Mit Gleichberechtigung in der Kultur ist das so eine Sache: Werden Festivalprogramme nur nach Quotenvorgaben erstellt, kommen selten die besten Beiträge zum Zug. Andererseits will man Vielfalt abbilden, die Stimmen von möglichst unterschiedlichen Künstlern und Künstlerinnen hören, von Routiniers und Debütantinnen, von Dramatikern und Dokumentaristinnen. So auch bei den 72. Internationalen Filmfestspielen Berlin, die am 10. Februar als Präsenzfestival starten. In den Wettbewerb wurden dieses Jahr elf Filme von Regisseuren eingeladen, dem stehen sieben Filme von Regisseurinnen gegenüber. Mit dem Verhältnis zwischen Männern und Frauen beschäftigt sich auch der Eröffnungsfilm: Der Franzose François Ozon interpretiert den Fassbinder-Frauenfilm "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" um, in "Peter von Kant" geht es um liebende, leidende und quälende Männer.
Jenseits des Wettbewerbs ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichener, aus Bayern kommen sogar ausschließlich Filme von Regisseurinnen. Die Münchnerin Maggie Peren etwa stellt ihre jüngste Regiearbeit "Der Passfälscher" vor. Louis Hofmann spielt darin einen jüdischen Künstler, der im Berlin des Jahres 1942 anderen Juden hilft, indem er für sie Pässe und Dokumente fälscht und so zur Flucht verhilft. "Gute Fälschungen sind im Grunde wie kleine Kunstwerke", sagt er einmal. Ob Perens Film auch ein Kunstwerk ist, wird sich in den kommenden Tagen herausstellen: "Der Passfälscher" läuft als Weltpremiere in der Sektion "Berlinale Special Gala", bundesweit in die Kinos kommen wird er im Laufe des Jahres.
In der Oberpfalz spielt der Film "Schweigend steht der Wald"
Für den Herbst ist der Kinostart von Saralisa Volms Regiedebüt "Schweigend steht der Wald" eingeplant, das in der Berlinale-Sektion "Perspektive Deutsches Kino" Weltpremiere feiert. Die in Freising aufgewachsene Schauspielerin, Autorin und ehemalige Klaus-Lemke-Muse hat sich den gleichnamigen Roman von Wolfram Fleischhauer vorgenommen, gedreht wurde in der Oberpfalz. Es geht um eine Forstpraktikantin (Henriette Confurius), die in den Wald zurückkehrt, in dem einst ihr Vater verschwand. Produziert hat Volm ihr Spielfilmdebüt gemeinsam mit dem Münchner Filmproduzenten Ingo Fliess.
Eine weitere "Perspektive Deutsches Kino" hat die Münchner Regisseurin Vera Brückner anzubieten, sie wurde mit dem Dokumentarfilm "Sorry Genosse" zur Berlinale eingeladen. Es ist eine Flucht- und Liebesgeschichte: Ein westdeutscher Linksaktivist und eine ostdeutsche Medizinstudentin lernen sich in den Siebzigerjahren kennen und lieben, fortan träumen sie von einem gemeinsamen Leben. Getrennt werden sie aber vom Eisernen Vorhang, der sich zu jener Zeit noch durch Deutschland zieht. Die Regisseurin ist Absolventin der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF), dort studierte auch Jessica Krummacher, die mit ihrem zweiten Spielfilm zur Berlinale eingeladen wurde.

Krummachers "Zum Tod meiner Mutter" entstand gemeinsam mit dem Münchner Produzentenduo Tobias Walker und Philipp Worm, er läuft in der Sektion "Encounters", die ästhetisch anspruchsvolle Filme von unabhängigen Filmemachern zeigt und neue Perspektiven des Kinos fördern will. In diesem Fall bedeutet das: Das Publikum sieht einer Frau (Elsie de Brauw) beim Sterben zu - langsam, friedlich und bis zum unausweichlichen Ende. Ihre Tochter (Birte Schnöink) will ihr helfen, weicht nicht von ihrem Bett. Sie weiß aber auch, dass die Mutter diesen letzten Weg alleine gehen muss. Die Regisseurin verarbeitet ein persönliches Erlebnis und greift damit ein Thema auf, das fast alle einmal betrifft: den Verlust eines Elternteils.
Um Verlust geht es auch im Dokumentarfilm "Kalle Kosmonaut", den die aus Kaufbeuren stammende Filmemacherin Tine Kugler gemeinsam mit ihrem Kollegen Günther Kurth gemacht hat, ihr Film läuft in der Sektion "Generation 14plus". "Was ist aus dir geworden?", heißt es einmal im Film, "du bist ein Monster. Wir erkennen dich alle nicht mehr." Das vermeintliche Monster heißt Pascal, genannt wird er Kalle. Zu Beginn dieser Langzeitbeobachtung ist Kalle zehn Jahre alt, er wächst in der Allee der Kosmonauten am nordöstlichen Stadtrand von Berlin auf. Das Filmemacher-Duo hat ihn über ein Jahrzehnt lang begleitet, in Animationssequenzen zeigen sie, was abseits der Kamera geschieht.
In den Wettbewerb haben es dieses Jahr keine Filme aus Bayern geschafft, die Goldenen und Silbernen Bären des Festivals werden also woanders hingehen. Dafür können sie Gläserne Bären (in der Sektion "Generation") oder goldene Bären-Plaketten (in der Sektion "Encounters") gewinnen. Und vielleicht entscheidet sich das Festival ja auch noch eines Tages dazu, im Zuge der Gleichberechtigungsdebatte Bärinnen-Trophäen zu vergeben.