweise aus einer Privatsammlung stammenden Bilder von Marc Chagall ausgestellt im Buchheim-Museum.

(Foto: Georgine Treybal)

Die Irrfahrt endet in Bernried. Im Mai 2001 wird das von einem Park umgebene "Museum der Phantasie" eingeweiht, ein 38-Millionen-Mark-Bau nach den Plänen des Architekten Günter Behnisch. Das Haus gleicht einem Schiff, das am Ufer gestrandet ist. Der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber sagt in seiner Rede: "Ab heute hat der Expressionismus, der zwölf unselige Jahre in Deutschland verfemt und angefeindet war, in Bayern ein angemessenes Domizil." Doch nach einem Jahrzehnt gerät das Schiff ins Dümpeln: 2001 und 2002 strömen noch jeweils mehr als 200 000 Leute nach Bernried. 2008, ein Jahr nach dem Tod des Museumsgründers Buchheim, kommt der Millionste Besucher. Danach gehen die Zahlen in den Keller. 2012 verzeichnet das Haus gerade mal 60 508 Besucher. Spätestens jetzt zeigt sich, dass Buchheims Sammlungen Beistand brauchen, um auf Dauer zu faszinieren. Denn irgendwann wird auch das letzte Orangenpapier ausgestellt sein.

Bernried,  Buchheim Museum

Das Buchheim-Museum in Bernried ist auch von außen sehenswert.

(Foto: Georgine Treybal)

Im August 2013 tritt ein neuer Museumsdirektor an, Daniel J. Schreiber. Und er schafft die Trendwende, indem er auch auf Leihgaben setzt und das bislang enge Konzept erweitert. Schreiber bringt Leben in die Nachlassverwaltung. Sein erster Streich, eine Chagall-Schau, ist die erfolgreichste Winterausstellung des Museums seit 2002. Es folgen Sonderausstellungen mit Werken von Picasso und Hundertwasser. Und die Besucherzahlen geben ihm Recht: Ende 2016 kommen wieder knapp 100 000 Besucher nach Bernried. Das Gesamtkunstwerk des Berserkers, zu dem auch die "Grüne Galerie" und sein Wohnhaus gehören, wird die Zeiten trotzdem nicht komplett überdauern. Denn seine Villa, die offenbar nur noch von Büchern zusammengehalten wird, soll zwei Mehrfamilienhäusern weichen. Für viele Freunde des Künstlers sind die Abrisspläne ein Frevel. Doch die Buchheim-Stiftung sieht keine andere Chance: Das Gebäude müsste mit Millionen-Aufwand saniert werden und würde am Ende doch nur geschätzt 600 Besucher im Jahr anziehen.

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